Experteninterview
Bakterien-Zusammensetzung im Darm: Wie sinnvoll ist ein Test?
Mikroorganismen im menschlichen Darm scheinen zu Übergewicht, Entzündungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lebererkrankungen bis hin zu Krebs und psychischen Störungen beizutragen. Stuhltests zur Analyse der Darmflora werden im Internet bereits ab 130 Euro angeboten, inklusive individueller Ernährungsempfehlung. Die BIOPRO hat mit Prof. Dr. Nisar Malek, Universität Tübingen, gesprochen, wie sinnvoll solche Mikrobiomanalysen sind.
Professor Malek, ein Gramm menschlicher Fäkalien enthält schätzungsweise etwa 100 Milliarden Bakterien. Wie werden die verschiedenen Bakterienarten in Stuhlproben-Untersuchungen identifiziert?
Ich nehme an, die meisten Anbieter werden das 16S-rRNA-Gen der Bakterien analysieren, das sich von Art zu Art geringfügig unterscheidet. Die Analyse sagt aus, wie viele der verschiedenen Bakterien im Verhältnis zueinander im Stuhl vorhanden sind. Das ist keine tiefe genetische Analyse, um tatsächlich auch die enzymatische Ausstattung der Darmbakterien zu analysieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hat Mikrobiomanalysen, wie sie im Internet angeboten werden, in einer Stellungnahme als „teuer und sinnlos“ bezeichnet1. Was halten Sie als DGVS-Beiratsmitglied persönlich davon?
Die Stellungnahme teile ich zu hundert Prozent. Weder lässt sich derzeit aus der Analyse ein Hinweis auf spezifische Erkrankungen ableiten, noch gibt es verlässliche Verfahren, um im Anschluss daran die Zusammensetzung der Darmbakterien so zu verändern, dass Betroffene davon profitieren könnten. Im Moment spielen Mikrobiomanalysen weder in der Prävention noch in der Therapie eine Rolle.
Warum lässt sich denn aus der Mikrobiomanalyse für den Einzelnen so wenig ableiten?
Die Zusammensetzung des Mikrobioms verändert sich ja immer wieder, etwa durch die Ernährung oder bestimmte Lebensumstände. Wenn Sie den Anteil der Proteine, Fette oder Ballaststoffe in Ihrer Nahrung erhöhen oder vermindern, dann hat das Einfluss auf das Mikrobiom. Es ist sehr schwer zu sagen, ob Krankheitssymptome, die man bei Ihnen feststellt, tatsächlich zusammenhängen mit dem Verhältnis der Darmbakterien zueinander. Außerdem können wir im Moment noch nicht genau sagen, welche Darmbakterien sich positiv und welche sich negativ auswirken.
Ist es nicht so, dass Forscher einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Mikrobioms – also den Mikroorganismen, die in und auf uns leben – und bestimmten Erkrankungen vermuten?
Es gibt natürlich Hinweise aus Mausversuchen und auch aus einigen Untersuchungen am Menschen, dass bestimmte Bakterien unter bestimmten Bedingungen einen positiven Effekt haben könnten. Aber wir sind weit davon entfernt, zu sagen: Essen Sie dieses oder jenes und damit verändern Sie diese oder jene Bakterien und das hat dann diesen oder jenen Effekt! Das halte ich für völlig haltlos.
Warum steckt die Mikrobiomforschung hier noch in den Kinderschuhen?
Wir können viele Darmbakterien im Labor bislang gar nicht anzüchten. Deswegen wussten wir lange nicht, was da im Darm lebt. Es war sicherlich ein großer Fortschritt, dass wir jetzt durch die Möglichkeiten der Hochdurchsatz-Sequenzierung auch das Mikrobiom analysieren können, indem wir die entsprechenden genetischen Sequenzen der verschiedenen Bakterien nachweisen. Das Problem ist aber, dass das Mikrobiom von Mensch zu Mensch variabel ist und durch viele äußere Einflüsse reguliert wird. Das macht es schwierig, kontrollierte Bedingungen herzustellen, um wirklich eine Ursache-Wirkungs-Beziehung herzuleiten. Wir versuchen gerade durch das neue Institut für die Mikrobiom- und Krebsforschung hier in Tübingen weitere Hinweise zu bekommen, wie sich beispielsweise Mikrobiom- und Stoffwechselveränderungen auf die Tumorentstehung auswirken.
Sie meinen das sogenannte M3-Forschungsinstitut, das 2017 vom Bund, dem Land Baden-Württemberg und der Medizinischen Fakultät mit 55 Millionen gefördert wurde und zurzeit in der Nähe der Universitätsklinik gebaut wird2?
Genau. M3 steht dabei für die Begriffe „Malignom“, also bösartige Tumoren, „Metabolom“, das die Summe der Stoffwechselprodukte bezeichnet, und „Mikrobiom“.
Was weiß man denn inzwischen über den Zusammenhang von Krebs, Stoffwechselprodukten und Mikrobiom?
Das Mikrobiom bestimmt viele verschiedene Prozesse im menschlichen Körper mit. Für uns ist in diesem Zusammenhang besonders die Aufnahme und Verwertung von Nährstoffen über den Darm interessant. Abhängig von der Komposition der Darmbakterien werden zum Beispiel Fette unterschiedlich verstoffwechselt. Die entstandenen Metabolite gelangen aus dem Darm über die Pfortader als erstes in die Leber. Dort können sie zur Verfettung der Leber bis hin zu einem Leberkarzinom führen.
Kennen Sie weitere Beispiele?
Bestimmte kurzkettige Fettsäuren, die von manchen Bakterien aus der Nahrung gebildet werden, können auch direkt die Darmepithelzellen schädigen. Es ist bereits gezeigt worden, dass die Metabolisierung von Fetten zu Darmkrebs beitragen kann. Auch gynäkologische Tumoren scheinen durch die Zusammensetzung des Mikrobioms mit beeinflusst zu werden. Darüber hinaus gibt es mittlerweile sehr gute Daten, dass die Wirkung von Immuntherapien bei Krebs ebenfalls durch das Darmmikrobiom entscheidend beeinflusst wird.
Wie wollen die 18 vorgesehenen Forschungsgruppen des M3-Instituts den Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Krebs genauer untersuchen?
Wir können zum Beispiel keimfreie Mäuse mit bestimmten Bakterienstämmen des Darms besiedeln und dann die Auswirkungen auf die Verstoffwechselung von Nahrungsbestandteilen messen. Diese Versuche können noch mit der körperlichen Aktivität der Mäuse, mit einer diabetischen Stoffwechsellage und so weiter kombiniert werden. Das heißt, wir können in einer sehr kontrollierten Umgebung, auch unter Verwendung genetisch veränderter Mausstämme, den Einfluss von Mikrobiom, genetischer Komposition des Wirts und Umwelteinflüssen auf den Stoffwechsel und insbesondere auf die Tumorentstehung, etwa in der Leber, im Darm oder der Brust, untersuchen. Dadurch können wir Ursache-Wirkungs-Beziehungen nachweisen, und zwar auch reproduzierbar nachweisen.
Werden neben den Mikrobiomanalysen in der Maus noch weitere Methoden angewandt?
Ja, ganz wichtig für uns ist die Untersuchung von Stoffwechselprodukten. Dafür werden wir auch eine entsprechende Core-Facility aufbauen. Wir wissen, dass zum Beispiel im Fettstoffwechsel der Maus, aber auch des Menschen, nur ungefähr 20 Prozent der Metaboliten überhaupt bekannt sind. Den großen Rest kennen wir noch gar nicht. Und der hat mit Sicherheit großen Einfluss auf Stoffwechselprozesse, Signalweiterleitung und ähnliches. Das ist so ein bisschen Terra incognita. Wir werden auch Bildgebungsverfahren haben, mit denen wir den Verlauf von Tumorerkrankungen in der Maus sehr genau untersuchen können. Darüber hinaus werden Bioinformatiker und Mathematiker anhand der Ergebnisse aus dem Labor mathematische Modelle des komplexen Gesamtsystems aufstellen. Sie sollen uns helfen, die richtigen Wege für eine Beeinflussung des Systems zu finden.
Sind auch klinische Studien geplant?
Die werden sich aus diesen Ergebnissen hoffentlich ergeben. Das große Ziel ist, dass wir im M3 Grundlagenforschung, aber auch translationale Forschung machen. Und daraus versuchen wir, Ansätze für zielgerichtete Therapien zu identifizieren, die wir in klinischen Studien testen können. Die große Herausforderung liegt darin, das Mikrobiom in klinischen Studien auch beim Menschen reproduzierbar und stabil zu modulieren – wie im Mausmodell, und zu zeigen, dass wir über Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien einen Effekt erreichen können. Ich glaube aber nicht, dass diese Art von komplexer Mikrobiom-Modulierung die Zukunft sein wird.
Welche Therapie schwebt Ihnen stattdessen vor?
Ich denke, dass wir uns eher in Richtung einer prokaryotischen Pharmakologie, also Bakterien-Pharmakologie, bewegen. Über die Identifizierung von Metaboliten und Wirkstoffen, die unter dem Einfluss des Mikrobioms im Darm entstehen, werden wir eine Reihe chemischer Substanzen in die Hände bekommen. Diese werden wir nutzen können, um Erkrankungen wie etwa Diabetes, Krebs oder degenerative Erkrankungen zu beeinflussen. Dahin geht die Reise eher als über eine Mikrobiomanalyse und -manipulation.