Antwort auf Antibiotikaresistenz liegt vielleicht im Mikrobiom
Weltweit werden Bakterien zunehmend resistent gegen die gängigen Antibiotika. Immer öfter wirken auch Reserve-Antibiotika bei einer Infektion mit multiresistenten Erregern nicht mehr. In einem Exzellenzcluster an der Universität Tübingen untersuchen Forscher einen alternativen Ansatz, um bakterielle Infektionen zu bekämpfen: Sie wollen gezielt die mikrobielle Gemeinschaft des Menschen, das Mikrobiom, beeinflussen.
Etwa 670.000 Menschen erkrankten im Jahr 2015 in der EU an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger. Rund 33.000 Menschen starben daran, wie aus einem aktuellen Bericht der Europäischen Seuchenbehörde ECDC hervorgeht – Tendenz steigend1. Bakterielle Infektionen, die viele längst besiegt glaubten, werden wieder zu einem Problem.
„Natürlich versucht man die Ausbreitung resistenter Keime mit besserer Hygiene zu verhindern und sie mit neueren, noch wirksamen Antibiotika zu bekämpfen“, sagt Prof. Dr. Andreas Peschel, Leiter des Lehrstuhls Infektionsbiologie am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen. Doch seit der Entdeckung des Penicillins 1928 und dem goldenen Zeitalter der Antibiotika-Entdeckungen in den 1940er bis 1960er Jahren sind nur wenige neue Antibiotikaklassen hinzugekommen2.
Einen neuen Schalthebel, um das Problem mit Antibiotikaresistenzen in den Griff zu bekommen, sieht Peschel in einem gezielten Eingriff in das Ökosystem von Mikroorganismen. Diese besiedeln unsere Schleimhäute, Haut und Darm. Das Ökosystem dient vielen der potenziell gefährlichen Infektionserreger als Reservoir. „Bei den meisten schweren und manchmal tödlich verlaufenden Infektionen, etwa Blutstrominfektionen, haben die Patienten die Bakterien zuvor oft jahrelang mit sich herumgetragen“, sagt der Mikrobiologie-Professor.
Bei gesunden Menschen hält deren Immunsystem die Erreger meist im Schach. Gefährlich kann es werden, wenn das Immunsystem durch eine Krankheit geschwächt ist und Erreger durch offene Wunden oder Eintrittsöffnungen von Schläuchen, etwa bei Patienten auf der Intensivstation, in den Körper gelangen – zumal, wenn die Erreger antibiotikaresistent sind.
Exzellenzcluster konzentriert Mikrobiom-Forschung
Unter Umständen krankmachende Bakterien gezielt aus dem Mikrobiom zu eliminieren, bevor es zur Infektion kommt, ist das Ziel des Anfang 2019 in Tübingen gestarteten Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“. Peschel koordiniert den Forschungsverbund zusammen mit seiner Institutskollegin und Leiterin des Lehrstuhls für Mikrobielle Wirkstoffe Heike Brötz-Oesterhelt und der Mikrobiom-Forscherin Ruth Ley, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie. Insgesamt sind über 25 Tübinger Forschungsgruppen sowie weitere Kooperationspartner beteiligt. Der Bund und das Land Baden-Württemberg fördern das Exzellenzcluster die kommenden sieben Jahre mit rund 37 Millionen Euro.
Wie könnten sich nun gesundheitsgefährdende Bakterien aus dem Mikrobiom eines Menschen entfernen lassen ohne das Mikrobiom als Ganzes zu schädigen, wie es die vielfach verwendeten Breitbandantibiotika tun? „Man könnte einem Menschen, der mit einem antibiotikaresistenten Keim besiedelt ist, das komplette Mikrobiom eines von dem Keim nicht besiedelten Gesunden transplantieren und hoffen, dass dadurch die unerwünschten Bakterien verdrängt werden“, sagt Peschel. Doch womöglich werden dann andere Infektionserreger mit transplantiert. Zielgerichteter wäre es, so Peschel, nur bestimmte gutartige Bakterien einzubringen, die spezifisch unerwünschte Erreger eliminieren.
Bakterien wehren sich mit Antibiotika
Bakterien behaupten sich nämlich seit jeher gegen konkurrierende Bakterien im Wettkampf um Raum und Nährstoffe, indem sie unter anderem antimikrobielle Substanzen gegen diese produzieren. Viele der heute gängigen Antibiotika wurden demzufolge in Mikroorganismen entdeckt – meist in Bodenmikroben. Unlängst hat Peschels Arbeitsgruppe nachgewiesen, dass auch viele in der menschlichen Nase heimische Bakterien antimikrobielle Wirkstoffe herstellen3. Die Forscher wollten wissen, warum etwa ein Drittel der Menschen Staphylococcus aureus, einen der häufigsten Krankenhauskeime, als blinden Passagier in ihrer Nase mit sich herumtragen, die Mehrheit der Menschen aber nicht.
Im Nasenabstrich einiger nicht besiedelter Menschen entdeckten sie unter anderem ein neuartiges Peptid-Antibiotikum namens Lugdunin, das von einer verwandten Bakterienart ausgeschieden wird und die Ansiedlung antibiotikaresistenter S. aureus, sogenannte Methicillin-resistenter S. aureus (MRSA), und anderer Erreger hemmt4. Weitere antimikrobielle Substanzen unserer Nasen-Untermieter will Peschel im Exzellenzcluster näher charakterisieren. Mittlerweile berichten erste Forschergruppen, auch in menschlichen Bakterien außerhalb der Nase Antibiotika entdeckt zu haben. „Die Gene, welche theoretisch die Antibiotikasynthese steuern, sind auf jeden Fall da“, sagt Peschel. Es ist nur eine Frage der Zeit, findet der Mikrobiologe, bis der Antibiotika-Schatz unseres Mikrobioms geborgen ist.
Lange Zeit haben Mikrobiologen das humane Mikrobiom vernachlässigt. „Medizinische Mikrobiologen interessieren sich für Infektionen, aber nicht für potentielle Pathogene im Mikrobiom“, sagt Peschel. Naturwissenschaftliche Mikrobiologen würden sich hingegen auf bestimmte Modellorganismen und Umweltbakterien fokussieren. Hinzu kommt, dass durch den technologischen Fortschritt und die neuen Möglichkeiten der Sequenzierung erstmals auch Stämme identifiziert werden können, die bislang im Labor nicht kultivierbar und somit unzugänglich waren.
Manipulation Bakterien-Stoffwechsel
Vieles über die bakteriellen Untermieter des Menschen liegt daher noch im Dunkeln. Beispielsweise bestimmen nicht nur die von Bakterien produzierten Antibiotika, welche Bakterien innerhalb des menschlichen Mikrobioms dominieren, sondern auch die Gesamtheit ihrer Stoffwechselprodukte, bakterielles Metabolom genannt. „Oft gibt es ganze Nahrungsketten, wo mehrere Bakterien symbiontisch miteinander kooperieren: Ein Bakterium zerkleinert ein Makromolekül und setzt eine Substanz frei, die andere Bakterien weiter umsetzen und so weiter“, sagt Peschel. Kenne man den Stoffwechsel der menschlichen Bakteriengemeinschaft, könne man gezielt Nährstoffe einbringen, um gutartige Bakterien zu fördern und pathogene auszuschließen, zählt Peschel eine weitere Möglichkeit der Mikrobiom-Manipulation auf.
Daher soll innerhalb des Exzellenclusters zusätzlich eine neue Professur für bakterielle Metabolomik eingerichtet werden. Geplant ist auch eine Professur für Bildgebung und Simulation von Mikrobiomen. Eventuell eine weitere im Bereich der Glykochemie soll erforschen, wie Bakterien über Zuckerstrukturen auf ihrer Oberfläche mit ihrem menschlichen Wirt wechselwirken.
Doch nicht nur die menschliche Bakteriengemeinschaft in der Nase, im Darm oder der Haut will der Forscherverband genauer unter die Lupe nehmen. Einige Forscher untersuchen auch Mikrobiome im Abwasser oder in Kläranlagen. „Die Mechanismen, wie die Bakterien sich beeinflussen, werden wahrscheinlich ähnlich sein“, erklärt Peschel.
In dem Exzellenzcluster arbeiten die Mikrobiologen zusammen mit Medizinern, Immunologen, Chemikern, Pharmazeuten bis hin zu Bioinformatikern, die aus Biomarker-Signaturen Vorhersagen über die Bakterienwechselwirkungen machen können, und Ethikern, die Risiken einer Mikrobiom-Manipulation abwägen. „Im Exzellenzcluster kommen genau die richtigen Leute zusammen, die die Mikrobiomforschung befruchten werden“, sagt Peschel. Möglicherweise kann sie helfen, die befürchtete postbiotische Ära abzuwenden, in der banale Infektionen tödlich enden können, weil vorhandene Antibiotika nicht mehr wirken.