Greener NHS
Gesundheitsdienst auf dem Weg in die Klimaneutralität
Der Nationale Gesundheitsdienst im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland soll umweltfreundlicher werden. Der NHS hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 seine eigenen klimaschädlichen Emissionen auf Netto-Null zu reduzieren.
4,4 Prozent, das ist der Anteil des Gesundheitssektors a den globalen Netto-Emissionen laut der Studie „Health care climate footprint report“1) aus dem Jahr 2019. Die USA, China und die Länder der Europäischen Union haben daran einen Anteil von 56 Prozent. Um dem entgegenzuwirken, hat der National Health Service UK (NHS) im Januar 2020 die Kampagne „For a greener NHS“ ins Leben gerufen. Die Motivation dazu erläutert Dr. Matthew Tully, Leiter des Sanierungsprogramms des Imperial Healthcare College NHS Trust: „Seit fast zwei Jahrzehnten, wenn nicht noch länger, ist klar, dass der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit darstellt. Überschwemmungen, extreme Hitze, Dürreperioden und Unwetter haben gravierende Folgen. Vor einigen Sommern erlebte London eine intensive Hitzewelle, die zu Tausenden zusätzlichen Todesfällen führte; eine ähnliche Situation erlebte auch Paris. Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar. Als nationaler Gesundheitsdienst, erkennt der NHS zunehmend das erhebliche Ausmaß der Belastungen, die diese Veränderungen für das Gesundheitssystem mit sich bringen werden.”
Klare Zielvorgaben
Ziel der Kampagne ist es, als erster Gesundheitsdienst weltweit die Klimaneutralität zu erreichen. Gelingen soll dieses ambitionierte Vorhaben über zwei Schritte:
- Bis zum Jahr 2040 sollen die direkten und indirekten klimaschädlichen Emissionen des NHS (NHS Carbon Footprint) auf Netto-Null (Net Zero) reduziert werden. Als Zwischenziel wurde ausgegeben, dass vom Jahr 2028 bis 2032 eine Reduzierung um 80 Prozent erreicht werden soll. Direkte NHS-Emissionen entstehen durch fossile Energieträger, NHS-Einrichtungen wie Krankenhäuser sowie Anästhetika und Transportmittel, beispielweise Krankenwagen (Scope-1-Emissionen). Indirekte Emissionen des NHS beinhalten die Freisetzung von klimaschädlichen Gasen bei der Elektrizitätsgewinnung (Scope-2-Emissionen) sowie durch Müllproduktion, Energiebereitstellung für Fahrzeuge (Well-to-Tank), Geschäftsreisen, Dosier-Aerosole (Sprays) und die Bereitstellung von Wasser (Scope-3-Emissionen).
- Klimaneutralität für Emissionen, die der NHS beeinflussen kann (NHS Carbon Footprint plus), aber nicht selbst erzeugt, soll bis zum Jahr 2045 erreicht werden. Als Zwischenziel wurde eine Reduzierung um 80 Prozent bis zu den Jahren zwischen 2036 und 2039 ausgegeben. Dazu gehören beispielweise die Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten, das Bauwesen sowie das Catering in der Klinik.
Der NHS verwendet einen Netto-Null-Modellierungs- und Analyseansatz, um die Ziele umzusetzen. Als Basis dient der geschätzte ökologische Fußabdruck des NHS aus dem Jahr 1990. Für diese Schätzung sowie der Veranschlagung der Emissionen von damals bis heute wird eine Top-Down-Modellierung (z. B. auf der Grundlage von Daten zu Finanzaktivitäten) mit einer Bottom-up-Validierung für Kategorien, die physisch gemessen und beschrieben werden können (z. B. Energieeinheiten, Abfall), kombiniert.2)
Investitionen sind wichtig für die Umsetzung
Diese Ziele wurden am 01. Juli 2022 mit dem Health and Care Act 2022 in der Gesetzgebung verankert. Der „Delivering a‘Net Zero’ National Health Service Report“2) beschreibt die Maßnahmen, die der NHS zur Reduzierung der Emissionen durchführte oder plant durchzuführen. Es gehe jedoch nicht nur um die Festlegung der Ziele, erläutert Tully: „Beim Thema Klimaneutralität geht es nicht nur darum, Ziele zu setzen, sondern auch darum, aktive Unterstützung und Anleitung anzubieten. Anstatt Menschen einfach vorzuschreiben, was sie tun sollen, müssen wir sie auf vielfältige Weise befähigen. Ein Ansatz besteht darin, die Dringlichkeit und Relevanz des Themas hervorzuheben, damit es mehr in den Fokus rückt. Ein anderer Ansatz besteht darin, praktische Anleitungen zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen anzubieten. Ebenso entscheidend ist die Bereitstellung finanzieller Mittel, da viele der Maßnahmen zur Emissionsreduktion anfangs Investitionen erfordern.“
Einfluss auf die Gesundheitsindustrie
Im Rahmen des NHS Carbon Footprint gilt es zum einen, die Emissionen der NHS-Einrichtungen zu reduzieren. Dazu gehört neben dem Neubau von Krankenhäusern auf Basis eines „Net Zero Carbon Hospital Standard“ u. a. auch der Austausch von Leuchtmitteln zu LED-Systemen: Mit dem 50 Mio. Pfund umfassenden NHS Energy Efficiency Fund (NEEF) soll die Beleuchtung im gesamten NHS-Gebäudebestand modernisiert werden. Ziel ist es, damit 14,3 Mio. Pfund und 34 Kilotonnen CO2-Äquivalente (ktCO2e) pro Jahr einzusparen.
Im Bereich Transport setzt der NHS auf die Dekarbonisierung der Krankenwagenflotte: Was im Jahr 2021 mit dem ersten E-Krankenwagen in Birmingham begann, ist mittlerweile auf mehr als 160 solcher Krankenwagen angewachsen.3) Ferner soll auch die Digitalisierung die Klimaneutralität vorantreiben, zum Beispiel durch die Digitalisierung von Krankenakten und digital unterstützte Versorgungsmodelle.
Innerhalb des NHS Carbon Footprint Plus soll auf die Lieferkette der eingekauften Produkte Einfluss genommen werden. Der Gesundheitsdienst hat sich zum Ziel gesetzt, durch seine Kaufkraft Veränderungen herbeizuführen. Dazu gehört unter anderem, dass Lieferanten wie beispielweise Medizintechnik und pharmazeutische Industrie ihre Produkte mit einem geringeren CO2-Ausstoß produzieren, z. B. durch die Verwendung alternativer Werkstoffe. Außerdem soll der Einsatz von klinischen Einwegprodukten reduziert bzw. diese vermehrt recycelt werden. Der Leiter des Sanierungsprogramms des Imperial Healthcare College NHS Trust beschreibt die Herausforderung bei der Beschaffung von Produkten: „Der NHS tätigt umfangreiche Einkäufe, und bei seinen Beschaffungsentscheidungen spielen nun auch die Umweltauswirkungen von Waren und Dienstleistungen eine zentrale Rolle. Während früher vor allem Leistungsfähigkeit und Kosten im Vordergrund standen, ist heute der CO2-Fußabdruck ein wesentliches Kriterium. Beim Vergleich von Optionen werden Anbieter, die Dienstleistungen effizienter und mit geringeren Umweltauswirkungen erbringen können, bei Beschaffungsentscheidungen bevorzugt.“
Und in Deutschland?
Für den Sommer 2024 zeigte das Robert Koch Institut mit dem Wochenbericht zur hitzebedingten Mortalität, dass Hitzeperioden in Deutschland regelmäßig zu einem Anstieg der Mortalität führen.4) Bereits im Mai 2024 hatte der 128. Deutsche Ärztetag konsequentere Maßnahmen für ein klimaneutrales Gesundheitswesen gefordert. Der Beschluss fordert klare Maßnahmen- und Zeitpläne.5) Denn aktuell liegen nur die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Treibhausgasminderungsziele Deutschlands vor.6)
Nach Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft findet der Klimaschutz für Krankenhäuser im Bereich der Finanzierung eine zu geringe Beachtung: so schlage sich die Investitionskostenproblematik auch auf den Klimaschutz nieder.7) Doch auch ohne klare Ziele aus der Politik und bisher geringen Fördermaßnahmen setzt der deutsche Gesundheitssektor auf Klimaschutz. Sei es die Allianz für nachhaltige Medizintechnik oder die Initiativen einzelner Kliniken bzw. Klinikverbünde zur nachhaltigen Energiegewinnung, dem Recycling von Narkosegas und der Müllreduktion. Die Systeme in Deutschland und Großbritannien lassen sich nicht gut vergleichen, daher gibt Tully keine direkten Ratschläge: „Effizientes und nachhaltiges Arbeiten spart Kosten. Eine Reduzierung der Kohlendioxidemissionen geht oft mit erheblichen Kosteneinsparungen einher, so dass mehr Ressourcen in die Verbesserung der Patientenversorgung fließen können. Und genau das ist das zentrale Ziel des Gesundheitswesens.“