Moose im Dienst der Arzneimittelproduktion
Faktor H als Therapieoption bei Viruserkrankungen – auch für COVID-19
Die Suche nach Arzneimittelkandidaten für COVID-19-Erkrankungen läuft auf Hochtouren. Eine zukünftige Therapieoption könnte auch der Faktor H sein, der Teil des angeborenen Immunsystems ist. Die Freiburger Biotechfirma eleva hat eine Technologie entwickelt, um das menschliche Protein in Mooszellen zu produzieren. Der Wirkstoff, der auch regulierende Wirkung bei anderen Erkrankungen haben könnte, befindet sich in der präklinischen Testung.
Eine wichtige Waffe unseres Körpers gegen schädliche Eindringlinge wie Viren oder Bakterien ist das angeborene Immunsystem. Es erkennt die Erreger mithilfe verschiedener Zelltypen und Biomoleküle in kürzester Zeit und beseitigt sie, sodass ein Großteil an Infektionen schnell abgewehrt werden kann, ohne dass wir die Gefahr überhaupt bewusst wahrgenommen haben.
Teil dieses lebenswichtigen Schutzmechanismus ist das sogenannte Komplementsystem, eine Gruppe von Plasmaproteinen, die eine erste Barriere gegen Angriffe auf den menschlichen Organismus, beispielsweise bei Schnittwunden, darstellen. Diese Biomoleküle sind im gesunden Menschen immer aktiv, zerstören in einer komplizierten Kaskade fremde Zellen und regulieren Entzündungsvorgänge. Eine zentrale Rolle in dieser Komplementkaskade spielt der Faktor H, ein lösliches Glykoprotein, das vom Körper als Kontrollprotein und Negativregulator eingesetzt wird und damit körpereigene Zellen schützt. Ein Mangel an Faktor H führt zu übermäßigen Entzündungen und einem Risiko für Gewebeschäden.
Humaner Faktor H aus Mooszellen bereits präklinisch getestet
Auch die in schweren Fällen von COVID-19 beobachtete Zerstörung des eigenen Lungengewebes könnte nach neueren Erkenntnissen auf eine solch unregulierte Entzündungsreaktion zurückzuführen sein. Deshalb besteht eine Therapie derzeit darin, diese Entzündungsreaktion mithilfe von künstlichen Antikörpern zu blockieren, wodurch allerdings gleichzeitig der Angriff auf Krankheitserreger gestoppt wird und ein erhebliches Infektionsrisiko entsteht. Eine alternative Option könnte es daher sein, zukünftig durch eine Gabe von Faktor H die Abwehr auf ein gesundes Niveau herunter zu regulieren und damit die körpereigenen Lungenzellen zu schützen, ohne die Immunreaktion ganz zu unterbinden.
Allerdings ist die Herstellung von Faktor H nicht einfach: Es handelt sich um ein komplexes, glykosyliertes Molekül, das nur sehr schlecht in etablierten Systemen zur Herstellung von biotechnologischen Wirkstoffen, wie beispielsweise CHO-Zellen, produziert werden kann. Aus diesem Grund hat die Freiburger Biotechfirma eleva GmbH (vormals Greenovation) schon vor Jahren mit der Entwicklung eines solchen Arzneimittels begonnen: elevas Faktor H ist ein bryotechnologisch – also in Mooszellen – hergestelltes rekombinantes Protein: „Dabei sind die Mooszellen eigentlich nur unsere Produktionsvehikel“, erklärt Dr. Andreas Schaaf, CEO/CSO der eleva. „Sie enthalten zu hundert Prozent die Gensequenz des humanen Faktors H und produzieren das rekombinante Glykoprotein. Wir kultivieren die Organismen in Reaktoren, Faktor H wird ins Kulturmedium sezerniert, und wir ernten, filtrieren und reinigen das Produkt.“ Ursprünglich war das Biomolekül der eleva unter anderem zur Therapie der Glomerulopathie in der Niere gedacht, und hat in diesem Zusammenhang auch bereits die präklinische Phase erfolgreich durchlaufen.
Faktor H könnte Lungenzellen bei COVID-19 schützen
„Mittlerweile konnten Studien1 jedoch zeigen, dass Faktor H generell entzündungshemmend wirkt und durch seine Gabe eine durch Komplement verursachte Gewebeschädigung signifikant verringert werden kann“, berichtet der Biotechnologe. „Einfach ausgedrückt, ist es die Aufgabe des Komplementsystems, Löcher in Angreiferzellen zu machen und sie dadurch zu zerstören. Aber weil das System so schnell reagiert, besteht die Gefahr, dass es dabei auch die eigenen Körperzellen angreift. Damit solche Schäden abgewendet werden, bringt die Natur den Faktor H ins Spiel: eine negativ regulierende Komponente, die die eigenen Zellen schützt.“
Auch für Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus konnte kürzlich ein Zusammenhang zwischen dem Komplementsystem und akutem Lungenversagen ARDS (= Acute Respiratory Distress Syndrome) hergestellt werden2: Obwohl die Viruslast bereits unter Kontrolle war, konnte beobachtet werden, dass eine durch das Komplementsystem ausgelöste Entzündungssituation zur anhaltenden Schädigung der Lungenbläschen beiträgt. „Auf diesem Gebiet ist sicher noch nicht zu Ende geforscht“, meint Schaaf. „Aber man kann bereits sicher davon ausgehen, dass eine überschießende Komplement-Reaktion in jedem Falle organschädigend ist. Das gilt übrigens nicht nur für COVID-19, sondern auch für viele andere virusbedingte Erkrankungen, bei denen oft auch Herz oder Niere angegriffen werden. Und da kann unserer Ansicht nach der Faktor H durch seine regulierende Funktion eine vielversprechende Therapieoption sein.“
Faktor H kommt als generelle Therapieoption bei Viruserkrankung in Betracht
Um das bryotechnologisch hergestellte Biomolekül möglichst schnell therapeutisch einsetzen zu können, sind die eleva-Experten derzeit auf der Suche nach Kooperationspartnern. „Den Faktor H halten wir durch unsere vorangegangenen Entwicklungsarbeiten bereits als rekombinantes Glykoprotein in der Hand, und er steht für andere Indikationen auch schon vor der klinischen Prüfung“, sagt der Wissenschaftler. „In Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 wird das natürlich keine kurzfristige Sache - wir rechnen mit vielen Jahren Entwicklungszeit bis zur möglichen Zulassung. Aber wir glauben, dass sich der Aufwand in jedem Fall lohnt, da die Therapie auch für viele andere virale Erkrankungen in Fragen kommen wird, da es sich ja offensichtlich um ein generelles Prinzip handelt. Und mit dem Faktor H würde man dann eben nicht blockieren, sondern regulieren, sodass man bei einer ganzen Menge an Infektionskrankheiten davon profitieren könnte.“
Die eleva, deren zentraler Fokus in diesen Tagen auf der Weiterentwicklung der Faktor H-Therapie liegt, möchte aber keine integrierte Pharmafirma sein, die ihre Produkte einmal selbst vermarktet. Schaaf nennt das Unternehmen selbst einen „Frühphasenentwickler“, der den biopharmazeutischen Markt mit neuen, innovativen Therapieoptionen versorgt. „Wir entwickeln auf Kundenanfrage oder auch auf eigenes Risiko Arzneimittel-Kandidaten auf Basis unserer Technologie bis hin zum GMP-Prozess bzw. bis zu einer frühen klinischen Phase – das ist unser Geschäftsbereich. Danach suchen wir Partner für die weitere Entwicklung.
So auch im Fall von Faktor H: Hier sucht man konkret klinische und pharmazeutische Forschungspartner, die auf viral bedingte Erkrankungen spezialisiert sind, um gemeinsam in Zell- und Tiermodellen den präklinischen Zusammenhang zu erforschen und die COVID-19-spezifische Evaluierung zu beschleunigen. Für andere Indikationen (C3-Glomerulopathie (C3G)) ist die Entwicklung des Faktor H sehr weit fortgeschritten und die Gespräche mit potenziellen Partnern sind bereits in vollem Gang.