CureVac AG
CureVac als Pionier der mRNA-Technologie – Was steckt hinter dem neuartigen COVID-19-Impfstoff?
Alle Augen richten sich auf Impfstoffe gegen das Coronavirus. Pionierarbeit leistet hier das Tübinger Unternehmen CureVac, das voraussichtlich im Juni mit einem Impfstoffkandidaten in die klinische Phase startet. Gleichzeitig läuft die erste Produktion. Doch damit nicht genug: Die neuartige mRNA-Technologie kann auch die Therapie von Krebs- und Stoffwechselerkrankungen revolutionieren. Was macht die Methode so besonders?
Die Strategien auf der Suche nach einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 sind vielseitig. Nach bisherigen Erfahrungen dauern Neuentwicklungen viele Jahre bis Jahrzehnte. Neue Technologien und Vorkenntnisse mit verwandten Viren sollen die Überholspur nutzen. Weltweit konnten von über 130 initiierten Impfstoff-Projekten jedoch nur einige in präklinische oder klinische Studien übergehen. Ein großer Hoffnungsträger ist CureVac aus Tübingen. Seit Bekanntgabe der Sequenz von SARS-CoV-2 im Januar forscht das rund 470 Mitarbeiter große Biotech-Unternehmen unter Hochdruck an einem Impfstoff auf Basis der Boten-RNA (messenger RNA, mRNA). „Wir arbeiten seit fast 20 Jahren an der Entwicklung unserer mRNA-Plattform und können für die aktuelle COVID-19-Impfstoffentwicklung auf unsere Erfahrungen mit der Technologie zurückgreifen“, so Dr. Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer von CureVac.
Nutzung der körpereigenen Proteinfabrik
Gewünscht bei COVID-19 ist, das Immunsystem im Rahmen einer aktiven Immunisierung in Stellung zu bringen und das Virus unschädlich zu machen. Bei einer passiven Impfung werden Antikörper von außen als Akuttherapie zugeführt, die jedoch nach wenigen Wochen abgebaut werden. Die Immunantwort einer aktiven Immunisierung dagegen ist langanhaltend. Mehrere Verfahren sind möglich: Tot-Impfstoffe aus abgetöteten Erregern lassen sich einfach herstellen, allerdings kann hier das Immunsystem nicht immer vollständig aktiviert werden – in einigen Fällen wird sogar der Viruseintritt in die Zelle unterstützt. Lebend-Impfstoffe mit abgeschwächten Erregern bewirken meist eine gute Immunantwort, jedoch sind Entwicklungs- und Herstellungsverfahren aufwendig.
Es gibt eine vielversprechende Alternative: Genetische Impfstoffe, die die Baupläne für das Oberflächenprotein des neuen Coronavirus enthalten. Der Clou: Im Körper verimpft, können sie in Zellen abgelesen werden und so die entsprechenden Virusproteine selbst herstellen. DNA-Impfstoffe mit rekombinantem Virus-Antigen bergen jedoch ein unkalkulierbares Risiko durch Einbau von Fremd-DNA. Hier kommt CureVac ins Spiel: Der Impfstoff wird auf mRNA-Basis im Körper hergestellt – ohne Eingriff ins Genom. Denn RNA fungiert als Zwischenglied zwischen Genen und den Proteinen: DNA wird zunächst in mRNA umgeschrieben, die dann den Zellkern verlässt und im Zellplasma in Proteine übersetzt wird. „Wir können mit dem Biomolekül mRNA sowohl Medikamente als auch Impfstoffe im Körper produzieren lassen“, erklärt Fotin-Mleczek. Verglichen mit anderen Verfahren lassen sich Kandidaten zudem deutlich schneller generieren, entwickeln und kostengünstiger produzieren.
Revolutionäres Potenzial der mRNA-Technologie
CureVacs Wirkstoff-Kandidaten gegen das Tollwutvirus und Grippeviren haben in präklinischen Phasen bei geringer Dosierung Verträglichkeit und Schutz vor einer entsprechenden Virusinfektion in Tiermodellen gezeigt. Auch in klinischen Phase-1-Studien konnte CureVac nachweisen, dass niedrig dosierte Kandidaten gegen das Tollwutvirus bei allen getesteten Freiwilligen eine ausgewogene Immunantwort hervorrufen. Dies zeigt sich in einer hohen Anzahl an virusneutralisierenden Titern und T-Zellen – der Traum jedes Wissenschaftlers in der prophylaktischen Impfstoffentwicklung. Denn hier ist eine vollständige Immunreaktion gewünscht: B-Lymphozyten bzw. sezernierte Antikörper sowie T-Killerzellen, regulatorische T-Zellen und Gedächtniszellen sollen aktiviert werden. „Auch bei SARS-CoV-2 haben die präklinischen Studien in Tiermodellen bei einer Dosierung von nur zwei Mikrogramm positive Ergebnisse gezeigt“, zeigt sich Mariola Fotin-Mleczek erfreut.
Die entscheidende Herausforderung besteht darin, die künstlich hergestellte mRNA stabil aufzubereiten. Reine RNA wird im Blut der Geimpften von Fresszellen und Enzymen schnell zerstört. Selbst RNA, die durch molekularbiologische Trägerviren eingeschleust wird, kann nach dem Verschmelzen mit der Zellmembran als Eindringling erkannt und entsorgt werden. CureVac hat eine Optimierungs-Technologie entwickelt: Das Biomolekül wird an beiden Enden modifiziert, um es stabil zu machen. Auch der sogenannte Open-Reading-Frame, welcher das gewünschte Protein codiert, wird angepasst. Die RNA erhält eine stärkende Startersequenz, damit sie in der Zelle bevorzugt abgelesen wird. Wiederholungssequenzen stellen sicher, dass ausreichend große Mengen des gewünschten Proteins hergestellt werden.
Das RNA-Konstrukt muss noch verpackt werden, um in die Zelle gelangen zu können. Dazu verwenden die Biotechnologen bei CureVac Lipid-Nanopartikel (LNPs). Sie müssen arglos erscheinen, denn mit der verpackten RNA sind sie ziemlich groß. Mit ihrer der Zellmembran ähnlichen Lipidbasis soll kein Abwehrsturm des Immunsystems provoziert werden. Lediglich Fresszellen gehen auf die Lipidpartikel los und verdauen sie. Doch die CureVac-RNA ist jetzt gewappnet: Einige der modifizierten RNA-Schnipsel werden in der Zelle in das gewünschte Antigen übersetzt, das das Immunsystem alarmiert. So werden neutralisierende Antikörper und T-Zellen in Stellung gebracht, die zukünftig vor einer Virusinfektion schützen. „Während der klinischen Studie-1 an Patienten mit dem Tollwutvakzin konnten wir auch noch viele Wochen nach Impfung im Blut der Patienten neutralisierende Antikörper nachweisen, die die Tollwutviren unschädlich machen“, so Fotin-Mleczek. Eine solche Reaktion wünscht man sich nun mit dem Coronavirus-Konstrukt gegen das Spike-Oberflächenprotein, welches den Andockprozess der Viren an der Wirtszelle hemmt und somit einen Infektionsschutz bietet.
Vom universellen Konstrukt zum Multiplayer
Das Prinzip, Baupläne mit der Plattform-Technologie maßzuschneidern und in Zellen einzuschleusen, lässt sich auf viele Indikationen übertragen. So kann man bei Stoffwechselkrankheiten fehlende Enzyme herstellen lassen. Für die Krebsimmuntherapie werden Immunzellen auf Tumorzellen ausgerichtet. Dazu werden nach einer Biopsie des Patienten Oberflächenproteine entarteter Zellen identifiziert und optimierte mRNA gegen diese Merkmale hergestellt und verimpft. CureVac testet bereits einen Wirkstoff in einer Phase-1-Studie zur Dosiseskalation, gerichtet gegen die Tumorumgebung bei fortgeschrittenem Melanom, Plattenepithelkarzinom oder adenoidzystischem Karzinom. Ein weiterer Impfstoffkandidat, entwickelt in Zusammenarbeit mit Boehringer Ingelheim, greift sechs Antigene an, die häufig bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs exprimiert werden.
„Für jeden Anwendungszweck bauen wir auf einer gemeinsamen Technologieplattform sowie Ausgangsmaterialien auf und entwickeln spezialisierte Systeme“, erklärt die promovierte Biologin, die in den Bereichen Onkologie, Infektionskrankheiten und Proteintherapie die Entwicklung und präklinische Prüfung der mRNA-Technologie mit vorangetrieben hat. „Für die Krebsimmuntherapie nutzen wir ein spezielles Transportsystem, das dem Körper eine virale Infektion vortäuscht und so – zusammen mit der optimierten mRNA für Tumorantigene – das Immunsystem optimal anspricht. Zusätzlich greifen unsere spezifischen RNA-Konstrukte die Krebszellen auch direkt an und verändern gezielt die Umgebung des Tumorgewebes, um das Immunsystem auf den Tumor auszurichten“, erklärt Fotin-Mleczek die beiden Prinzipien Tumorvakzinierung und Immunmodulation.
Im Fokus: COVID-19-Impfstoff
Entscheidend für jede Indikation ist auch der Weg und die Art der Immunantwort. Während bei der Therapie seltener Erbkrankheiten keine Immunzellarmada und Antikörperproduktion eingeleitet werden soll, ist dies bei der Impfstoffentwicklung gewünscht. Dazu muss auch die Applikationsart genau abgestimmt werden, da eine subkutane Applikation eine andere Wirkung ausüben kann als eine intramuskuläre.
Als One-Stop-Shop umfasst CureVac, das bisher über rund 700 erteilte Patente verfügt, den kompletten Prozess von der Entdeckung bis zur GMP-Produktion. Der mRNA-Technologieführer hat bereits große Wirkstoffmengen für seinen Impfstoffkandidaten gegen COVID-19 hergestellt. Abhängig von der finalen Dosierung ist eine Herstellung von mehreren hundert Millionen Dosen pro Jahr möglich – ein großer Vorteil gegenüber Impfstoffen, die aus Fermentationen gewonnen werden.
Bislang ist noch kein Medikament oder Impfstoff aus mRNA zugelassen, denn die Technologie befindet sich noch in relativ früher Entwicklung. Dennoch werden ihr große Chancen eingeräumt, was auch die finanzielle Unterstützung mit bis zu 80 Millionen Euro durch die EU widerspiegelt. Zudem wird CureVac durch die Bill & Melinda Gates Stiftung und der CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) unterstützt. Erste Ergebnisse aus der Phase-1-Testung zur Verträglichkeit und Sicherheit an Freiwilligen werden nach einigen Wochen erwartet. In den folgenden Phasen 2 und 3 sollen dann zusätzlich Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Dosisfindung sowie Erfassung eines Nebenwirkungsprofils an mehreren tausend Probanden gewonnen werden. CureVacs Engagement und Firmenphilosophie bringt Fotin-Mleczek auf den Punkt „Wir möchten mit unserer Expertise und Technologie sowohl Krankheiten als auch Epidemien, wie COVID-19, wirksam begegnen, um Menschen vor gesundheitlichen Bedrohungen zu schützen“. Das Segel aus Baden-Württemberg ist gesetzt, bereit für die große Weltreise. Es bleibt spannend.
Mithilfe seines Spike-Proteins bindet SARS-CoV-2 an den Rezeptor ACE2 auf den Zelloberflächen des Lungengewebes. Weitere Kofaktoren sind nötig, damit das Virusgenom in die Zellen eindringen und vermehrt werden kann. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge kann helfen, den Verlauf der Infektion zu verstehen und Gegenstrategien zu entwickeln. Das Unternehmen Trenzyme hat dazu ein rekombinantes Spike-Protein zur Unterstützung der Forschung hergestellt.