Mikrostrukturtechnologie
Eine elektronische Nase für vielerlei Anwendungen
Sinnesorgane sind ausgefeilte Meisterwerke der Natur. Der Mensch hat deshalb schon oft versucht, sie zu kopieren. Ob Kamera oder Mikrofon – hierfür standen immer natürliche Vorbilder wie Auge oder Ohr Modell. Lange Zeit fehlte allerdings ein künstlicher Geruchssinn im technischen Repertoire. Nun haben Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine elektronische Nase entwickelt. Sie kann Gasgemische „riechen“ und damit unter anderem zur Diagnostik von Krankheiten oder zur Lebensmittelkontrolle eingesetzt werden.
Der Geruchssinn, auch olfaktorisches System genannt, ist ein chemischer Sinn und seine Funktionsweise sehr komplex. Er befindet sich in der Nase und besteht aus mehreren Millionen Geruchszellen, die in rund 400 verschiedenen Rezeptoren-Sorten vorkommen. Beim Menschen ist der Geruchssinn vergleichsweise weniger stark ausgebildet als bei anderen Säugetieren und kann beispielsweise mit den Leistungen einer Hundenase bei Weitem nicht mithalten. Dennoch kann ein gut funktionierender Geruchssinn auch für uns lebensrettend sein, beispielsweise bei Feuer und Rauch oder zum Schutz vor verdorbener Nahrung.
Zur Wahrnehmung eines Geruchs gelangt das entsprechende Gasgemisch mit der Atemluft an die Riechschleimhaut am Dach der Nasenhöhle und wird von den zugeordneten Rezeptortypen anhand bestimmter chemischer Strukturmerkmale erkannt. Die unterschiedlich starke Aktivierung der Rezeptoren wird als für den jeweiligen Geruch charakteristisches Signalmuster ans Gehirn geleitet. Dort wird die Sinneswahrnehmung ausgewertet, indem sie mit bereits bekannten und im Laufe des Lebens erlernten Gerüchen abgeglichen wird.
Alltagstaugliche, preiswerte eNase nach natürlichem Vorbild
Die Tatsache, dass die biologische Nase Gasgemische detektiert und auswertet, brachte Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schon vor vielen Jahren auf die Idee, diese Fähigkeit technisch in einer elektronischen Nase zu realisieren. „Der Mensch hat Sensoren für alles Mögliche, die bereits Vorbild für viele technische Entwicklungen waren“, erklärt Dr. Martin Sommer, der die Arbeiten zur elektronischen Nase im Projekt „smelldect“ am Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) des KIT leitet. „Der Geruchssinn fehlte aber lange Zeit im Portfolio. Und da wir uns sowieso schon immer mit chemischer Analytik beschäftigt haben, begannen wir mit der Entwicklung eines elektronischen Pendants. Denn eigentlich ist die Geruchsanalytik nichts anderes als die Weiterführung der Gasanalytik.“
Bei ihren Entwicklungsarbeiten zur eNase orientierten sich die Karlsruher Forscher so gut es ging am biologischen Vorbild: „Eine Konzentrationsbestimmung oder komplette Gasanalyse sollte unser Geruchssensor nicht leisten können“, berichtet Sommer. „Wenn sie einen Raum mit faulen Eiern betreten, wird ihre Nase ja auch keine genaue Stoffbestimmung durchführen und dessen Konzentration ermitteln. Sie nimmt einfach nur den Gestank wahr. Auf dieser Basis sollte das Gerät auch funktionieren. Für ganz viele Anwendungen ist eine hochpräzise – und damit teure - Gasanalyse nämlich völlig unnötig. Somit eröffnet sich die Möglichkeit, ein alltagstaugliches Endanwendergerät zu entwickeln, bei dem der eigentliche Chip nur wenige Euro kostet.“
Herausgekommen ist nach einigen Jahren Forschungsarbeit eine nur wenige Zentimeter große elektronische Nase, die die gesamte Betriebselektronik inklusive Technologie zur Datenauswertung enthält. Sie besteht aus einem Sensorchip, auf dem Nanofasern aus Zinndioxid auf vielen einzelnen Sensoren angebracht sind. „Unser Geruchssensor hat nur 16 Subsensoren – nicht 400, wie das biologische Vorbild -, die alle etwas unterschiedlich sind, damit sich auch Signalmuster bilden können“, sagt der Wissenschaftler. „Aufgrund der geringen Abmessungen der Subsensoren könnten wir das zwar bei Bedarf nahezu beliebig erweitern, aber das ist im Moment gar nicht nötig, denn sie reichen aus, um eine ganze Menge unterschiedlicher Gerüche unterscheiden zu können.“
Viele Ideen für Einsatzmöglichkeiten
Um Gerüche zu identifizieren, muss auch die eNase zuvor trainiert werden. „Dazu wird sie für ein paar Sekunden dem jeweiligen Stoff für ein paar „Schnupperzüge“ ausgesetzt“, so Sommer. „Das Ergebnis ist ein Signalmuster der 16 Sensortypen, das für jeden Geruch anders aussieht. Dieses Muster wird dann betitelt und abgespeichert, das heißt, die Gerüche also praktisch angelernt, so dass die eNase sie bei Bedarf innerhalb von Sekunden wiedererkennen kann.“ Die spezifischen Signalmuster errechnet der Chip über die Widerstandsänderungen der Einzelsensoren, welche ihrerseits vom Molekülgemisch aus der Umgebungsluft abhängen.
Mögliche Einsatzgebiete für die eNase gibt es viele. Ein ganz wichtiges, das schon ziemlich gut funktioniere, sei beispielsweise die Produktendkontrolle, sagt der Experte: „Ein gerade hergestelltes Produkt soll heute genauso riechen wie gestern. Dazu muss man nur den Soll-Geruch möglichst gut einprogrammieren. Etwaige Abweichungen können dann auf Unstimmigkeiten während der Produktion hindeuten. Oder man kann beispielsweise mit drei oder vier Standardgerüchen unterschiedlich alter Milch deren Frischegrad testen. Das funktioniert genauso gut bei Obst wie etwa Äpfeln.“
Weitere Anwendungsmöglichkeiten finden sich zum Schutz von Leben und Gesundheit. In diesem Zusammenhang gäbe es eine ganze Menge Ideen, meint Sommer. Man könne beispielsweise Sprengstoff oder Drogen erschnuppern und so für Sicherheit an Flughäfen sorgen oder mit intelligenten Brandsensoren Katastrophen verhindern.
Medizinische Diagnostik per Atemanalyse
Auch der Einsatz zur Diagnostik von Krankheiten ist in einem breiten Spektrum denkbar. Denn – wie schon länger bekannt – betreffen manche Erkrankungen nicht nur innere Organe oder Stoffwechsel, sondern bewirken auch eine veränderte Zusammensetzung der Ausatemluft. Bei Diabetes-Patienten werden beispielsweise flüchtige organische Substanzen wie Aceton vermehrt ausgeatmet. So könnte, über eine einfach anzuwendende Geruchssensorik, mit der eNase auf den Blutzuckerspiegel geschlossen und damit die Diabetes-Einstellung überwacht werden. „Eine solche Atemanalyse ist eigentlich schon Jahrtausende alt“, berichtet Sommer. „Diabetes führt zu einem fruchtig-süßlichen Geruch des Atems, Ammoniakduft deutet auf ein Nierenleiden hin und Probleme mit der Leber führen zu einem fischig riechenden Atem. Das können durchaus Konzentrationen sein, die der eNase ausreichen würden. Aber eine Krebserkrankung erschnüffeln wie das angeblich manche Hundenasen können, das werden wir nicht leisten können. Dafür ist die Teilchendichte an Markermolekülen zu gering. Was aber mit der eNase auch möglich werden wird, sind Alkoholtests. Man könnte dann beispielsweise ein Auto nur dann starten, wenn die Konzentration einen gewissen Wert nicht überschreitet.“
Lizenznehmer vermarktet die eNase
Was die konkrete Anwendung der künstlichen Nase angeht, so ist ein Anfang schon gemacht. Sie wird über den Partner des KIT, die Firma SMELLDECT GmbH in Deckenpfronn vermarktet. „Die SMELLDECT ist ein Lizenznehmer, der extra dazu gegründet wurde, um den Sensor zu produzieren und zu vertreiben“, berichtet Sommer. „Eine noch kleine Firma, aber schon sehr aktiv. Beispielsweise sind dort aktuell Anwendungsstudien mit Gasversorgern und Molkereibetrieben im Gange. Man ist also zwar noch nicht in Großproduktion, aber es läuft.“
In den nächsten Wochen und Monaten wird es die Forscher beschäftigen, mit der Realität zurechtzukommen und der eNase Feinheiten beizubringen. „Zum Beispiel gibt es zum Geruch „Rasen“ verschiedene Nuancen“, erläutert der Experte. „Wir Menschen haben auch noch andere Sinne, die es uns alle zusammen ermöglichen, etwa zwischen feuchtem, frisch gemähtem oder trockenem Rasen zu unterscheiden. Die eNase muss man da sehr aufwendig anlernen – Intelligenz ist ihr noch nicht gegeben.“
Zudem planen die Experten für die Zukunft, eine eNase in Smartphones zu integrieren: „Jedes Smartphone ist heute schon ein Sensorträger mit einer Menge an Funktionen“, so Sommer. „Da könnte man leicht noch einen kleinen, preiswerten Sensor hinzufügen, und schon könnte das Handy eine ganze Menge Situationen per Geruch einschätzen. Technisch wäre das kein Problem. Es ist nur die Frage, inwieweit dies gesellschaftlich akzeptiert wäre, denn dies würde zu einer ganz anderen Dimension im Datenschutz führen.“