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Value-based Healthcare

Aufwendige Gesundheitsversorgung zahlt sich aus

Eine qualitativ hochwertige medizinische Behandlung lohnt sich nicht nur für die Erkrankten. Die Abteilung für Gesundheitsökonomie am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg unter Leitung von Prof. Dr. Michael Schlander hat zusammen mit Forschenden aus Dresden in einer Kosten-Effektivitäts-Analyse gezeigt, dass zertifizierte Darmkrebszentren nicht nur eine bessere, sondern auch kostengünstigere Versorgung als andere Kliniken bieten.

Wie viel ist ein Leben wert? Diese grundlegende Frage beschäftigt Gesundheitsökonomen, wenn sie Kosten und Nutzen medizinischer Therapien abwägen und bestimmen sollen, ob diese wirtschaftlich sind. Weltweit steigt die Belastung für die Gesundheitssysteme kontinuierlich, da die medizinischen Möglichkeiten zunehmen und die Bevölkerung immer älter wird. Damit die Gesundheitsversorgung finanzierbar bleibt, rückt die Rentabilität von Kliniken und Versorgungszentren deshalb vermehrt in den Fokus. Diese wird aktuell anhand der Kosten vor Ort in Bezug zum unmittelbaren Therapieerfolg errechnet. Die durchgeführten Maßnahmen sind meistens standardisiert, und langfristige Effekte werden häufig nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigt.

Das Value-based Healthcare-Konzept

Das Konzept der wertbasierten Gesundheitsversorgung (Value-based Healthcare VBHC) hingegen stellt die Patientinnen und Patienten mit ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten in den Mittelpunkt. Der Wert einzelner Behandlungen errechnet sich anhand des individuellen Nutzens für die Erkrankten im Verhältnis zu den Kosten. Eine Wertsteigerung kann also sowohl durch eine Kostenreduktion als auch durch einen erhöhten Patientennutzen erreicht werden. Wobei Nutzen nicht nur die eindimensionalen Effekte wie Überleben oder Heilung berücksichtigt, sondern auch Nebenwirkungen und Nachhaltigkeit der Therapie sowie subjektive Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten.

Das VBHC-Konzept erfordert die Weiterentwicklung oder sogar eine Umstrukturierung des heutigen Gesundheitssystems, denn eine patientenorientierte Versorgung kann nur mithilfe von fach- und ortsübergreifenden Angeboten erreicht werden. Der Weg der Erkrankten zur optimalen Versorgung sollte möglichst kurz und die Behandlung auf die persönlichen Umstände zugeschnitten sein. Die therapeutischen Maßnahmen dürfen nicht isoliert, sondern müssen ganzheitlich und über einen längeren Zeitraum betrachtet werden. Dies setzt den Austausch zwischen Kliniken, nachgeschalteter Rehabilitation und niedergelassenen Ärzten voraus. Eine teure, maßgeschneiderte Erstbehandlung mit hohem Nutzen für Patientinnen und Patienten kann langfristig zu geringeren Kosten führen, da weniger Folgemaßnahmen notwendig sind.

Zertifizierte Krebszentren bieten höhere Qualität und sind kosteneffektiver

Porträtfoto eines freundlich lächelnden Mannes mit kurzen grauen Haaren und Brille, der einen Anzug trägt.
Prof. Dr. Michael Schlander erstellt mit seiner Abteilung für Gesundheitsökonomie am DKFZ in Heidelberg Kosten-Effektivitäts-Analysen für medizinische Behandlungen. © DKFZ Heidelberg

Ein wichtiger Schritt zur wertbasierten Gesundheitsversorgung in Deutschland ist die Zertifizierung von Krebszentren, die von der Deutschen Krebsgesellschaft anhand der aktuellen onkologischen Leitlinien durchgeführt wird. Organkrebszentren (Cs von Centers) sind dabei auf eine bestimmte Krebsart spezialisiert, onkologische Zentren (CCs von Cancer Centers) sind für mehrere Tumorarten zuständig, und onkologische Spitzenzentren (CCCs von Comprehensive Cancer Centers) an universitären Standorten versorgen ein breites Spektrum an Krebserkrankungen unter Einbezug der aktuellsten Forschungsergebnisse und neuartiger Therapiekonzepte. Allen gemeinsam ist ein Netzwerk aus stationären und ambulanten Einrichtungen, in dem alle beteiligen Fachleute aus Chirurgie, Radioonkologie und Pathologie, aber auch Psychologie, Physiotherapie und Pflege zusammen für die umfassende Betreuung der Erkrankten verantwortlich sind.

„Es gibt viele Studien, die belegen, dass die zertifizierten Zentren erfolgreicher arbeiten und eine höhere Qualität in die Versorgung bringen. Das resultiert unter anderem in längeren Überlebenszeiten der betroffenen Patienten“, berichtet Prof. Dr. Michael Schlander, Experte für Gesundheitsökonomie an der Universität Heidelberg und Leiter der 2017 gegründeten Abteilung für Gesundheitsökonomie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). „Es gibt Studien, die zeigen, dass die Behandlungen obendrein günstiger sind, wenn man die direkten Kosten betrachtet, die die Krankenversicherungen zahlen müssen.“ Dies erklärt sich durch die Vermeidung von doppelten Untersuchungen, durch eine höhere Qualität und Treffsicherheit bei der Diagnose aufgrund der Tumorboards (Tumorkonferenzen mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten) und die konsequente Anwendung aktueller Behandlungs- und Qualitätssicherungsstrategien.

Zusammen mit dem Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung der TU Dresden und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden veröffentlichte der Humanmediziner und Wirtschaftswissenschaftler Ende 2021 eine umfangreiche Kosten-Effektivitäts-Analyse, die zusätzlich noch die Aufwendungen für die Zertifizierung der Zentren in die Berechnungen einbezog. Schlander führt aus: „Diese Kosten trägt der Betreiber der Einrichtung, also das Land oder die Stadt. Dazu zählen unter anderem auch Ausgaben für Verwaltung, Weiterbildung oder Dokumentation.“ Nach Auswertung der Daten von mehr als 6.000 Erkrankten mit einer Darmkrebsdiagnose zeigte sich, dass auch bei dieser Betrachtung die Behandlung in zertifizierten Zentren auf einzelne Patientinnen und Patienten bezogen kostengünstiger ist. „Damit haben wir nicht unbedingt gerechnet, und in dieser Form hat das noch niemand vor uns gezeigt“, erläutert Schlander das Ergebnis, das im International Journal of Cancer veröffentlicht wurde.1)

Auch für andere Tumorarten wie Brust-, Prostata- und Pankreaskrebs sowie Kopf-Hals-Karzinome konnten von den Dresdner Projektpartnern um Prof. Dr. Jochen Schmitt bereits zum Teil deutliche Überlebenszeitgewinne in zertifizierten Zentren gezeigt werden. Da für diese Krebsarten hinreichend detaillierte Informationen über die entstehenden Kosten vorliegen, wird in einem Heidelberger Folgeprojekt aktuell geprüft, wie sich für diese Krebsarten – beginnend mit Brustkrebs – das Kosten-Nutzen-Verhältnis in onkologischen Spitzenzentren darstellt.

Qualitätskorrigierte Lebensjahre als Bewertungskriterium

Blick von einem gepflasterten Platz mit Bänken auf das Hochhaus des DKFZ
DKFZ Hauptgebäude: Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ist eines von 15 onkologischen Spitzenzentren in Deutschland. © „DKFZ Hauptgebäude“, Tobias Schwerdt

In die Studien fließt der Wert einer Therapie allerdings nur in Form von verlängerter Lebenszeit ein, die objektiv messbar ist. Wie aber lässt sich die Qualität der Lebenszeit bestimmen? Und wie gewichtet man Qualität im Verhältnis zur Zeit? „Ein klassisches Problem der konventionellen Chemotherapie ist die Abwägung: wie viel Qualitätsverlust ist in gewissen Phasen akzeptabel, um anschließend eine Lebenszeitverlängerung zu erreichen? Ist das am Ende wirklich ein Nettogewinn an Nutzen?“, schildert Schlander die grundsätzlichen Fragen.

Bei gesundheitsökonomischen Betrachtungen werden deshalb häufig die qualitäts­korrigierten Lebensjahre, kurz QALYs (Quality-Adjusted Life Years), einbezogen, die den Nutzwert eines Lebensjahres angeben. Ein QALY von 1 entspricht dabei einem Jahr in völliger Gesundheit, 0 kennzeichnet das Versterben. Ein Lebensjahr in Blindheit wird beispielsweise mit 0,5 bewertet, also mit fünfzigprozentiger Lebensqualität gleichgesetzt; eine Gewichtung, die sicher von vielen Betroffenen so nicht unterstützt wird. Dennoch werden mithilfe der QALYs dann unterschiedliche Therapiekonzepte hinsichtlich ihrer „Effizienz“ verglichen.

Schlander sieht diese Methode kritisch, denn neben anderen Einschränkungen berücksichtigt sie insbesondere auch die sozioökonomischen Auswirkungen einer Erkrankung nicht. Obwohl Betroffene in Deutschland nur einen geringen Teil der Therapiekosten selber tragen müssen, haben sie - ebenso wie pflegende Angehörige – finanzielle Nachteile durch Einkommensausfälle. Die Krankheit belastet die gesamte Familie und wirkt sich häufig negativ auf die Entwicklung der Kinder aus. Diese Aspekte müssten in eine vollständige Kosten-Nutzen-Evaluation von Früherkennung, Diagnose und Therapie einfließen. Aus diesem Grund wurde auf Schlanders Initiative 2021 im Rahmen der gesundheitsökonomischen Arbeitsgruppe der Organisation Europäischer Krebsinstitute (OECI) eine Task Force gegründet, die einen methodischen Standard für zukünftige Studien zu dieser komplexen Thematik erarbeiten will.

Die Situation bei zertifizierten Darmkrebszentren ist bisher eindeutig: Sie arbeiten besser und kostengünstiger. Aber wie sieht es für andere Erkrankungen aus? Was ist, wenn die bessere Therapie deutlich teurer ist? Wie viel darf ein QALY kosten? „Auch die finanzielle Gleichbehandlung aller QALYs ist nur oberflächlich richtig. Therapien für seltene Erkrankungen sind sehr teuer, aber in unserer Gesellschaft werden diese Menschen glücklicherweise nicht zurückgelassen“, sagt Schlander. „Wie messen wir diesen sozialen Wert?“ Auf diese Fragen müssen nicht nur Gesundheitsökonomen, sondern die gesamte Gesellschaft Antworten finden, damit das VBHC-Konzept flächendeckend im Gesundheitssystem eingeführt werden kann.

Literatur:

1) Cheng, CY et al., (2021): Do certified cancer centers provide more cost-effective care? A health economic analysis of colon cancer care in Germany using administrative data. Int. J. Cancer 149, 1744–1754. DOI: 10.1002/ijc.3372

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/aufwaendige-gesundheitsversorgung-zahlt-sich-aus