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Haben Darmbakterien etwas mit Autismus zu tun?

Autisten haben andere Mikroorganismen im Darm als Nicht-Autisten. Forscher vermuten, dass eine gestörte Darmflora an Gehirn-Entwicklungsstörungen wie Autismus beteiligt ist. Etwas Licht ins Dunkel könnte das aufstrebende neue Gebiet der Metaproteomik bringen. Ein Team um Prof. Dr. Boris Macek aus Tübingen hat dafür den bakteriellen Proteinpool im Stuhl von Mäusen mit autistischem Verhalten untersucht.

Das Foto zeigt ein Porträt von Professor Boris Macek.
Prof. Dr. Boris Macek, Quantitative Proteomik, Direktor des Proteom Center Tübingen © Jörg Abendroth

Erst kürzlich haben Forscher gezeigt, dass keimfreie Mäuse Autismus-ähnliche Symptome entwickeln, wenn ihnen der Stuhl von Autisten transplantiert wird1. Andersherum scheint die Darmflora aus dem Stuhl von Gesunden in einer ersten kleinen Studie die Verhaltensstörungen und häufig vorkommenden Magen-Darm-Beschwerden von autistischen Kindern zu lindern2. Auch wenn diese Ergebnisse, die noch bestätigt werden müssen, vielversprechend sind: „Wir wissen immer noch nicht genau, welchen Einfluss die Darmflora auf molekularer Ebene auf die Symptome haben könnte“, sagt Boris Macek, Leiter des Proteom Centrum Tübingen (PCT).

Dass das Darm-Mikrobiom mit all den Bakterien und anderen Mikroorganismen, die den Darm besiedeln, unverdauliche Nahrung aufspaltet, das Immunsystem stärkt und vor Krankheitserregern schützt, weiß man schon länger. Dass die Darmbewohner auch mit dem Gehirn kommunizieren, ist eine relativ neue Erkenntnis. Die Darmbakterien schütten Stoffwechselprodukte aus, aktivieren oder hemmen Entzündungsprozesse und produzieren sogar Neurotransmitter. Der Draht zum Gehirn führt dann wahrscheinlich über die Blutbahn, das Immunsystem und das Nervengeflecht, das den Darm umgibt3.

Darm durchlässiger für bakterielle Substanzen

Die veränderte Darmflora bei Menschen mit Neigung zu Autismus-Spektrum-Störungen bewirkt möglicherweise, dass deren Darm für bakterielle Substanzen durchlässiger wird4. Dadurch könnte es einer Hypothese zufolge im Darm, aber auch im Gehirn zu einer unterschwelligen chronischen Entzündung kommen. Diese könnte wiederum die frühkindliche Entwicklung und Schwere der Autismus-Symptome mit beeinflussen, etwa die Unfähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, oder stereotype Verhaltensweisen. Eine solche Entzündung ist bei Entwicklungsstörungen wie Autismus bereits nachgewiesen worden.

Macek und Forscher aus England, Frankreich und Spanien sind dieser Hypothese in dem EU-Projekt mNeuroINF in Mausmodellen auf den Grund gegangen. Maceks Team hat dafür das Metaproteom aus dem Stuhl der Mäuse analysiert, also die Gesamtheit aller mikrobiellen Proteine im Stuhl. Bei den Mäusen handelt es sich um Down-Syndrom- und Fragile-X-Syndrom-Tiere, bei denen aufgrund von bestimmten Erbgutdefekten ebenfalls die Gehirnentwicklung gestört wird und die Parallelen zu Autismus aufweisen.

So zeigen Mäuse, aber auch Menschen mit diesen Defekten, neben den für die jeweilige Erkrankung spezifischen Symptomen auch autistische Verhaltensweisen, eine veränderte Darmflora sowie eine Entzündung des Gehirns. „Es gibt für Autismus nicht viele Mausmodelle“, begründet Macek die Wahl. Autismus ist nicht gleich Autismus, sondern eher ein Spektrum von Störungen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Symptomen. So etwas ist schwer nachzustellen, wenn man die Ursachen noch nicht kennt.

Glutamat stört womöglich die Hirnentwicklung

Dennoch haben die Tübinger einen interessanten Fund gemacht, der auch für Autismus gelten könnte: „Bei Down-Syndrom-Mäusen haben wir im Vergleich mit normal entwickelten Mäusen gesehen, dass Enzyme, die Glutamat herstellen, hochreguliert sind und Enzyme, die Glutamat abbauen, herunterreguliert sind“, erzählt Macek. Das passt zu der Entdeckung einer früheren Studie, wonach Kinder mit Autismus erhöhte Glutamat-Spiegel im Blut aufweisen5. Glutamat ist ein wichtiger erregender Neurotransmitter im Gehirn, schädigt jedoch in hohen Mengen Nervenzellen und wird als mögliche Ursache für neuronale Entwicklungsstörungen diskutiert.

Einen direkten Hinweis auf fehlregulierte Proteine, die bei einer Immunantwort eine Rolle spielen, fanden die Proteom-Forscher in keiner der Stuhlproben aus den beiden Mausmodellen. Sie konnten aber an Zellkulturen zeigen, dass mikrobielle Stoffwechselprodukte aus dem Darm durchaus Entzündungen des Gehirns beeinflussen könnten. So hemmte Trimethylamin, das beim Zerlegen der Nahrung durch Darmmikroben häufig anfällt und auch im Gehirn nachgewiesen wurde, Entzündungen in bestimmten Immunzellen des Gehirns. Die einzelnen Puzzle-Teile ergeben zwar noch kein Gesamtbild der molekularen Wege, über die das Darm-Mikrobiom Gehirnentwicklungsstörungen beeinflusst. Sie zeigen aber, dass die Forscher möglicherweise auf der richtigen Spur sind. Gerade sind die Projektpartner dabei, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.

Als nächstes müssen die Forscher jedoch beweisen, dass Glutamat und Trimethylamin tatsächlich von Darmbakterien stammen. „Das ist nicht so leicht, weil der Stoffwechsel des Menschen, oder in dem Fall der Maus, auch Glutamat erzeugt“, sagt Macek. Das Gleiche könnte für Trimethylamin zutreffen. Gelingt der Beweis in Tierversuchen, steht dann noch die Bestätigung der Ergebnisse am Menschen aus.

Metaproteomik ergänzt Metagenomik

Das Foto zeigt die Ionenquelle eines Massenspektrometers.
In der Metaproteomik werden Proteine aller Bakterien beispielsweise aus der Darmflora isoliert, mit Enzymen verdaut, ionisiert und mittels Massenspektrometrie gemessen. So kann man tausende Proteine aus komplexen Proben in kurzer Zeit nachweisen. © Boris Macek

Wenn es um die Aufdeckung der Rolle des Darm-Mikrobioms bei Erkrankungen geht, sind die Forscher nicht nur bei Autismus-Spektrum-Störungen erst am Anfang. Dank großer Metagenom-Projekte, bei denen Forscher das kollektive Erbgut aller Mikroorganismen einer Lebensgemeinschaft untersuchen, kennen sie zwar mittlerweile die häufigsten Darmbakterien und die Funktion vieler ihrer Gene. „Was wir mit Metagenomik aber nicht analysieren können, ist, welche der mikrobiellen Gene tatsächlich aktiv sind“, sagt Macek. Am besten schaue man sich daher die Genprodukte an. Das sind größtenteils Proteine.

„Wir haben einen Arbeitsablauf etabliert, durch den wir mittels Massenspektrometrie bis zu 30.000 unterschiedliche Proteine aus dem Stuhl von Mäusen identifizieren können. Das heißt, wir können uns mit den besten Laboren der Welt messen“, sagt Macek stolz. Eine große Herausforderung für die Metaproteomiker sind nämlich die meist geringen Anteile der einzelnen Proteingruppen in der Probe. Schließlich besiedeln mehrere Hundert verschiedene Bakterienarten mit jeweils unterschiedlichem Proteinpool den Darm. Und Proteine lassen sich im Gegensatz zu DNA auch nicht im Labor vervielfältigen, um sie besser detektieren zu können. Macek mahnt daher: „Wir müssen extrem aufpassen, wie wir die Proben aufbereiten, weil unterschiedliche Methoden die Zusammensetzung des nachgewiesenen Mikrobioms beeinflussen können“.

Noch gibt es weltweit nur wenige Forschungsgruppen, die sich der Metaproteomik widmen. Auch für den Proteom-Experten Macek, der sich bisher hauptsächlich für Proteinprofile von Tumoren oder bestimmter Antibiotika-resistenter Bakterien interessierte, war es das erste Metaproteom-Projekt. „Proteomik kommt immer mit Verspätung, weil wir zunächst die genomischen Daten als Abgleich brauchen“, sagt Macek.

Zwar könne man die einzelnen Proteine aus dem mikrobiellen Proteinpool identifizieren, wisse aber oft nicht, von welcher Spezies sie stammen. „Wenn ich in den Metagenom-Daten sehe, dass zum Beispiel das Bakterium Prevotella in einer Probe am häufigsten vorkommt und laut Metaproteom-Daten eine Aldolase das häufigste Enzym in der Probe ist, dann entstammt das Enzym wahrscheinlich, aber nicht zwangsläufig, dieser Spezies“, erklärt Macek. Ergänzend dazu könne man noch alle mikrobiellen Stoffwechselprodukte der Probe messen, das Metabolom, und analysieren, ob die vorhandenen Enzyme tatsächlich bestimmte Stoffwechselprodukte produzieren. Indem die Forscher alle -omik-Daten kombinieren, werden sich bakterielle Stoffwechselwege, die eventuell für Krankheit und Gesundheit wichtig sind, künftig immer besser aus dem riesigen Stoffwechsel-Netzwerk der Darmbewohner herausfiltern lassen. Vielleicht lässt sich daraus irgendwann mal auch eine Therapie für Autismus-Spektrum-Störungen ableiten.

Literatur:

1 Sharon G et al. (2019). Human Gut Microbiota from Autism Spectrum Disorder Promote Behavioral Symptoms in Mice. Cell 177(6): 1600-1618

2 Kang DW et al. (2019). Long-term benefit of Microbiota Transfer Therapy on autism symptoms and gut microbiota. Sci Rep 9(1): 5821

3 Cryan JF, Dinan TG (2012). Mind-altering microorganisms: the impact of the gut microbiota on brain and behavior. Nat Rev Neurosci 13(10): 701-712

4 Fattorusso A et al. (2019). Autism Spectrum Disorders and the Gut Microbiota. Nutrients 11(3): 521

5 Shimmura C et al. (2011). Alteration of plasma glutamate and glutamine levels in children with high-functioning autism. PLoS One 6(10): e25340

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/haben-darmbakterien-etwas-mit-autismus-zu-tun