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Nachhaltige Nahrungsmittelproduktion: Mikroorganismen erzeugen Nährstoffe in Bioreaktoren

CO2 und H2 als Ausgangsstoffe für Proteine und Vitamine

Landwirtschaftliche Flächen für die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung werden immer knapper. Als Ergänzung haben Forschende der Arbeitsgruppe Umwelt­biotechnologie der Universität Tübingen jetzt die nachhaltige Power-to-Vitamin-Technologie entwickelt, mit der protein- und vitaminreiche Nahrungsmittel aus Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff mit Hilfe von Mikroorganismen im Bioreaktor generiert werden können.

Seit Ende 2022 leben mehr als 8 Mrd. Menschen auf der Erde, und die Bevölkerung wächst weiter.1) Schon jetzt wird für ihre Versorgung etwa ein Drittel der weltweiten Landfläche agrarwirtschaftlich genutzt,2) entweder als Weide- (67 Prozent) oder als Ackerland (32 Prozent).3) In Deutschland beträgt der Anteil sogar rund die Hälfte, wobei hier die ackerbauliche Nutzung mit mehr als zwei Dritteln deutlich überwiegt.4) Pflanzen für die direkte Lebensmittel­produktion werden allerdings nur auf einem Viertel der Fläche kultiviert. Auf dem Rest werden Futtermitten für die Tierhaltung oder nachwachsende Rohstoffe vor allem für die Erzeugung von Biogas oder Biokraftstoffen angebaut.

Damit war die deutsche Landwirtschaft 2022 für die Freisetzung von 53,3 Mio. t Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten (CO2-Äq.) verantwortlich, was 7,1 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des Landes entspricht.4) Global betrachtet liegt der Anteil der Landwirtschaft am CO2-Fußabdruck noch wesentlich höher.

Bioreaktoren als Ergänzung zur Landwirtschaft

Porträtfoto einer freundlich lächelnden jungen Frau mit mittellangen blonden Haaren
In der Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie der Universität Tübingen entwickelten Dr. Lisa Marie Schmitz und ihr Team die nachhaltige Power-to-Vitamin-Technologie. Mithilfe von Mikroorganismen stellen sie aus Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff protein- und vitaminreiche Nahrungsmittel her. © Photo Preim

Um die Weltbevölkerung zukünftig ernähren zu können sowie den CO2-Ausstoß zu reduzieren, muss so schnell wie möglich ein Umdenken bei der Nahrungsmittelversorgung stattfinden. „Wir benötigen eine Ergänzung zur konventionellen Landwirtschaft. Wir müssen zusätzliche Nährstoffquellen erschließen, die zudem nachhaltig produziert werden“, betont Dr. Lisa Marie Schmitz aus der Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie unter der Leitung von Prof. Dr. Lars Angenent am Geo- und Umweltforschungszentrum (GUZ) der Universität Tübingen. „Vor allem die tierische Proteinproduktion verbraucht enorme Ressourcen.“ Zusammen mit ihrem Team entwickelte die Wissenschaftlerin deshalb ein Verfahren, das mit Hilfe von Mikroorganismen sowohl nahrhafte Proteine als auch diverse für den Menschen essenzielle Mikronährstoffe liefert und dabei CO2 verbraucht, statt es freizusetzen. „Wir benötigen keine landwirtschaftlichen Flächen, sondern nutzen Bioreaktoren“, beschreibt die Biotechnologin das innovative System.

Das neue Verfahren ist eine Weiterentwicklung der bereits vor einigen Jahren in der Gruppe erarbeiteten Power-to-Protein-Technologie. In einem ersten Reaktor werden spezielle Mikroorganismen kultiviert, in diesem Fall Bakterien der Spezies Thermoanaerobacter kivui. Hierbei handelt es sich um strikt anaerobe acetogene Lebewesen, die statt Sauerstoff die Moleküle CO2 und Wasserstoff (H2) aus der Gasphase aufnehmen und zu Acetat (CH3COO-) umwandeln, dem Anion der Essigsäure. Die Wissenschaftlerin erläutert: „Die Organismen sind sehr genügsam und benötigen keinerlei organisches Material für ihren Stoffwechsel. Wir geben sonst nur noch ein paar Salze sowie Ammonium als Stickstoffquelle dazu, aber beispielsweise keine Vitamine. Die Bakterien sind also hervorragend geeignet, um CO2 zu fixieren und daraus das organische Acetat herzustellen, das dann andere Organismen verwerten können.“

Acetat als Kohlenstoffquelle

Auf dem Foto sind mehrere große Glasflaschen mit gelblichen Flüssigkeiten zu sehen, die über viele Schläuche miteinander verbunden sind.
Zweistufiges Bioreaktor-System im Labormaßstab. Im linken Bioreaktor wird das Bakterium T. kivui kultiviert, im rechten die Hefe S. cerevisiae. In der vorderen Flasche befinden sich geerntete Hefen. © L.M. Schmitz

In einem zweiten Reaktor ziehen die Forschenden Zellen der in der Lebensmittelindustrie gebräuchlichen Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae an, die sie mit dem nachhaltig hergestellten Acetat füttern. Üblicherweise verstoffwechseln diese einzelligen Pilze Kohlenhydrate wie Glucose (C6H12O6). Sie sind aber durchaus in der Lage, auch andere C-Quellen zu nutzen. Seit einiger Zeit dienen die inaktivierten Organismen in Form von Hefeflocken als wertvolle Nahrungszusätze, da sie viele Proteine und Mikronährstoffe enthalten. „Konventionelle Herstellungsverfahren basieren aber immer auf Ackerbau, denn die zugesetzte Glucose wird aus pflanzlicher Stärke gewonnen“, erklärt Schmitz. Die auf Acetat gewachsenen Pilze besitzen im Vergleich zu verschiedenen Fleischsorten, Thunfisch oder Linsen mit etwa 40 Prozent einen wesentlich höheren Proteinanteil und sind somit gut als alternative Eiweißquelle geeignet.7)

Hefen produzieren wertvolle Folate

Des Weiteren analysierte ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Rychlik vom Lehrstuhl für Analytische Lebensmittelchemie der TU München den Gehalt an Folaten, einer Gruppe von Verbindungen, die umgangssprachlich auch als Vitamin B9 bezeichnet wird. Diese spielt eine entscheidende Rolle bei der Synthese von Nukleinsäurebausteinen sowie der Genregulation und ist unerlässlich für die Zellteilung und -differenzierung. Ein Mangel an Folaten tritt weltweit häufig auf und kann vor allem bei Schwangeren schwerwiegende Folgen für die Entwicklung des Kindes haben. Die Untersuchungen zeigten, dass S. cerevisiae bei Wachstum mit Acetat ähnliche Mengen an Folaten produziert wie in glucosehaltigem Medium.7) Besonders hohe Konzentrationen traten auf, wenn die Zellen durch Kopplung der beiden Bioreaktoren in einem kontinuierlichen System kultiviert wurden. In diesem wird den Hefen ständig frisches Acetat zugefüttert und gleichzeitig angereicherte Biomasse entnommen. Nur 6 g der aufgearbeiteten Hefezellen reichen aus, um den Tagesbedarf an Folat zu decken und können somit einer Mangelernährung entgegenwirken.

Auch die Zellen im zweiten Bioreaktor werden nur mit den wirklich nötigen Nährstoffen wie Salzen, Ammonium und einigen anderen Vitaminen versorgt, aber beispielsweise nicht mit Aminosäuren. „Je weniger wir füttern, desto langsamer wächst S. cerevisiae. Wir müssen ein gutes Verhältnis finden, sodass noch genügend Biomasse produziert wird“, erklärt die Erstautorin der in der Fachzeitschrift Trends in Biotechnology erschienenen Publikation. „Zukünftig wollen wir aber untersuchen, ob die Organismen auch andere Vitamine de novo synthetisieren können.“

In einer schematischen Zeichnung sind die beiden Bioreaktoren dargestellt sowie sämtliche Zu- und Abflüsse mit Bezeichnung der Inhaltsstoffe.
Schema des zweistufigen Bioreaktor-Systems zur Herstellung von protein- und folatreichen Nährhefen. Das Bakterium Thermoanaerobacter kivui synthetisiert aus CO2 und H2 sowie einigen Salzen und Ammonium organisches Acetat. Dies dient in einem zweiten Bioreaktor den Hefepilzen S. cerevisiae als Kohlenstoffquelle und ermöglicht deren Anreicherung sowie die Folatproduktion. Quelle: L. M. Schmitz, Trends in Biotechnology, https://doi.org/10.1016/j.tibtech.2024.06.014, CC-BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/), modifiziert von L. M. Schmitz

Industrielle Produktion

Die Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie der Universität Tübingen ist Teil des Novo Nordisk Foundation CO2 Research Center, das den Klimawandel durch Technologien zur Abscheidung, Speicherung und Wiederverwertung von CO2 abschwächen will.8) Im Rahmen dieser internationalen Kooperation wird das neuartige System demnächst in einer Pilotanlage in Dänemark in größerem Maßstab getestet und weiterentwickelt. Eine Herausforderung stellt vor allem die Gasfermentation im ersten Bioreaktor dar, denn hierbei handelt es sich um ein aufwendiges und in industriellen Anlagen wenig verbreitetes Verfahren. Im Gegensatz zu CO2 ist die Löslichkeit von H2 in Wasser sehr gering, sodass ein Prozess mit gutem Gastransfer etabliert werden muss. Vorteilhaft für die Produktion hingegen ist, dass es sich um thermophile Bakterien handelt, die bei 65 °C wachsen, sodass kaum Kühlung erforderlich ist.

Eine technoökonomische Analyse zeigte, dass das innovative Nahrungsmittel - auch bei konservativer Berechnung - preislich mit derzeit auf dem Markt vorhandenen Produkten mithalten kann. Vor allem der Strompreis fällt ins Gewicht, denn die elektrolytische Spaltung von Wasser für die H2-Produktion erfordert viel Energie, die idealerweise einmal aus erneuerbaren Quellen stammen wird. Das CO2 wird bisher noch eingekauft; zukünftig könnte eine Verwertung womöglich vergütet werden, was sich günstig auf den Preis auswirken würde. Schmitz betont: „Wir wollen die Landwirtschaft nicht ersetzen, sondern eine Ergänzung schaffen. Auch damit Produkte, die noch auf Feldern wachsen, wertvoller werden und Landwirte eine bessere Entlohnung bekommen.“

Bevor die Hefen zu den Verbrauchenden gelangen, müssen sie getrocknet und aufgeschlossen werden. Da sie viele Nukleinsäuren und damit Purine enthalten, die beim Menschen Gicht auslösen können, sowie einige potenzielle Allergene, ist für den Verzehr in größeren Mengen noch eine Aufreinigung nötig. Dienen sie nur als Zusatz in Müsliriegeln oder Joghurt, ist dies nicht zwingend erforderlich.

Die Nährhefen enthalten neben Proteinen und Folaten noch viele weitere essenzielle Mikronährstoffe wie Kalium, Calcium, Eisen, Zink sowie fast alle anderen B-Vitamine und können somit zu einer gesunden Ernährung beitragen. Sie sind zudem lange haltbar, und bei ihrer Produktion fallen kaum Abfallstoffe an.

„Unser System bietet eine generelle Plattform, mit der wir Acetat als Nährstoff für weitere Organismen testen können, die dann andere Endprodukte generieren“, hebt die Biotechnologin hervor.

Literatur:

1) UN-Bevölkerungsprognose : Wächst die Weltbevölkerung nur noch bis 2040? https://unric.org/de/weltbevoelkerung28032023/

2) statista: Entwicklung der weltweiten Agrarfläche und der weltweiten Waldfläche in den Jahren 1990 bis 2022. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1176219/umfrage/agrarflaechen-und-der-waldflaechen-weltweit/

3) statista: Entwicklung der globalen Ackerfläche und Weidelandfläche in den Jahren 1961 bis 2022. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1196555/umfrage/anbauflaechen-und-weideflaechen-weltweit/

4) Umweltbundesamt (2024): Umweltbelastungen der Landwirtschaft. https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft

5) Umweltbundesamt (2024): Weitere Emissionen der Landwirtschaft. https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/landwirtschaft-umweltfreundlich-gestalten/klimaschutz-in-der-landwirtschaft#emissionen-aus-dem-sektor-landwirtschaft

6) AOK (2023): Mit Hefeflocken Salz in der Ernährung reduzieren. https://www.aok.de/pk/magazin/ernaehrung/lebensmittel/wie-gesund-sind-hefeflocken-und-wie-werden-sie-verwendet/

7) Schmitz, L. M. et al. (2024): Power-to-vitamins: producing folate (vitamin B9) from renewable electric power and CO2 with a microbial protein system. Trends in Biotechnology, S0167-7799(24)00177-X. https://doi.org/10.1016/j.tibtech.2024.06.014

8) Universität Tübingen Aktuelles (2021): So wird CO2 zur wertvollen Ressource. https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/newsfullview-aktuell/article/so-wird-co2-zur-wertvollen-ressource/

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/co2-und-h2-als-ausgangsstoffe-fuer-proteine-und-vitamine