Hummingbird Diagnostics GmbH
Das große Potenzial blutbasierter microRNA-Analysen
„Der frühe Vogel fängt den Wurm“, diese Redewendung beschreibt die Motivation der Hummingbird Diagnostics GmbH aus Heidelberg sehr treffend. Das mittelständische Biotechnologie-Unternehmen analysiert spezielle Biomarker im Blut, sogenannte microRNAs, um frühzeitig den Ausbruch von Erkrankungen diagnostizieren sowie Prognosen über Krankheitsverlauf und Therapieerfolg erstellen zu können.
Nukleinsäuren bilden neben Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten die vierte große Gruppe der Biomoleküle. In Form von Desoxyribonukleinsäuren (DNA) dienen sie zur Speicherung der genetischen Information und liegen beim Menschen als lange, doppelsträngige Fäden eng verpackt im Zellkern vor. Abhängig vom Zelltyp werden unterschiedliche Abschnitte der DNA abgelesen. Bei diesem als Transkription bezeichneten Vorgang wird die entsprechende Sequenz in einzelsträngige Ribonukleinsäure (RNA) umgeschrieben, die dann aus dem Kern ins Cytoplasma gelangt. Nur etwa zwei Prozent der RNA-Moleküle enthalten den Bauplan für Proteine (mRNA), die restlichen Transkripte sind entweder Komponenten der Proteinsynthesemaschinerie (rRNA, tRNA) oder besitzen regulatorische Funktionen. Zu Letzteren zählen die kurzen, meist nur aus 21 bis 23 Nukleotidbausteinen zusammengesetzten microRNAs (miRNAs). Durch Anlagerung an regulatorische Bereiche der mRNA beeinflussen sie die Übersetzung in Proteine und steuern auf diesem Weg eine Vielzahl an zellulären Prozessen.
miRNAs als neuartige Biomarker
Bei vielen Erkrankungen sind die biologischen Vorgänge innerhalb einer Zelle aus dem Gleichgewicht geraten, was sich in einer veränderten Expression der miRNAs widerspiegelt. Die im peripheren Blut leicht zugänglichen und sehr stabilen miRNAs eröffnen damit neue, nichtinvasive Diagnosemöglichkeiten. „microRNAs sind wunderbare Biomarker“, schwärmt Jochen Kohlhaas, CEO von Hummingbird Diagnostics. „Als Masterregulatoren der Genexpression spielen sie eine wesentliche Rolle bei veränderten Gesundheitszuständen. Nicht nur bei Krebs, Herz- oder neurodegenerativen Erkrankungen, sondern auch beim Altern. Es gibt viele Ansätze in der Forschung, allerdings haben sich Analyse und Bewertung von miRNAs mit den zur Verfügung stehenden Technologien in der Praxis als schwierig erwiesen. Hier sind robuste, standardisierte Verfahren essenziell.“
Entwicklung einer robusten Plattform
Diese Erfahrung haben die Forschenden von Hummingbird Diagnostics selbst gemacht. Bereits 2011 – damals noch unter dem Namen febit, bzw. Comprehensive Biomarker Center (CBC) – analysierte das Unternehmen die im Vollblut vorhandenen miRNA-Profile von gesunden und erkrankten Personen.1) Die Untersuchungen schlossen Probandinnen und Probanden mit unterschiedlichen Tumoren, Multipler Sklerose sowie Herzerkrankungen ein und offenbarten eine Vielzahl an generellen, krankheitsassoziierten Veränderungen in der miRNA-Signatur. Durch Anwendung von Bioinformatik war es zudem möglich, einzelne krankheitsspezifische miRNA-Moleküle zu identifizieren. Basierend auf diesen und weiteren Ergebnissen startete Hummingbird Diagnostics eine Studie zur Früherkennung von Lungenkarzinomen in den USA, die allerdings nicht die erhofften Resultate lieferte. Dies lag vor allem am massiven Auftreten von sogenannten Batch-Effekten, also Einflüssen nichtbiologischer Faktoren wie Handhabung, Laborbedingungen oder Materialunterschieden, auf das Ergebnis. „2019 sind wir deshalb nochmal zurück auf Los gegangen und haben sämtliche Arbeitsschritte von der Probennahme und -lagerung über die Aufarbeitung bis zur Analyse adaptiert und so eine stabile Plattform geschaffen“, erläutert Kohlhaas. „Hummingbird hat dabei erhebliche Ressourcen aufgewendet, um einen weitgehend automatisierten, pipettierfreien Arbeitsablauf zu implementieren, der robust und reproduzierbar ist. Mit firmeneigenen molekularbiologischen Methoden ist uns jetzt die Erfassung von mehr miRNAs gelungen als dies bei der Vollblutanalyse jemals möglich war.“
Die verbesserte Technologie liefert in der derzeit laufenden Studie zur frühzeitigen Diagnose von Lungenkrebs bereits vielversprechende Ergebnisse. Des Weiteren arbeitet Hummingbird Diagnostics aktuell an einem Nachweis zur Früherkennung der Alzheimer-Erkrankung, wofür das Unternehmen finanzielle Unterstützung von der Alzheimer’s Drug Discovery Foundation (ADDF) erhält.
Therapieprognose durch miRisk
Die neue Plattform besitzt allerdings noch deutlich mehr Potenzial, wie die im April 2022 im Nature-Partnerjournal npj Precision Oncology erschienene Publikation zeigt.2) In der zugrunde liegenden Studie nutzt Hummingbird Diagnostics die miRNA-Analyse aus Vollblut, um eine Prognose zu den Erfolgsaussichten von Immuntherapien beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) zu erstellen. In diesem Stadium hat der Tumor bereits Metastasen gebildet, und es bestehen mit konventionellen Behandlungsmethoden kaum noch Heilungschancen. Seit einigen Jahren werden hier deshalb neuartige Wirkstoffe angewandt, sogenannte Checkpoint-Inhibitoren, die das körpereigene Immunsystem aktivieren. Viele Tumorzellen besitzen auf ihrer Oberfläche das Molekül PD-L1 (Programmed Death-Ligand 1), mit dem sie an den PD-1 Rezeptor der Immunzellen binden und diesen hemmen. Durch die Gabe von monoklonalen Antikörpern lässt sich diese Blockade verhindern, sodass die Tumorzellen wieder angegriffen und vernichtet werden können. Hierbei handelt es sich allerdings um eine recht unspezifische Stimulierung des Immunsystems, weshalb diese Therapien schwere Nebenwirkungen haben können. Zudem führen sie nur bei etwa 30 Prozent der Erkrankten zum Erfolg, auch wenn vorher durch Gewebeuntersuchungen sichergestellt wurde, dass mindestens 50 Prozent der Tumorzellen PD-L1 auf ihrer Oberfläche tragen (Tumor Proportion Score, TPS > 50).
Da Immunzellen im Blut durch den ganzen Körper zirkulieren, lassen miRNA-Analysen aus Vollblut auch Rückschlüsse auf den Immunstatus einer Person zu. Dem Team um Dr. Bruno Steinkraus, CSO bei Hummingbird Diagnostics, ist es jetzt gelungen, anhand von nur fünf spezifischen miRNAs einen Risiko-Score zu erstellen, der bei Personen mit NSCLC eine Prognose zur Wirksamkeit der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ermöglicht. Die Vorhersagekraft von miRisk (miRNA Risk Score) ist dabei dem TPS deutlich überlegen. „Wenn ich den 70 Prozent der Behandelten [bei denen die Therapie nicht anschlägt] den Schmerz ersparen kann und zielgerichtet die Personen finde, bei denen sie hilft, dann ist das ein Riesenfortschritt“, führt Kohlhaas aus. „Abgesehen davon erhöht sich die Kosteneffizienz beträchtlich.“
Patientenfreundliche Diagnostik
miRisk hat zudem den Vorteil, dass keine operative Entnahme von Tumorgewebe erforderlich ist und die Methode dementsprechend breitflächiger zum Einsatz kommen kann. Überdies lassen sich mit ihr auch Erkrankte identifizieren, die nach dem bisherigen Verfahren ausgeschlossen wären, aber voraussichtlich von der Therapie profitieren würden.
Der Risiko-Score konnte nur durch die gute Zusammenarbeit mit verschiedenen Kliniken in Deutschland entwickelt werden. „Mit der Thoraxklinik Heidelberg und der LungenClinic Grosshansdorf hatten wir renommierte Kooperationspartner mit hoher Expertise bei Immuntherapien“, berichtet Kohlhaas. Nun soll die Vorhersagekraft der Methode an weiteren, mit Checkpoint-Inhibitoren behandelbaren Krebsarten untersucht werden und zeigen, ob miRisk universell einsetzbar ist. „Wir hoffen, dass wir mit miRisk Ende 2023 an den Markt gehen können.“ Der Einsatz wird vermutlich zunächst in den USA als Laboratory Developed Test (LDT) zur Verwendung im eigenen Diagnostiklabor beginnen. Langfristig ist die Entwicklung eines Test-Kits denkbar, um die Technologie weltweit leicht zugänglich zu machen.
„Unsere eigentliche Stärke ist die Entwicklung. Wir haben ein fantastisches Assay-Development-Team, großartige Laborkräfte sowie hervorragende Machine Learning-, Artificial Intelligence-Experten und Bioinformatiker“, beschreibt Kohlhaas das zurzeit aus knapp 20 Mitarbeitenden bestehende Unternehmen. „Mit unserer miRNA-Entdeckungsplattform haben wir ein Tool entwickelt, das präzise molekularbiologische Messungen mit tiefgreifendem Maschinellen Lernen und biologischer Bestätigung verbindet.“ Dies sind ideale Voraussetzungen, damit Hummingbird Diagnostics in den nächsten Jahren weitere Tests entwickeln kann, um auch auf anderen Gebieten frühzeitig krankheits- bzw. therapierelevante miRNAs zu „picken“.