Gezielte RNA-Editierung mit körpereigener Enzymaktivität
Mit der Entwicklung der CRISPR/Cas-Methode zur gezielten Veränderung des Erbguts eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten für Forschung und Gentherapie. Allerdings ist eine Behandlung mit der Genschere nicht ganz ohne Risiko, da eventuell auftretende Fehler für immer im Erbgut gespeichert werden. Tübinger Wissenschaftler haben eine alternative Methode entwickelt, bei der der Eingriff auf RNA-Ebene mithilfe körpereigener Enzyme erfolgt und damit reversibel ist. Die Anwendung an humanen Körperzellen zur Reparatur eines Gendefekts wurde dieser Tage veröffentlicht.
Per „Cut“ und „Paste“ das Erbgut gezielt verändern, um damit beispielsweise Krankheiten heilen zu können, war lange Zeit nur ein Traum. Seit 2012 rückt dieser Traum mit der Entwicklung der CRISPR/Cas-Methode mehr und mehr in den Bereich des Möglichen: Mit dem Verfahren können das Genom editiert und dabei Gene verändert, an- oder abgeschaltet werden. Allerdings bringt die Anwendung der Genschere aus Bakterien auch ihre Risiken mit sich: Eventuell auftretende Fehler werden dauerhaft in der Erbinformation verankert und so an die nächsten Zellgenerationen weitergegeben. Außerdem ist sie für manche Anwendungen weniger geeignet, beispielsweise für die Therapie postmitotischer Zellen wie Nervenzellen. Auch kann das Genom nicht beliebig editiert werden: Mutationen, die langfristig letal wären oder genetisch schnell kompensiert werden, können damit nicht wirksam eingebracht werden.
Deshalb forscht Prof. Dr. Thorsten Stafforst mit seiner Arbeitsgruppe am Interfakultären Zentrum für Biochemie der Universität Tübingen (IFIB) schon seit einiger Zeit an alternativen und risikoärmeren Methoden zur Veränderung genetischer Information – der RNA-Editierung. „Arbeiten auf RNA-Ebene sind umkehrbar und damit sicherer und zudem besser einstellbar“, erklärt er. „Man kann damit eine Mutation auch nur partiell oder kurzzeitig einfügen. Dies könnte beispielsweise interessant werden, um in die Signaltransduktion einer Zelle einzugreifen.“
Editierungsmaschine aus Führungs-RNA und Korrektur-Enzym
Bei der RNA-Editierung werden einzelne Basen der RNA – also der Kopie der DNA – verändert, sodass die Bauanleitung für das von ihr kodierte Protein umgeschrieben wird. Hierfür haben die IFIB-Wissenschaftler in den letzten Jahren ein Proteinkonstrukt als Editierungswerkzeug entwickelt, das mithilfe einer kurzen, komplementären Führungs-RNA (gRNA,guide RNA) zur Ziel-RNA geleitet wird, dort andockt und einzelne Basen austauscht. SNAP-ADAR wird das Werkzeug genannt, das ein Fusionsprotein aus dem Protein SNAP-Tag und der Desaminase ADAR (Adenosine deaminase acting on RNA) ist. „Diese Enzyme kommen so in der Natur nicht vor. Wir verwenden sie als Tools, um Eingriffe auszuprobieren und Tests für die Grundlagenforschung zu machen“, sagt Stafforst. „Unser Werkzeug stellt eine generelle Plattform dar, um sehr effizient sequenzspezifisch RNA zu manipulieren.“1
Zudem haben die Forscher seit Kurzem auch noch einen zweiten, äußerst vielversprechenden Ansatz zur Hand. Er soll der Therapieentwicklung und der zukünftigen medizinischen Anwendung dienen und wird RESTORE (recruiting endogenous ADAR to specific transcripts for oligonucleotide-mediated RNA-editing) genannt. Erste Ergebnisse der Anwendung von RESTORE an menschlichen Primärzellen konnten erst dieser Tage veröffentlicht werden.2 Das Prinzip von RESTORE besteht in der Rekrutierung der natürlichen ADAR-Aktivität in den Zellen, sodass die Enzyme dort die eigene RNA umschreiben. „Hier müssen wir kein extra Enzym zugeben“, erklärt der Wissenschaftler. „Die natürlichen Enzyme können zwar nicht ganz so viel wie die künstlichen, aber das ist keine gravierende Limitierung. Die gRNA geben wir chemisch stabilisiert zu, das ist schon auf eine eventuelle zukünftige pharmazeutische Anwendung als Antisense-Therapie ausgerichtet. Der Trick dabei ist, dass wir den Antisense-Teil der gRNA noch mit einer RNA-Struktur versehen haben, die die zellulären ADARs anlockt. Die Sequenz der gRNA muss so mit chemischen Modifikationen kombiniert werden, dass das Editierungswerkzeug funktioniert. Getestet haben wir das mit Hepatocyten, aber ADAR wird ubiquitär exprimiert, das sollte demnach in vielen Zelltypen funktionieren.“
Rekrutierung humaner, zelleigener Enzymaktivität
Einfach die körpereigenen Enzyme zur gezielten RNA-Manipulation einzuspannen, bringt viele Vorteile. Beispielsweise besteht ein ganz praktischer Effekt darin, dass es sich bei RESTORE um keine Gentherapie handelt, sodass die Hürden von besonders aufwendigen, teuren Prüfverfahren wegfallen würden. „Und im Gegensatz zu künstlichen Editierungsmaschinen hat unser Ansatz viel weniger Off-target-Effekte – arbeitet also viel präziser“, fügt der Professor hinzu. „Auch haben wir die begründete Hoffnung, dass das Verfahren einmal effizienter sein könnte als CRISPR/Cas und andere. Es gibt noch viel Potenzial zur Verbesserung, und wir arbeiten mit Nachdruck daran, das Verfahren noch effizienter zu machen.“
Ein Nachteil des Tübinger Verfahrens ist es allerdings, dass Aminosäuren nicht beliebig ausgetauscht werden können. ADARs sind lediglich in der Lage, an ihrer Ziel-RNA eine einzige Basensorte auszutauschen, nämlich Adenosin zu Inosin, das wie Guanosin gelesen wird. „In der Tat schränkt es ein, dass wir damit nicht beliebige Aminosäuren in den Proteinen austauschen können“, räumt Stafforst ein. „Das heißt, die Anwendung für monogenetische Erkrankungen ist zu einem gewissen Grad limitiert. Wir sehen jedoch zusätzlich Anwendungspotenzial bei reversiblen Eingriffen in das Transkriptom, die mit den Genscheren nicht zugänglich sind.“
Schon erfolgreich Mutation in Körperzellen repariert
Dass die Therapie einer monogenetischen Erkrankung mithilfe von RESTORE prinzipiell funktionieren kann, konnten die Forscher in ihrer aktuellen Publikation in Nature Biotechnology2 zeigen. Dabei ist es ihnen gelungen. mit natürlichen ADARs die sogenannte PiZZ-Mutation partiell zu reparieren, die Auslöser für einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist – eine Stoffwechselerkrankung, die zu schweren Leber- und Lungenschäden führt. „Dies ist die allererste Beschreibung der Nutzung des körpereigenen humanen Enzymsystems zur RNA-Manipulation – ohne Überexpression, was bislang nicht möglich war und für die künstlichen Editierungsenzyme stets notwendig ist.“ Für den therapeutischen Ansatz wurde die gRNA in primäre Zellen in Kultur transfiziert. Denkbar wäre es jedoch für zukünftige Therapien, die gRNA auch systemisch anzuwenden. In einem der nächsten Schritte soll die Frage geklärt werden, wie lange der Effekt anhalten kann. „Wenn es uns gelingt, die stabilisierte RNA langfristig in der Zelle zu halten, dann wird die Wirkung auch lange – vielleicht über Wochen oder Monate – anhalten können“, so Stafforst. „Aber die Frage wird ja auch sein, ob man das überhaupt will. Je nachdem, welches Target man ansteuert, möchte man vielleicht auch nur einen kurzfristigen Effekt.“
An der Verbesserung der Technik und der Werkzeuge wird man am IFIB in den nächsten Monaten und Jahren noch weiter arbeiten. Die Verfahren wurden mittlerweile zum Patent angemeldet. Auf die Frage nach einer kommerziellen Verwertung antwortet der Gruppenleiter: „RESTORE ist im Moment noch in einem recht frühen Stadium, aber es ist ganz klar Verwertungspotenzial da. Entsprechend führen wir Gespräche mit möglichen Firmen und Geldgebern.“