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Forschenden gelingt Verjüngung des Immunsystems im Tiermodell

Stammzellen altern, das weiß man. Auch das menschliche Immunsystem verliert mit steigendem Alter an Schlagkraft. Da alle Immunzellen von blutbildenden Stammzellen abstammen, liegt es eigentlich nahe, die Schwächung des Immunsystems (Immunseneszenz) mit der Alterung blutbildender Stammzellen in Verbindung zu bringen. Ulmer Stammzellforscher und Immunologen haben diese Verbindung in einem neuen Mausmodell jetzt nachgewiesen und damit eine Lehrmeinung widerlegt.1

Das Bild zeigt vier Forschende, drei Männer und eine Frau, in Frontalansicht. Die Grundlagenforscher präsentieren sich anlässlich ihrer gemeinsamen Veröffentlichung im hochangesehenen Journal „Blood“.
Ulmer Stammzellforscher und Immunologen belegten den großen Einfluss der blutbildenden Stammzellen auf das Immunsystem. Unser Bild zeigt von links: Prof. Hartmut Geiger, Dr. Hanna Leins (Institut für Molekulare Medizin), Prof. Reinhold Schirmbeck und Jun.-Prof. Medhanie Mulaw. © Andreas Brown

Es könnte auf mittlere Sicht von klinischem Nutzen sein, dass es im Experiment gelang, das Abwehrsystem über Stammzellen zu verjüngen. In früheren Arbeiten hatte der Stammzellexperte Prof. Dr. Hartmut Geiger mithilfe der pharmakologischen Substanz CASIN (Cdc42 activity-specific inhibitor) hämatopoetische Stammzellen verjüngt2. Im Lichte der jüngsten Versuchsergebnisse scheint es zumindest denkbar, diese Verjüngungskur auf Menschen zu übertragen, das nachlassende Immunsystem älterer Menschen zu verbessern, indem man es „verjüngt“ und damit beispielsweise die Impfquote bei Influenza erhöht3. Bis zur Umsetzung dieser Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung ist es noch ein weiter Weg. Das machen Professor Hartmut Geiger und Dr. Hanna Leins, Erstautorin des „Blood“-Artikels, deutlich.

Gängige Meinung widerlegt

Das Bild zeigt einen Immunoassay mit zahlreichen blauen Punkten unterschiedlicher Intensität, die das Maß für die Stärke der Immunantwort zeigen.
Mithilfe des Enzyme Linked Immuno Spot Assays maßen die Forscher die Impfantwort. Die Anzahl der Spots (blaue Punkte) zeigt die Stärke der Immunantwort. © Foto: Andreas Brown

Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Stammzellalterung und der Alterung von Immunzellen, die ja von ebendiesen Stammzellen abstammen? Dass der Thymus, über den die Ausreifung und Differenzierung der T-Zellen läuft, nach der Pubertät schrumpft und dies die Hauptursache dafür sei, dass das Immunsystem nicht mehr so gut funktioniert – diese Lehrmeinung überzeugte die Ulmer Stammzellforscher nicht. Nicht nur, weil alle Anstrengungen zur Aktivierung des Thymus erfolglos blieben, sondern auch, weil die meisten Immunzellen, die auf Infektionen reagieren, mit nur wenigen Wochen sehr kurzlebig sind; sie müssen neu produziert werden, was sich kaum mit der zweiten gängigen Meinung verträgt, wonach T- und B-Zellen selbst altern und damit zur Alterung des Immunsystems beitragen.    

Zusammen mit dem Immunologen Prof. Dr. Reinhold Schirmbeck von der Inneren Medizin I am Ulmer Uniklinikum suchten Geiger und Leins ein System, um ihre These zu überprüfen. Die Immunologen um Schirmbeck entwickelten daraufhin ein Knochenmark-Transplantationsmodell, das auf folgender Idee beruht: Immundefiziente transgene Mäuse, denen man junge oder alte Stammzellen implantiert, entwickeln daraus ein neues Immunsystem. Dieses lässt sich phänotypisch und funktionell charakterisieren, indem man die Tiere immunisiert und deren Immunantworten misst. 

Zunächst wurden Stammzellen aus dem Knochenmark älterer und junger Mäuse isoliert. Ein Teil der älteren Zellen wurde „verjüngt“. Diese alten, jungen und verjüngten blutbildenden Stammzellen wurden den Mäusen ohne Immunsystem übertragen. Nach zwölf Wochen wurde die Leistungsfähigkeit der Abwehrsysteme überprüft, unter anderem über deren Impfreaktion.

Wichtige Rolle blutbildender Stammzellen bei Alterung der Körperabwehr

Das vielfarbige Bild zeigt viele Abwehrzellen, die sich nahe des Antigens als Reaktion auf eine Impfung befinden.
Analyse der Impfreaktion mittels Durchflusszytometrie: Ein Immunsystem aus jungen sowie aus alten, verjüngten Stammzellen generiert viele Abwehrzellen (schwarz umrahmt) als Reaktion auf eine Impfung. Die Abbildung zeigt einen Dichteplot der durchflusszytometrischen Analyse; rot bedeutet eine hohe Zelldichte, blau zeigt eine geringe Zelldichte an. © Hanna Leins

Die Ergebnisse gaben ihnen recht: Tiere, denen junge Stammzellen implantiert wurden, erhielten ein phänotypisch und funktionell junges Immunsystem, vergleichbar demjenigen in einer jungen Maus. In Tieren, die alte Stammzellen erhalten hatten, fand sich ein den alten Mäusen sehr ähnliches Immunsystem, das funktionell schlechter auf Immunisierungen reagierte. Für den Immunologen Reinhold Schirmbeck belegen die Ergebnisse „die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems.“ Wenn Stammzellen altern, so Schirmbecks Folgerung, könne sich das Abwehrsystem nicht mehr ausreichend regenerieren und der Organismus werde anfälliger für Infektionen. 

Mit dem neuen Modell lässt sich gewissermaßen ein Immunsystem in einer Maus herstellen, bei dem man nur das Immunsystem altern lässt. Verjüngt man die Stammzellen, lässt sich zeigen, ob sich das Immunsystem „biologisch auf null“ zurücksetzen lässt. Nach den Ex-vivo-Versuchen müssen In-vivo-Versuche folgen, die bereits angelaufen sind, aber nach Geigers Worten Jahre benötigen werden. Vom neuen Modell erhoffen sich die Forschenden neue Erkenntnisse darüber, welche physiologischen Veränderungen ein alterndes Immunsystem im Vergleich zu einem jungen erfährt: Trägt ein ‚altes‘ Immunsystem dazu bei, dass seneszente Zellen (mit Zellzyklusarrest) im Gewebe nicht mehr so gut ‚abgeräumt‘ werden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen altem Immunsystem und Herzerkrankungen? Welche Rolle spielt ein alterndes Immunsystem für neurodegenerative Vorgänge?

Ob zur Alterung des Immunsystems noch andere Faktoren beitragen, wollen die Ulmer nicht ausschließen. In der „Blood“-Publikation wurden nur junge Tiere verwendet – ähnliche Versuche sollen jetzt auch an alten Tieren unternommen werden. Damit soll der Einfluss der Umgebung der Stammzelle berücksichtigt werden, denn die Nische im Knochenmark, in der die Stammzellen leben, altert ebenfalls. 

Genaue Darstellung der Alterung des Immunsystems

Das vielfarbige Bild zeigt viele Abwehrzellen, die sich nahe des Antigens als Reaktion auf eine Impfung befinden. Das Immunsystem aus alten Stammzellen, die verjüngt wurden, zeigt eine ähnlich starke Reaktion wie eines auf Basis von jungen Stammzellen.
Ein Immunsystem aus alten, verjüngten Stammzellen generiert ähnlich viele Abwehrzellen (schwarz umrahmt) als Reaktion auf eine Impfung wie eines aus jungen Stammzellen. Beim Immunsystem aus alten Stammzellen ist die Zahl der generierten Abwehrzellen dagegen deutlich geringer. Die Abbildung zeigt einen Dichteplot der durchflusszytometrischen Analyse; rot bedeutet eine hohe Zelldichte, blau zeigt eine geringe Zelldichte an. © Hanna Leins

Hauptziel der Stammzellforscher bleibt, in der relativ kontrollierten Umgebung der Maus die Alterung des Immunsystems genau darzustellen. Zwei zentrale Fragen treiben die Forschenden an: Lässt sich das Immunsystem im Alter, wenn seine Leistungskraft nachlässt, mit der Substanz CASIN verjüngen? Und könnte dieses so verjüngte Immunsystem seneszente Zellen abräumen, die für Alterung und altersassoziierte Erkrankungen verantwortlich gemacht werden? Das wäre für Hartmut Geiger der Idealfall. Als Organe für entsprechende Experimente böten sich Pankreas, Lunge, Leber oder Haut an. Mit dem Organ Haut laufen Experimente mit der Ulmer Dermatologin Prof. Dr. Karin Scharfetter-Kochanek, außerdem gibt es Kooperationen mit externen Partnern. Gegen diese alternden Zellen werden übrigens auch andere Substanzen (Senolytica) erforscht und entwickelt.4 

Jetzt wollen die Alterungsforscher die In-vivo-Versuche mit der Substanz CASIN vorantreiben. Diese hemmt die Aktivität der kleinen Rho-GTPase Cdc42 und sorgt für die Verjüngungskur alter Stammzellen. Cdc42, ein zentraler molekularer Schalter in der Signaltransduktion, ist nach Geigers Worten nicht nur für die Alterung des Immunsystems wichtig, sondern auch für andere Gewebe. Das kleine Protein, dessen vielfältige physiologische Funktionen noch nicht gänzlich erforscht sind, ist ein zentraler Schalter, der Ordnung auf vielen Ebenen reguliert. Funktioniert er nicht gut, sorgt das für Unordnung bei Proteinen bis hin zu epigenetischen Veränderungen, so Geigers Vergleich.

In den anstehenden Experimenten soll versucht werden, die Komplexität auf einzelne Gewebe herunterzubrechen. Damit könnte auch die Frage beantwortet werden, inwiefern das Immunsystem ein Taktgeber für die Alterung ist und man sich vielleicht nur auf wenige Gewebe zur Erforschung der Alterungsvorgänge konzentrieren könnte. Antworten darauf will man in den nächsten fünf bis zehn Jahren finden, formuliert Geiger das Arbeitsprogramm, das dem übergeordneten Ziel, das gesunde Altern zu verlängern, folgt.

Literatur:

1 Leins, H, Mulaw, M et al.: Aged murine hematopoietic stem cells drive aging-associated immune remodeling, Blood 2018, 132:565-576;
DOI: https://doi.org/10.1182/blood-2018-02-831065

2 Florian, MC et al. : Cdc42 activity regulates hematopoietic stem cell aging and rejuvenation
DOI: https://doi.org/10.1016/j.stem.2012.04.007

3 Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt die Influenza-Impfung vor allem Personen ab 60 Jahren 
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/faq_ges.html

4 van Deursen, Jan M.: Senolytic therapies for healthy longevity, Science 364 (6441), 636-637,
DOI: 10.1126/science.aaw129.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/forschenden-gelingt-verjuengung-des-immunsystems-im-tiermodell