Booster für neutrophile Granulozyten
Acetat unterstützt Immunzellen beim Kampf gegen Sepsis
Eine Blutvergiftung ist die gefährlichste Komplikation bei bakteriellen Infektionen und führt häufig zum Tod. Forschende des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen haben nun Acetat als potenten Wirkstoff identifiziert, der Zellen des angeborenen Immunsystems stimulieren kann und so deren Fähigkeit zur Vernichtung von Bakterien unterstützt.
Gelingt es dem Immunsystem nicht, eine lokale Infektion in den Griff zu bekommen, können sich Krankheitserreger über die Blutbahn im ganzen Körper ausbreiten und eine Sepsis (Blutvergiftung) hervorrufen. In deren Verlauf kommt es zu einer allgemeinen Entzündung des Organismus und schlimmstenfalls zu einem septischen Schock, der in der Mehrzahl der Fälle aufgrund multiplen Organversagens zum Tod führt. Jährlich sterben in Deutschland mindestens 75.000 Menschen an einer Sepsis, deutlich mehr als an Brust-, Prostata- und Darmkrebs zusammen. Ursache der Sepsis ist eine fehlgesteuerte Immunantwort. Die zur Bekämpfung der Eindringlinge eingeleiteten Entzündungsreaktionen geraten hierbei außer Kontrolle und schädigen körpereigene Gewebe und Organe.
Neutrophile Granulozyten bekämpfen Eindringlinge
Krankheitserreger werden in erster Linie von den in Blutgefäßen und Geweben zirkulierenden Immunzellen der angeborenen Immunabwehr beseitigt. Vor allem neutrophile Granulozyten (Neutrophile), die häufigsten weißen Blutzellen, sind in der Lage, Eindringlinge zu identifizieren und zu zerstören. Mithilfe spezieller Rezeptoren auf ihrer Zelloberfläche binden sie an erregerspezifische Strukturen, werden dadurch aktiviert und können die Mikroorganismen fressen (Phagozytose) oder durch Ausschüttung giftiger Substanzen abtöten. Außerdem setzen sie Botenstoffe frei, die weitere Immunzellen anlocken und Blutgefäße erweitern sowie ihre Durchlässigkeit erhöhen. Dies verursacht so eine Entzündung der infizierten Region, um eine optimale Bekämpfung des Erregers zu erlauben.
Neutrophile besitzen eingebettet in ihre Zellmembran eine Vielzahl unterschiedlichster Rezeptoren zur Erkennung von mikrobenassoziierten Molekülstrukturen (Microbe-Associated Molecular Pattern MAMP), bei denen es sich um Proteine, Kohlenhydrate oder Lipide handeln kann, die sich auf oder im Erreger befinden, bzw. von diesen abgesondert werden. Die Erkennungsmuster der Rezeptoren sind in der Erbinformation der Zellen hinterlegt und können – im Gegensatz zu denen von Antikörpern der erworbenen Immunantwort – im Verlauf einer Infektion nicht angepasst werden.
Die Arbeitsgruppe von PD Dr. Dorothee Kretschmer am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen (IMIT) untersucht schon seit mehr als zehn Jahren die Klasse der Formyl-Peptid-Rezeptoren (FPR), die vor allem auf Neutrophilen vorkommen und kurze, mit einem Formylrest versehene Peptide erkennen. Diese werden hauptsächlich von Bakterien freigesetzt, da neu synthetisierte bakterielle Proteine mit der Aminosäure Formylmethionin beginnen. FPRs gehören zur Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die nach Aktivierung eine über GTP-bindende Proteine vermittelte Signalkaskade im Zellinneren auslösen. Dies führt zu einer Wanderung der Neutrophilen in Richtung des Infektionsherdes (Chemotaxis) und verstärkter Phagozytose-Aktivität.
Acetat löst Alarmzustand in Neutrophilen aus
Im Rahmen des Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen (CMFI)“ suchten die Forschenden nach weiteren bakteriellen Molekülen, die ähnliche Effekte auslösen. Ziel des Zusammenschlusses Tübinger Arbeitsgruppen der Universität und des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie ist die Entwicklung neuer Therapieformen zur Verdrängung schädlicher Bakterien aus dem menschlichen Mikrobiom.
Bei ihren Analysen stießen die Forschenden auf kurzkettige Fettsäuren (Short-Chain Fatty Acids SCFA) wie Acetat und Propionat, die von GPR43 erkannt werden. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor, der auf Zellen des Darmepithels, aber auch auf Neutrophilen, vorkommt. „Es war lange sehr schwierig, die Funktion von GPR43 zu bestimmen, da wir keine aktivierenden Mechanismen beobachten konnten“, berichtet Dr. Katja Schlatterer, Erstautorin der erst kürzlich veröffentlichten Studie.1) „Erst die Kombination mit dem FPR-Projekt brachte den Durchbruch und führte uns zum Mechanismus des Priming.“ Beim Priming werden die Zellen durch Acetat quasi in einen Alarmzustand versetzt, sodass sie bei nachfolgendem Kontakt mit anderen bakteriellen Liganden effektiver reagieren können. Sie schütten dann größere Mengen an Botenstoffen (z. B. Interleukin-8) und toxischen Radikalen aus und wandern schneller zum Infektionsherd. Die Stimulation durch Acetat führt außerdem zur Hochregulation anderer für die Erkennung von Bakterien wichtiger Rezeptoren und steigert so die Fähigkeit der Neutrophilen zur Phagozytose.
Therapeutischer Einsatz von Acetat denkbar
Untersuchungen an Mäusen bestätigten die Wirksamkeit von Acetat auch bei der Bekämpfung systemischer Infektionen. Wurde den Tieren das Mittel vor der Infektion mit Staphylococcus aureus, dem Hauptverursacher der bakteriellen Sepsis, in Form einer Injektion oder über das Trinkwasser verabreicht, zeigten sie deutlich mildere Krankheitssymptome. Acetat wirkt aber nicht nur präventiv, sondern hat auch direkten therapeutischen Nutzen und konnte den Verlauf einer bereits bestehenden Sepsis erheblich verbessern. Diese Ergebnisse geben berechtigten Anlass zu der Hoffnung, dass der Wirkstoff auch beim Menschen zur Behandlung bakterieller Sepsis eingesetzt werden kann.
Acetat ist nicht toxisch und wird bei der Verdauung von Nahrungsmitteln im Darm in relativ großen Mengen freigesetzt. Die Mengen im Blutserum variieren allerdings stark zwischen Individuen, da sie von der Ernährung und Stoffwechselaktivität abhängen. „Acetat wird in der Klinik bereits angewendet“, erläutert Kretschmer. „In vielen Infusionslösungen wird es zum Puffern eingesetzt. Daher ist zu überlegen, ob man bei einer diagnostizierten Sepsis nicht einen gezielten Boost mit einer Acetatlösung geben könnte.“ Dies wäre in Kombination mit einer Antibiotikagabe denkbar. Obwohl die Verträglichkeit bereits erwiesen ist, muss ein derartiger Einsatz der Substanz noch in Klinischen Studien getestet werden.
Die Bedeutung des GPR43-vermittelten Signalweges für die körpereigene Immunabwehr wird durch die Beobachtung unterstützt, dass Sepsis-Patienten mit einer erhöhten Anzahl dieser Rezeptoren auf ihren Blutzellen eine bessere Überlebenschance haben. Das Priming durch Acetat besitzt deshalb vor allem im Hinblick auf die zunehmende Zahl an antibiotikaresistenten Keimen großes Potenzial als wirksame Ergänzung bei der Behandlung bakterieller Infektionen.