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Epigenomik aus dem Cyber Valley

Das Cyber Valley Stuttgart-Tübingen ist einer der europäischen Hotspots für Künstliche Intelligenz und Arbeitsplatz für renommierte Experten und Wissenschaftler. Seit Kurzem auch für Gruppenleiterin Dr. Gabriele Schweikert, die in ihrer Forschungsgruppe „Computational Epigenomics“ epigenetische Mechanismen mithilfe von Techniken des Maschinellen Lernens untersucht.

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Das 2016 gegründete Cyber Valley ist ein in seiner Art einzigartiges Zentrum für Künstliche Intelligenz (KI) in der Region Stuttgart-Tübingen und gilt als eine der größten Forschungskooperationen Europas auf diesem Gebiet. Beteiligt sind Partner aus Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft: Unter anderem das Land Baden-Württemberg, die Max-Planck-Gesellschaft, die Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie Hightech-Unternehmen wie Daimler, Porsche oder Bosch und mehrere Stiftungen. Weitere Partner sollen in den kommenden Jahren noch dazustoßen.

Die Themen, die bearbeitet werden, sind sehr breit gefasst und reichen von neuartigen numerischen Algorithmen, die lernende Maschinen schneller und zuverlässiger machen sollen, über intelligente Software für selbstfahrende Autos und Verkehrsleitsysteme, bis hin zu weichen Robotern, deren Design der Natur nachempfunden wurde. Und auch medizinische Anwendungen sind von großer Bedeutung. Für die Forschungsprojekte konnten im internationalen Wettbewerb um Wissenschaftler bereits KI-Experten für zehn neue Forschungsgruppen und zwei Universitätslehrstühle gewonnen werden - Spitzenforscher auf ihrem Gebiet, die aus aller Welt rekrutiert wurden.

In der Zelle sind immer nur spezielle Programm-Repertoires aktiv

In ihrer Cyber-Valley-Forschungsgruppe „Computational Epigenomics“ untersucht Dr. Gabriele Schweikert epigenetische Prozesse, die für medizinische Anwendungen wichtig sind. © Universität Tübingen

Seit Kurzem gehört auch Dr. Gabriele Schweikert dazu. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Anwendung von Maschinellem Lernen in den Biowissenschaften: zunächst mit der Möglichkeit, Informationen in Sequenzen – beispielsweise Gene – zu finden und vorherzusagen. Später in ihrer Postdoc-Zeit im schottischen Edinburgh begann die Forscherin dann damit, den Kontext genetischer Information – epigenetische Eigenschaften – zu analysieren. „Was mich so fasziniert, ist, dass jede Körperzelle zwar denselben genetischen Code besitzt, aber diesen ganz unterschiedlich nutzt, sodass wir die große Vielzahl an hochspezialisierten Zellen wie Nerven oder Muskelzellen in unserem Körper finden“, sagt sie. „Auf der DNA sind viele verschiedene genetische Programme wie auf der Festplatte eines Computers permanent gespeichert. Wenn wir alle Anwendungen auf unserem Computer gleichzeitig aktivieren, können sie sich gegenseitig behindern, oder der Computer kann sehr langsam werden. In jeder Zelle ist deshalb ebenfalls nur ein spezieller Teil des Programm-Repertoires aktiv, während andere Anwendungen geschlossen sind.“

Und sie fährt fort: „Die DNA ist ein sehr langes Molekül, das dicht verpackt im Zellkern untergebracht ist, und auf dem in etwa so viele Buchstaben gespeichert sind wie in einer Bibliothek mit 800 Büchern. Darauf muss die Zellmaschinerie gezielt zugreifen, das heißt, spezifische Wörter in dem riesengroßen Berg an Texten finden können. Sie kann dies nur in Bereichen, die weniger dicht gepackt – besser zugänglich sind. Die Packung der Zelle ist also nicht zufällig, sondern sie wird durch sogenannte epigenetische Mechanismen gesteuert. Die Zelle macht sich da einige Tricks zunutze: Durch chemische Modifikationen – etwa Methylierungen – kann sie die lokalen physikalischen Eigenschaften der DNA verändern, ohne dabei den genetischen Code zu verändern. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als wenn man einen Wollfaden an bestimmten Stellen mit einem Stückchen Tesafilm umwickelt – dort ist er ganz glatt und steif, während er sich sonst gut knäueln lässt. Dadurch wird es einfach, das ganze Wollknäuel nach bestimmten Stellen abzusuchen – man findet sie schnell. Hierdurch wird der Suchraum massiv reduziert.“

Gestörte epigenetische Funktionen sind Ursache von Krankheiten

In der Tübinger Arbeitsgruppe will man durch Kombination von Labormethoden mit Maschinellem Lernen dazu beitragen, den sehr datenintensiven epigenetischen Code zu knacken. © Christoph Jäckle / Universität Tübingen

Ein weiterer lebenswichtiger epigenetischer Mechanismus, für den sich die Wissenschaftlerin interessiert, sind Histonmodifikationen. „Die DNA ist in der Zelle um Histone gewickelt und bildet damit eine Struktur wie Perlen an einer Kette; die Histone sehen so ähnlich aus wie Kraken, deren Tentakel auf vielfältige Weise chemisch verändert werden können“, erklärt sie. „Und je nachdem, wie diese Veränderungen ausfallen, fällt die Wechselwirkung zwischen Histonen stärker oder schwächer aus, was dann wiederum zu einer dichter gepackten oder offeneren Struktur führt. Generell korrelieren manche epigenetischen Modifizierungen oft mit dem Anfang von stark exprimierten Genen, andere scheinen den Anfang ausgeschalteter Gene zu markieren. Es überrascht nicht, dass epigenetische Mechanismen extrem wichtig für viele Entwicklungsvorgänge sind. Und wir verstehen zunehmend, dass epigenetische Funktionen bei einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Erkrankungen gestört sind."

Einerseits sei es während der Entwicklung notwendig, dass Zellen ihre Funktionen verändern können, um sich von pluripotenten zu spezialisierten Zellen zu entwickeln, so Schweikert: „Diese Funktionsänderungen gehen mit gezielten epigenetischen Veränderungen einher und werden teilweise von ihnen gesteuert. Epigenetische Fehlfunktionen sind daher mit einer Reihe von Entwicklungsstörungen, wie etwa bestimmte Formen des Autismus verbunden. Andererseits müssen aber auch spezialisierte Zellen ihre Funktion und damit auch epigenetischen Zustand über lange Zeiträume zuverlässig beibehalten. In diesem Fall können ungewollte epigenetische Veränderungen Mitauslöser für die Entstehung von Tumoren sein. Bei vielen Krebsarten beobachten wir beispielsweise, dass sich die DNA-Methylierung stark verändert hat. In diesem Fall handelt es sich also nicht um eine lokale genetische Veränderung, sondern die Zelle aktiviert plötzlich genetische Programme, die eigentlich abgeschaltet sein sollten.“

Mit Molekularbiologie und KI den epigenetischen Code knacken

Über die molekulare Funktionsweise epigenetischer Mechanismen wisse man schon sehr viel, sagt die Gruppenleiterin: „Wir verstehen aber noch nicht, ob die Zusammenhänge kausal sind. Dazu müssten wir auch erst einmal den epigenetischen Code knacken, was aber sehr schwer ist, weil es hier so vielfältige Möglichkeiten und Einflussfaktoren gibt, die wir noch nicht verstehen – das Epigenom ist sehr datenintensiv, weil ja jede Zellart ihr eigenes Epigenom hat, das sich auch noch dynamisch verändern kann.“

Hier möchte Schweikert mit ihren Arbeiten in der neu gegründeten Cyber-Valley-Forschungsgruppe „Computational Epigenomics“ ansetzen: Die Entwicklung neuer maschineller Lerntechniken für die Analyse epigenetischer Daten soll dazu beitragen, diese wichtigen molekularen Prozesse in lebenden Zellen besser verstehen und irgendwann einmal für geeignete Therapie- und Diagnoseansätze nutzen zu können. Hierfür kombiniert sie mehrere Methoden miteinander: molekularbiologische zur Analyse und Sequenzierung des Epigenoms mit solchen des Maschinellen Lernens, die es überhaupt erst ermöglichen, die immens großen Datenmengen auswerten zu können. Dazu arbeitet die Physikerin in Kooperation mit Forschungseinrichtungen in Wien und Dundee, greift aber auch auf die Ergebnisse anderer großer internationaler Projekte zurück wie der Roadmap Epigenomics, auf deren Basis die Systeme trainiert und Prototypen entwickelt werden sollen.

Konkret ist es beispielsweise geplant, Proteine, die an der Erstellung epigenetischer Muster beteiligt sind, zu stören und zu beobachten, wie sich dies auf die Genexpression auswirkt. Für solche Prozesse sollen parallel zum konkreten Experiment auch Trainingsdaten generiert und angewandt werden, um die Richtung des Mechanismus anhand der Daten – also die Richtung der Kausalität – verstehen zu können. Klar ist für Schweikert aber auf alle Fälle, dass das Verständnis solcher epigenetischen Mechanismen für medizinische Prozesse eine immense Bedeutung hat.

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