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Epifadin aus Nasenmikrobiom

Der aus der Nase stammt: Neuartiger antibiotischer Wirkstoff entdeckt

Antibiotika werden zu einer zunehmend stumpfen Waffe gegen Infektionskrankheiten. Seit Jahren steigt die Zahl der (multi-)resistenten Keime rasant an, und selbst Reserveantibiotika wirken nicht mehr so gut. Die Suche nach neuen Medikamenten und Behandlungsstrategien läuft auf Hochtouren. Nun haben Forschende der Universität Tübingen mit Epifadin einen völlig neuartigen antibiotischen Wirkstoff aus dem Mikrobiom der menschlichen Nase isoliert, der gegen vielerlei Bakterien – beispielsweise auch den gefährlichen Krankenhauskeim MRSA – effizient wirkt.

Antibiotika sind Medikamente zur Behandlung bakterieller Infektionen, wie zum Beispiel Lungenentzündung, Wund- oder Harnwegsinfektionen. Eigentlich zur Hemmung von Konkurrenten im natürlichen Stoffwechsel von Mikroorganismen gebildet, besteht die Strategie je nach Substanz darin, die Konkurrenz entweder am weiteren Wachstum zu hindern oder sie komplett zu eliminieren – etwa durch Hemmung der Zellwandsynthese.

Die beiden Forschenden in Laborkitteln im mikrobiologischen Labor, einen Glaskolben mit beigefarbenem Epifadin betrachtend.
Dr. Bernhard Krismer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin Tübingen (IMIT) und Prof. Dr. Stephanie Grond vom Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen haben mit ihren Teams an der Isolierung des antibiotischen Wirkstoffs Epifadin gearbeitet. © Jörg Jäger, Universität Tübingen

Bis heute wurden mehr als 90 gegen unterschiedliche Bakterienarten wirksame Antibiotika entwickelt– ein beachtlicher Erfolg, der allerdings seit über 20 Jahren stagniert.1) Für die Zukunft ist zwar mit neuen Substanzen zu rechnen, jedoch werden viel mehr gebraucht als die Entwicklungspipeline derzeit hergibt, vor allem mehr Präparate mit neuartigen Wirkmechanismen. Der Hauptgrund dafür: Resistenzen. Entwickelt haben sich diese durch jahrelange häufige Verordnung, nicht ordnungsgemäße Einnahme und dem massenhaften Einsatz in der Tier- und Pflanzenzucht.

Was in Einzelfällen nicht so schlimm wäre, wächst sich jedoch zunehmend zur Katastrophe aus, denn Resistenzen werden über das bakterielle Genom an die nächsten Generationen weitervererbt. So werden einst hochwirksame Medikamente zunehmend wirkungslos, und die Bakterien passen sich auch an Modifizierungen immer wieder neu an. Die Antibiotikaresistenz gilt mittlerweile als eine der größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit und verursacht enorme Kosten.2) Besonders gefährlich sind Bakterien, die gegen mehrere Antibiotika unempfindlich sind – die multiresistenten Keime (z.B. Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, MRSA).

Epifadin als Waffe gegen Konkurrenten im Nasenmikrobiom

Nahaufnahme eines Glaskolbens mit dem weißen pulverförmigen Antibiotikum Epifadin.
Epifadin – ein neuartiger antibiotischer Wirkstoff in Reinform. Wegen seiner Instabilität muss er unter Schutzglas gelagert werden. © Jonas Ritz, Universität Tübingen.

Forschende des Exzellenzclusters „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) der Universität Tübingen sind nun einer völlig neuen antibiotischen Substanz plus potenziellem innovativem Wirkmechanismus gegen den gefürchteten Krankenhauskeim MRSA und weitere Bakterienstämme auf der Spur: Epifadin, einen Wirkstoff, den sie bereits vor Jahren in der menschlichen Nase entdeckten. Kürzlich konnten sie ihn als Reinsubstanz isolieren. „Epifadin ist sehr instabil, deshalb hatten wir zunächst Probleme. Die Gewinnung der Reinsubstanz hat deshalb enorm viel Zeit in Anspruch genommen“, berichtet Dr. Bernhard Krismer, Arbeitsgruppenleiter vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin Tübingen (IMIT). „Gemeinsam mit der Organischen Chemie sind uns schließlich Anreicherung, Isolierung und Lagerung trotz der kurzen Haltbarkeit gelungen, sodass wir die Reinsubstanz charakterisieren konnten.“

Krismer und sein Team beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Mikrobiom der menschlichen Nase. Beispielsweise mit der Frage, warum Staphylokokken ausgerechnet dort vorkommen – unter anderem auch Staphylococcus aureus, jedoch nur bei einem Drittel aller Menschen. Unterschiede in der Nährstoffversorgung konnten diesen Unterschied nicht erklären, wie ursprünglich vermutet.

Die Forschenden untersuchten hierfür nasale Sekretproben, aus denen sie auch die enthaltenen Bakterien isolierten. „Als klar war, dass die Zusammensetzung des Sekrets nicht für diese Variation verantwortlich war, erschien es uns naheliegend, dass es Keime im nasalen Mikrobiom gab, die die Fähigkeit haben, andere zu verdrängen“, erklärt Krismer. „Wir haben unsere Sammlung gegen eine Vielzahl an Bakterien getestet. Dabei fielen uns zwei Stämme auf, die MRSA im Wachstum hemmten: Staphylococcus lugdunensis, unser erstes Forschungs-Highlight mit dem antibiotischen Wirkstoff Lugdunin3) und ein Staphylococcus-epidermidis-Stamm mit dem Wirkstoff Epifadin4), den wir aber wegen seiner mangelnden Stabilität erst einmal hinten anstellten. Die Isolierung von wenigen Mikrogramm Epifadin aus mehr als 100 l Ausgangsvolumen glich schon einer Doktorarbeit, hat das Projekt sehr in die Länge gezogen und bereitet natürlich auch jetzt noch Probleme. Derzeit sind Chemiker deshalb dabei, synthetische Derivate mit besserer Haltbarkeit herzustellen.“

Dreiteiliges Polypeptid mit chemischem Neuheitswert

Kolonien des Keims als beigefarbene Kugeln auf dunkelgrauem Hintergund.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Staphylococcus epidermidis. Der Bakterienstamm lebt unter anderem in der menschlichen Nase und produziert Epifadin. © Jeremiah Shuster, Universität Tübingen, Tübingen Structural Microscopy Core Facility / Kolorierung: Elke Neudert, Universität Tübingen

Nicht nur wegen seiner Kurzlebigkeit von nur wenigen Stunden gilt Epifadin als völlig innovativer Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse. Auch seine Polyenstruktur (also eine Verbindung mit mehreren C=C-Doppelbindungen) hat chemischen Neuheitswert. Das komplette Molekül besteht aus drei Komponenten: erstens einem Kopf aus fünf Aminosäuren, zweitens der Polyenkomponente und zuletzt einer modifizierten Aminosäure - einer Tetramsäure -, die vermutlich ähnlich wie ein Sprengkopf auf fremde Zellen wirkt. „Diese Baustoffkombination zu einem Polypeptid ist bisher chemisch so nicht bekannt“, so der Mikrobiologe. „Damit kennen wir jetzt auch die kritische Bruchstelle, die wir chemisch verändern müssen. Es handelt sich um die Polyenstruktur, die äußerst lichtsensitiv ist.“

In mikroskopischen Untersuchungen konnten die Forschenden beobachten, dass Epifadin sehr schnell zur Lyse von Zellen der MRSA-Zellen führte. Allerdings ist noch ungeklärt, welcher Mechanismus hier zugrunde liegt; eventuell könnte die Substanz die Membran irreparabel schädigen. Dies soll nun in Folgestudien geklärt werden, sobald synthetische Moleküle mit entsprechender Struktur und Wirkung wie Epifadin zur Verfügung stehen und so stabil sind, dass weitere biologische und chemische Analysen durchführbar sind. Aktuell arbeitet das CMFI-Team an der Erforschung des Resistenzmechanismus – eine nicht unwesentliche Frage, die sich bei jedem neuen Antibiotikum stellt.

Natürliches Breitbandantibiotikum, über das der Körper sowieso schon verfügt

Was allerdings jetzt schon klar ist: Bei der vom Bakterium Staphylococcus epidermidis, das natürlicherweise auf der Haut und Nasenschleimhaut fast aller Menschen vorkommt, produzierten Substanz Epifadin handelt es sich um ein äußerst breit wirkendes Antibiotikum gegen vielerlei konkurrierende Stämme. Dabei muss die instabile Struktur mit nur wenigen Stunden Aktivität in der Praxis nicht unbedingt als Nachteil angesehen werden. Was vermutlich als Mittel zur Begrenzung von Kollateralschäden bei den bakteriellen Gegenspielern gedacht ist, könnte auch beim Menschen Schäden und Nebenwirkungen verhindern, wie dies bei aktuellen Behandlungen mit Breitbandantibiotika häufig der Fall ist.

Was die Anwendung in der Praxis angeht, so wäre es eventuell denkbar, epifadinproduzierende Staphylokokken einmal lokal als Probiotikum in der Nase oder auf der Haut anzusiedeln und damit das Wachstum von Krankheitserregern zu unterdrücken. Auf diese Weise würde man bakteriellen Infektionen mit natürlichen Mitteln vorbeugen, könnte damit beispielsweise MRSA aus der Nasenschleimhaut von Risikopatienten eliminieren. Überhaupt wäre das eine äußerst vielversprechende neue Strategie für die Zukunft, wie Krismer sagt: „Dies wird in weiteren Arbeiten einer unserer Ansätze sein – kompetitive Bakterien zu applizieren und als Besiedler zu nutzen, um Problemkeime damit langfristig ausschalten zu können.“

Infokasten: Tübinger Entdeckung – zwei neue antibiotische Wirkstoffe

Bereits 2016 wurde an der Universität Tübingen ein bislang unbekannter antibiotischer Wirkstoff mit einzigartiger Struktur entdeckt: Lugdunin aus Staphylococcus lugdunensis. Weitere Forschungsarbeiten dazu sind im Gange: Derzeit wird die Möglichkeit angestrebt, die Bakterien nach GMP-Richtlinien zu produzieren, um sie Freiwilligen in die Nase zu applizieren und eine Eliminierung von Staphylococcus aureus zu erzielen.

Mit Epifadin aus Staphylococcus epidermidis IVK83 ist nun ein zweiter Vertreter einer unbekannten Mikroorgansimen-abtötenden Wirkstoffklasse identifiziert.

An den Arbeiten waren folgende Forschungseinrichtungen beteiligt:

Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin IMIT, Universität Tübingen mit Prof. Dr. Andreas Peschel, Dr. Bernhard Krismer, Prof. Dr. Heike Brötz-Oesterhelt und Arbeitsgruppen.

Institut für Organische Chemie, Universität Tübingen mit Prof. Dr. Stephanie Grond und Arbeitsgruppe.

Literatur:

1) Verband forschender Pharma-Unternehmen: Antibiotika: Bestandsaufnahme zu Präparaten und Unternehmen (2022). https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/antibiotika/neue-antibiotika

2) Antimicrobial Resistance Collaborators. (2022): Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis. The Lancet; 399 (10325): P629-655. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02724-0

3) Zipperer, A. et al. (2016): Human commensals producing a novel antibiotic impair pathogen colonization. Nature 535, 511–516. https://doi.org/10.1038/nature18634

4) Salazar, B. et al. (2024): Commensal production of a broad-spectrum and short-lived antimicrobial peptide polyene eliminates nasal Staphylococcus aureus. Nature Microbiology 9, 200-213. https://doi.org/10.1038/s41564-023-01544-2

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