Digitalisierung in der Medizin
DiHeSys geht Schritte in Richtung Anwendung
Die Digital Health Systems GmbH (DiHeSys) hat ihre Gründungsphase verlassen und ist in eine neue Entwicklungsstufe getreten. Das zeigen eine Personalie, eine strategische Kooperation und erste Pilotprojekte.
Zum 01. Juni 2020 ist der Gesellschafter Prof. Dr. Christian Franken ins operative Geschäft eingestiegen. Als zweiter Geschäftsführer neben Firmengründer Dr. Markus Dachtler verantwortet er die Bereiche Marketing, Vertrieb, Business Development und Kommunikation. „Ich möchte selber noch mal aktiv etwas groß machen“, erklärt er. Er will die noch kleine Firma auf der grünen Wiese aufbauen, skalieren und mit sinnvollen Geschäftsmodellen in den Märkten integrieren.
Franken war lange Jahre Chefapotheker bei Europas größter Online-Apotheke DocMorris, die er Ende April 2020 verließ. In seiner 13-jährigen Tätigkeit lotete er die Machbarkeit pharmazeutischer Digitalisierung aus. Die digitalisierte Herstellung von Arzneimitteln - spätestens seit dem ersten gedruckten und zugelassenen Arzneimittel 2015 in der Branche ein Thema - hält er für „extrem zukunftsrelevant“, weil sie Patientenzentrierung und Digitalisierung zusammenbringe.
Strategische Allianz mit Global Player Höfliger
Mit der Harro Höfliger Verpackungsmaschinen GmbH aus Allmersbach im Tal (Rems-Murr-Kreis) hat das Ulmer Start-up im Frühjahr 2020 eine strategische Allianz geschlossen. Der württembergische Partner ist ein global tätiges Unternehmen im Bereich Pharma-Engineering. Mit dessen Ingenieuren will DiHeSys GMP-konforme Dosiersysteme für den 2D- und 3D-Druck entwickeln. Damit will man patientenindividuelle Dünnfilme und Tabletten für die breite Anwendung in Kliniken und öffentlichen Apotheken herstellen. Inzwischen beteiligt sich Höfliger auch als Gesellschafter finanziell am Start-up mit einer nicht genannten Summe.
Denn in Zukunft verordnen und produzieren Mediziner und Apotheker individualisierte Arzneimittel, davon sind die DiHeSys-Verantwortlichen überzeugt. Mithilfe persönlicher Patientendaten wie Gewicht, Größe und Lebensgewohnheiten ließen sich so Medikamente beispielsweise direkt in der Apotheke herstellen. Die Partnerschaft mit Höfliger sieht auch einen Service vor, der gewährleistet, dass die Pharmadrucker vor Ort reibungsfrei arbeiten und die Produktion sicher und ohne Störungen abläuft. Die unter der DiHeSys-Marke zu vertreibenden Pharmadrucker visieren den globalen Markt an.
Inzwischen haben beide Unternehmen das Gehäuse des Pharmadruckers entwickelt, der sowohl 2D als auch 3D drucken kann. Pro Wirkstoff kommt ein Druckkopf zum Einsatz, danach wird dieser mit der Kartusche, die entweder Tinte oder Filament enthält, ausgetauscht und nicht etwa gereinigt, was unter GMP-Bedingungen sinnlos wäre. Je nach Größe der Apotheke oder des Betreuungsumfangs kann ein größeres (mit derzeit bis zu vier Druckköpfen bestücktes) oder kleineres Druckergehäuse verwendet werden. Bei größeren Herstellapotheken, die etwa Krankenhäuser versorgen, werde man mehrere Druckergehäuse aufstellen oder Drucker entwickeln, die mehr Platz für eine größere Anzahl von Druckköpfen bieten.
3D-Druck für höhere Wirkstoffbeladung
80 Prozent aller derzeit verfügbaren Arzneimittel hält der promovierte Pharmazeut Franken für „verdruckbar“; das hätten zahlreiche Studien gezeigt. Die anderen 20 Prozent sind „Injectables“. Grundsätzlich, so steht es in einem von DiHeSys- und GenPlus-Autoren verfassten Übersichtsartikel1, eignet sich die 2D-Druck-Technologie für Wirkstoffe mit niedriger Dosierung (derzeit maximal 40 mg Wirkstoff) und geringer Stückzahl. Mit der 3D-Druck-Technologie (dort vor allem das Fused Deposition Modeling-Verfahren) lassen sich mehrere Wirkstoffe mit unterschiedlichen Freisetzungskinetiken in einer Tablette (Polypill) herstellen. 3D-Druckverfahren eignen sich für eine höhere ‚Beladung‘ von Wirkstoffen besser als zweidimensionale, so die Expertenmeinung.
Welche Wege der individualisierte Pharmadruck in die sich wandelnden, weil digitalisierenden Gesundheitsmärkte nimmt, ist momentan schwer abschätzbar. Für DiHeSys als systemischem Dienstleister könnte es mehrere Geschäftsmodelle, also auch unterschiedliche Kunden, geben; so beispielsweise Pharmaunternehmen und Uniklinika, wenn Pharmadrucker klinische Prüfmuster erstellen oder, je nach Einsatzort, Vor-Ort-Apotheken, Krankenhäuser, Compounding-Zentralen, Herstell-Apotheken oder Herstell-Zentren.
In Universitätsinstituten ist die digitalisierte Arzneimittelherstellung zwar seit Jahren ein Forschungsthema. Doch den nächsten Schritt in die Anwendung gehen wohl nur wenige Pharmaunternehmen und kleine Start-ups (zumindest tun sie das nicht öffentlich) wie Merck in Darmstadt oder das Spin-off des University College London FabRx oder eben DiHeSys aus Ulm.
Erste Schritte in die Anwendung
So wichtig es ist, die technologische Ertüchtigung von Pharmadruckern voranzutreiben, genauso wichtig ist es, Wirkstoffe und Indikationen zu finden, die für Patienten einen deutlichen Mehrwert, sprich einen klinischen Nutzen, haben könnten. Deshalb, so der Pharmazeut Clive Roberts von der Universität Nottingham, sei der mit 3D-Technologie gefertigte Anti-Epilepsie-Wirkstoff Spirtam
2015 von der US-Zulassungsbehörde zugelassen worden: weil er die Antwort auf ein klinisches Problem (Schluckstörungen bei jungen und älteren Epilepsie-Patienten) hatte, indem er sich mit der neuen Fertigungstechnik so formulieren ließ, dass er sich in sehr wenig Flüssigkeit sehr rasch aufgelöst habe2.
Einen Schritt in Richtung klinische Anwendung unternimmt ein Pilotprojekt, das DiHeSys im Frühsommer in Tübingen begonnen hat. Dort soll die Herstellung personalisierter Arzneimittel via Digitaldruck erprobt werden. Das Vorhaben hat eine Laufzeit von zwei Jahren und wird vom Landeswirtschaftsministerium im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg gefördert.
Pilotprojekt in Tübingen schafft Basis für klinische Studien
Projektpartner sind Universität und Universitätsklinikum Tübingen. Projektpartner Prof. Dr. Stefan Laufer, Direktor des Instituts für Pharmazie, betont den Pilotcharakter des Vorhabens, das erst Voraussetzung für spätere klinische Studien schaffe. Zunächst müssten neue Arzneiformen für den digitalen Pharmadruck entwickelt werden. Fernziel ist nach Auskunft des Pharmazeuten die modellhafte Behandlung eines Patienten in einer bestimmten Indikation (bösartiger Gehirntumor). Als Modell für die Suche nach für den Digitaldruck geeigneten Wirkstoffen haben sich die Wissenschaftler Proteinkinase-Hemmer ausgesucht. Diese vor allem in der Tumortherapie eingesetzten Arzneistoffe, die man hochindividuell wegen ihrer Nebenwirkungen dosieren müsse, könnten im 2D- oder 3D-Druck hergestellt werden, so der Ansatz.
Dem Tübinger Forscher ist es wichtig, den frühen Entwicklungsstand des Projekts herauszustreichen. Im Rahmen des Projekts werde mit großer Wahrscheinlichkeit kein Gehirntumorpatient behandelt. Zu dieser Indikation ist man gekommen, weil eine ausreichende Therapie fehlt, obwohl es dafür möglicherweise Wirkstoffe gibt, die sich aber nicht individualisieren lassen. Das Pilotprojekt will eine Antwort auf die Frage finden, wie sich aus einer Massenarznei wie der Tablette eine individualisierte Arzneiform machen lässt.
Technologie muss halten, was sie verspricht
Zunächst, erläutert Laufer die nächsten Schritte, fertigen die Tübinger Pharmazeuten viele Lösungsformulierungen für den Arzneimodellstoff, den Proteinkinase-Hemmer, testen diese Lösungsmittel auf Kompatibilität mit der 2D-/3D-Drucktechnologie, und anschließend beginnt die Suche nach Polymeren, die sich für den Digitaldruck als Matrix eignen. Am Ende, so die Hoffnung, erhält man einen Wirkstoff mit einer Lösungskombination mit ein oder zwei Matrices, für die man modellhaft 2D- oder 3D-Drucke herstellen kann, die man darauf untersucht, ob sie sich am Patienten einsetzen lassen, wozu zunächst Kinetikstudien angestellt werden. Hat das Pilotprojekt Erfolg, womit Laufer rechnet, dann gibt es einen Wirkstoff in einer Kombination mit einer oder zwei verschiedenen Matrices für den 2D- oder 3D-Druck mit guter Kinetik.
Damit ist auch klar, dass diese Technologie nur für Krankheiten in Frage kommt, für die es eine gezielte individuelle Therapie gibt, also für schwerere Erkrankungen mit vitalem Interesse. Ende 1. Quartal/Anfang 2. Quartal 2021 erhofft sich Laufer erste Ergebnisse. Die Technologie ist bereits einsetzbar, aber nur für ganz wenige Arzneistoffe und ganz wenige Matrices – diesen Einsatz zu verbreitern hat sich auch das Tübinger Pilotprojekt zum Ziel gesetzt. Die Technologie hat ihre Machbarkeit bewiesen, jetzt muss sie in die Anwendung gebracht werden.