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Tumor-Organoide erleichtern Wirkstoffsuche

Arzneimittelscreening für krebskranke Kinder mithilfe patientenspezifischer Miniaturtumore

Erleiden an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche einen Rückfall, dann schlagen die Standardmedikamente häufig nicht mehr an. Um den Betroffenen neue Therapiemöglichkeiten zu eröffnen, züchteten Forschende vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KITZ) und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) aus Biopsieproben individuelle Miniaturtumore, an denen sie innerhalb weniger Wochen eine Vielzahl von Arzneimitteln auf ihre Wirksamkeit untersuchen konnten.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 2.000 Kinder und Jugendliche an Krebs1). Obwohl die Heilungschancen etwa 80 Prozent betragen, sind bösartige Tumore nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache in dieser Altersgruppe. Ein Drittel der jungen Patientinnen und Patienten leidet an Leukämien (Blutkrebs), gefolgt von Hirntumoren (24 Prozent) und malignen Veränderungen des lymphatischen Systems (Lymphomen, 14 Prozent). Auch Tumore der Weichteile, des Nervensystems (Neuroblastome) und der Nieren sind mit jeweils ungefähr 5 Prozent relativ häufig. Karzinome hingegen, also Krebserkrankungen, die vom Epithelgewebe in Haut und Schleimhäuten verschiedenster Organe ausgehen, kommen sehr selten vor, während sie bei Erwachsenen in mehr als 90 Prozent der Fälle auftreten. Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen erfordert dementsprechend spezielle Therapiekonzepte.

INFORM-Register für rückfällige Patienten

Arzneimittelscreening für krebskranke Kinder | Krebs | Frau im Labor
Unter Leitung von Privatdozentin Dr. Ina Oehme wird am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg die Wirkung verschiedener Medikamente an patientenspezifischen Miniaturtumoren getestet. © Tobias Schwerdt/KiTZ

Am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), einer gemeinsamen Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg, werden die Betroffenen umfassend versorgt und erhalten bei Bedarf einen individuellen Therapieplan. Das Zentrum erforscht zudem intensiv die Biologie der kindlichen Krebserkrankungen, um neue Behandlungskonzepte zu entwickeln. Denn noch immer stirbt ein Fünftel der Erkrankten, weil die Tumorzellen durch die vorhandenen Therapien nicht vollständig eliminiert werden können. Im Jahr 2015 wurde deshalb die Registerstudie INFORM (INdividualized therapy FOr Relapsed Malignancies in Childhood bzw. Individualisierte Therapie für Rückfälle von bösartigen Tumoren bei Kindern) ins Leben gerufen, ein länderübergreifendes Genom­sequenzierungs­­programm für Kinder mit Krebs unter dem Dach der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH), das am KiTZ koordiniert wird. „In dieses Programm werden hauptsächlich Kinder aufgenommen, die einen Rückfall erlitten haben. Die intensive Erstbehandlung verursacht häufig molekulare Veränderungen im Tumor, sodass die Standard­therapien bei einem Wiederauftreten keine Wirkung mehr zeigen“, erläutert Privatdozentin Dr. Ina Oehme, Gruppenleiterin am KiTZ und stellvertretende Leitern der Klinischen Kooperationseinheit Pädiatrische Onkologie. „Mithilfe der Erbgutanalyse besteht die Möglichkeit, molekulare Angriffsziele zu identifizieren und eine individuell zugeschnittene Behandlung zu entwickeln.“ Bisher wurden 2.500 Patientinnen und Patienten von 100 Zentren aus 13 Ländern im INFORM Register aufgenommen.

Patientenspezifische Miniaturtumore ermöglichen Medikamententestung

Arzneimittelscreening für krebskranke Kinder | Krebs | Miniturtumore
Miniaturtumore wurden mit verschiedenen Medikamenten behandelt und angefärbt: Zellkerne (in lebenden und toten Zellen) leuchten blau; lebende Zellen sind rot, tote Zellen grün. Links zeigt sich, dass das Medikament nicht wirksam ist (rote, lebende Zellen überwiegen), rechts wurden die meisten Tumorzellen abgetötet (stark grün; keine lebenden roten Zellen). © Heike Peterziel/KiTZ

Ergänzend zur Genomanalyse werden die in diesem Rahmen entnommenen Frischgewebeproben seit einiger Zeit für wenige Tage im Labor kultiviert und zu patientenspezifischen Miniaturtumoren angezüchtet. In einer im Dezember 2022 in dem renommierten Fachjournal npj Precision Oncology erschienenen Studie2) konnte Oehme zusammen mit anderen Forschenden verschiedener europäischer Kliniken zeigen, dass diese Miniaturtumore gut geeignet sind, die individuelle Wirksamkeit vieler unterschiedlicher Medikamente zu testen.

Nach mechanischer und enzymatischer Zerkleinerung des Biopsiematerials sowie Entfernung roter Blutkörperchen und freier DNA werden die vereinzelten Zellen für einige Tage in serumfreiem Medium vermehrt. Letzteres enthält klar definierte Faktoren, wie sie auch in der Tumorstammzellkultur eingesetzt werden, und fördert die Ausbildung dreidimensionaler Zellverbände, sogenannter Sphäroide. Oehme erklärt: „Diese Miniaturtumore spiegeln die Heterogenität und Individualität des Tumors besser wider als herkömmliche zweidimensionale Zellkulturen, die nur an der Oberfläche der Kulturschale anhaften. Durch die kurzzeitige Kultivierung sind sogar noch Zellen aus der Tumormikroumgebung enthalten, die wie im lebenden Organismus in die Tumorstruktur eingeschlossen werden.“

Für das eigentliche Arzneimittelscreening werden die Zellen erneut separiert und eine definierte Anzahl in jede Vertiefung der Medikamentenplatte gegeben. Alle Wirkstoffe liegen hier als Duplikat in fünf verschiedenen Konzentrationen vor. Nach weiteren 72 Stunden Anzucht wird die Stoffwechselaktivität als Maß für die Lebensfähigkeit der Zellen untersucht. Dies geschieht durch Bestimmung des Gehalts an Adenosintriphosphat (ATP), dem Energieträger-Molekül der Zelle. Tote Zellen sind nicht mehr metabolisch aktiv und enthalten kein ATP. Durch Zytostatika stark im Wachstum gehemmte Zellen besitzen deutlich verringerte Mengen an ATP. Im Vergleich zu Kontrollsubstanzen lässt sich so feststellen, wie stark die einzelnen Arzneimittel die Zellen schädigen. „Derzeit etablieren wir zusätzlich einen mikroskopischen Readout, bei dem die Sphäroidgröße über die Zeit vermessen wird und entwickeln weitere Methoden, um die Anzahl getöteter Zellen möglichst genau bestimmen zu können“, berichtet die Zellbiologin.

Mithilfe der Miniaturtumore konnten in der jetzt abgeschlossenen zweijährigen Pilotphase die Proben von 65 Erkrankten mit soliden Tumoren oder Hirntumoren erfolgreich untersucht werden. Dabei wurden jeweils bis zu 78 unterschiedliche Krebsmedikamente getestet; sowohl gängige Chemotherapeutika mit breitem Wirkspektrum als auch Substanzen, die gezielt gegen bestimmte Moleküle in den Krebszellen gerichtet sind. Neben bereits zugelassenen Präparaten wurden auch solche eingesetzt, die sich derzeit noch in der klinischen Erprobung befinden. Für 47 Proben ließ sich mindestens eine wirksame Substanz identifizieren, teilweise waren es sogar mehr als zehn.

Individuelle Therapiemöglichkeiten

„Molekularbiologische Untersuchungen belegen, dass in den Miniaturtumoren die genetischen Eigenschaften der Originaltumore erhalten bleiben“, führt Oehme aus. „Weitere Studien müssen nun zeigen, wie zuverlässig die Wirkung an den Miniaturtumoren die Wirkung in den Erkrankten widerspiegelt. Das wird derzeit bereits an einigen klinischen Fällen untersucht.“

Lassen sich die Ergebnisse aus der Kulturschale zuverlässig auf die Patientinnen und Patienten übertragen, dann könnten mit dem neuen Verfahren innerhalb von nur drei Wochen unterschiedlichste Krebsarten anhand kleiner Gewebeproben analysiert und individuelle Behandlungsoptionen identifiziert werden. Dies würde vielen Kindern und Jugendlichen neue Heilungschancen eröffnen.

Literatur:

1) Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie e.V. – Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen https://www.gpoh.de/kinderkrebsinfo/content/erkrankungen/index_ger.html

2) Peterziel H. et al. (2022) Drug sensitivity profiling of 3D tumor tissue cultures in the pediatric precision oncology program INFORM. npj Precis Onc. 6(1):94. doi:10.1038/s41698-022-00335-y

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/arzneimittelscreening-fuer-krebskranke-kinder-mithilfe-patientenspezifischer-miniaturtumore