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Alternativer Infektionsweg für Grippeviren durch neues Testverfahren entdeckt

An der Universität Freiburg fanden Forscher kürzlich einen völlig neuen Mechanismus, mit dem Grippeviren Zellen infizieren können. Diese Entdeckung wurde unter anderem durch den „Emulsion Coupling Assay“ möglich – eine äußerst sensitive, digitale Nachweismethode, die von der Actome GmbH gemeinsam mit der Hochschule und Hahn-Schickard entwickelt wurde, und mit der Forscher einzelne Moleküle zählen können, um deren Wechselwirkung zu untersuchen.

Bei einer Grippeinfektion dringt das Influenzavirus über die Schleimhäute in den Körper ein und vermehrt sich beim Menschen in den Atemwegen. Hierzu dockt der Erreger an die Wirtszelle an und wird durch die Zellmembran ins Innere aufgenommen. Bislang ging man davon aus, dass diese Interaktion zwischen Virus und Zelle nur mithilfe von Zuckermolekülen zustandekommen kann. Jetzt wurde jedoch erstmals nachgewiesen, dass auch Proteine die gleiche Rolle spielen können.

Ein Team aus Forschern des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg, der Professur für Anwendungsentwicklung am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) und Hahn-Schickard konnten kürzlich einen völlig neuen Mechanismus für das Eindringen von Grippeviren in Zellen demonstrieren. Demnach nutzen Influenzaviren aus Fledermäusen einen gänzlich anderen Zugang in die Wirtszelle als alle bisher bekannten Influenzatypen. Sie infizieren tierische Zellen – auch die des Menschen­, indem sie nicht wie die anderen Grippeviren an den Aminozucker Sialinsäure auf der Zelloberfläche binden, sondern an Proteine des MHC-Komplexes (Major Histocompatibility Complex). Dieser spielt für die Funktion des Immunsystems eine tragende Rolle und ist deshalb bei allen Wirbeltieren sehr ähnlich aufgebaut. Und gerade diese Tatsache macht die Entdeckung auch so brisant: Da Mäuse, Schweine, Hühner oder auch der Mensch damit quasi die gleichen Eintrittspforten für das Virus besitzen, könnten die Fledermausviren theoretisch auch auf andere Wirbeltiere übertragen werden.

Sensitives Nachweisverfahren weist einzelne Moleküle nach

Der Virologe Dr. Csaba Jeney hat den Emulsion Coupling Assay entwickelt, ein sensitives Verfahren, mit dem die Interaktion von Proteinmolekülen untersucht werden kann. © Actome GmbH

Grundlage für die eindeutige Bestätigung des neuen Mechanismus war das von der Actome GmbH – einer Ausgründung des IMTEK – entwickelte, neue Testverfahren, der „Emulsion Coupling Assay. Dieser ermöglicht es, auf eine sehr sensitive Weise die Interaktion von Proteinmolekülen zu analysieren. „Das Problem bei den Influenzaviren ist es, dass die Virus-Zell-Interaktion auf einer so niedrigen Ebene stattfindet, dass wir diese mit herkömmlichen existierenden Methoden bisher nicht eindeutig nachweisen konnten, weil sie nicht sensitiv genug sind“, erklärt der Actome-Geschäftsführer Dr. Csaba Jeney, der das Verfahren mit seiner Arbeitsgruppe am IMTEK entwickelt hat. „Für den Nachweis verwenden wir zwei Antikörper: einen für das Virus, den anderen für die Wirtszelle. Diese werden zu einem Komplex verbunden, in einen einzigen Flüssigkeitstropfen eingeschlossen und dann noch weiter verdünnt. Dabei entstehen viele tausend winzige Mikrotropfen, in denen jeweils ein Proteinmolekül verpackt ist. Was bei unserem Konzept auch noch ganz wichtig ist, ist, dass kein weiterer Waschschritt nötig wird. Denn dabei würden wir das Risiko eingehen, dass die winzigen Mengen an Molekülen verlorengehen, die eigentlich nachgewiesen werden sollen.“

Tausende Reaktionskammern aus Flüssigkeitstropfen

Hergestellt werden die Flüssigkeitstropfen mit den eingeschlossenen Molekülen bei dem in Freiburg entwickelten Analyseverfahren mithilfe mikrofluidischer Technologien in einer Öl-Umgebung. Dabei bilden sich in einer Wasser-in-Öl-Emulsion rund 20.000 verschiedene Reaktionskammern, wobei in jeder dieser Kammern später eine einzelne Detektionsreaktion stattfindet. „Wir haben dann im Fall der Influenzaviren nach Tropfen gesucht, die positiv für beide Antikörper waren“, berichtet Jeney. „Denn nur in diesem Fall hat das Virus an das MHC-Membranprotein gebunden; andernfalls wären die beiden Partikel in unterschiedlichen Tropfen zu finden.“ Mit Erfolg, die Forscher wurden fündig und konnten auf diese Weise die Bindung des Fledermausvirus an Proteine des MHC-II-Komplexes eindeutig nachweisen. „Mit diesem Testverfahren haben wir nun im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden wie der Immunpräzipitation oder der Ligation ein hoch sensitives Werkzeug zur Untersuchung von Protein-Protein-Interaktionen zur Hand“, sagt der Experte.

Für das Experiment wurden aus Sicherheitsgründen nur rekombinante Influenzaviren und Testzellen verwendet, die alleine nicht lebensfähig sind, sodass den Forschern ein definiertes System zur Verfügung stand. Dabei wurde zunächst versucht, die Viren per Waschschritt wieder von den Zellen zu entfernen. Geschlossene Verbindungen wurden dann chemisch fixiert, die Zellen lysiert und die beiden Antikörper zum Test auf mögliche Bindung zugegeben.

Methode erlaubt absolute Quantifizierung von Proteinmolekülen

Schema des Emulsion Coupling Assay: Bei der äußerst sensitiven Nachweismethode werden Antikörper für die zu testenden Proteine in einzelne Flüssigkeitstropfen eingeschlossen, wobei tausende kleine Reaktionskammern in einer Öl-Umgebung entstehen, in denen sowohl die PCR als auch die anschließende Detektionsreaktion stattfinden. © Actome GmbH

Die Tropfen für den „Emulsion Coupling Assay“ können generell durch verschiedene Methoden hergestellt werden, wie sie beispielsweise auch bei einer Digitalen PCR verwendet werden. „Am IMTEK haben wir für diesen Emulgierungsprozess eigene Einrichtungen, die wir in diesem Fall den Virologen für ihre Experimente zur Verfügung gestellt haben“, berichtet Jeney. Die Reaktionströpfchen werden gesammelt, per PCR amplifiziert und mithilfe eines Durchflusszytometers einzeln ausgewertet. Dabei liefert jeder Tropfen einen bestimmten Fluoreszenzwert, aus dem geschlossen werden kann, ob das Virus gebunden wurde oder nicht. Anschließend wird das Verhältnis von positiven zu negativen Signalen mathematisch errechnet und damit absolut quantifiziert. „Und genau das macht die Stärke unserer Methode aus“, meint Jeney. „Weil jeder Tropfen genau ein einziges Molekül enthält, können wir zählen, wie viele Protein-Protein-Komplexe tatsächlich gebildet wurden.“ Auf diese Weise wollen die Forscher zukünftig auch Erkenntnisse über die Entstehung anderer Erkrankungen, beispielsweise Krebserkrankungen, liefern. Mit dem „Emulsion Coupling Assay“ können wir praktisch alle Protein-Protein-Interaktionen der Zelle untersuchen“, so Jeney. „Und dies auf sehr einfache Weise. So wollen wir herausfinden, was in den Zellen passiert, wenn etwas fehlerhaft läuft.“

Start-up will Proteine für personalisierte Therapien entschlüsseln

Das Verfahren haben die Wissenschaftler zum Patent angemeldet. Sie wollen es im Rahmen einer Ausgründung – der Actome GmbH – kommerzialisieren. „Actome soll unser Testverfahren auf den Markt bringen“, erklärt der Wissenschaftler. „Unsere Vision ist es, im Rahmen dieses Start-ups Signaltransduktionswege, deren Proteine und ihr Zusammenwirken im Körper zu entschlüsseln. Das bedeutet einerseits viel Grundlagenforschung, liefert andererseits aber auch wichtige Informationen für die Pharmaindustrie, um neue Medikamente und diagnostische Verfahren zu entwickeln.“ Weiterhin will Jeney mit seinem Team in den nächsten Monaten verschiedene Versionen des Assays erarbeiten, um beispielsweise auch Einzelzellen direkt untersuchen zu können.

Originalpublikation:

Umut Karakus et al.: “MHC class II proteins are cross-species entry receptors for bat influenza viruses”. Nature 567, pp.109–112 (2019) DOI:10.1038/s41586-019-0955-3

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/alternativer-infektionsweg-fuer-grippeviren-durch-neues-testverfahren-entdeckt