Mit immer besseren und feineren Verfahren durchdringen Forscher die Welt des Mikro- und Nanokosmos. Um jedoch Materialien und Moleküle auf der noch viel tieferen Ebene des Quantenniveaus zu verstehen, reichen herkömmliche Untersuchungsmethoden nicht aus. Nicht nur, weil es hier um unvorstellbar kleine Dimensionen geht, sondern auch, weil in der Quantenwelt teilweise andere physikalische Gesetze herrschen als in unserem relativ grob gestrickten Makrokosmos. Einen Ausweg liefert die Mathematik: Physiker und Mathematiker arbeiten seit Jahren mit Hochdruck an Algorithmen, mit denen sie die Quantenwelt erfassen und beschreiben können.
Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist der Quantencomputer. Er rechnet nicht wie ein „normaler“ Computer mit simplen binären Basiszuständen, quasi Entweder-Oder-Entscheidungen, ausgedrückt in 0 und 1. Quantencomputer gehen darüber hinaus, hier wird – mit gewissen berechenbaren Wahrscheinlichkeiten – mit Überlagerungen solcher Basiszustände gearbeitet. Daraus ergibt sich ein hochkomplexes und hoch leistungsfähiges Instrument der Datenverarbeitung – genau das Richtige, um die rasant wachsenden Datenberge in der akademischen und industriellen Forschung und Entwicklung zu managen.
Anwendungsfeld wurde im Dialog mit der Industrie sorgfältig abgesteckt
Parallel zum wissenschaftlichen Fortschritt beim Quantencomputing zeichnen sich zunehmend kommerzielle Anwendungen ab. „2012 wurde klar, dass Quantencomputer tatsächlich gebaut werden können. Seitdem haben wir überlegt, wie wir Produkte dazu entwickeln können“, sagt Thomas Marthaler, CEO und Mitgründer von HQS Quantum Simulations. Zehn Jahre hat der Physiker als Postdoc und Gruppenleiter am Institut für Theoretische Festkörperphysik am KIT gearbeitet, bevor er und seine drei Mitgründer im November 2017 die Firmengründung wagten. Unterstützt wurde das Team dabei durch „upCAT“, die Gründerschmiede des KIT.
„Im Vorfeld haben wir viele intensive Gespräche mit potenziellen Industriekunden, unter anderem in der Chemie- und Pharmabranche geführt, um die Anwendungen von Quantencomputing bei der Material- und Molekül-Simulation zu recherchieren. Im Grunde geht es um alle Fragestellungen, die sich mit herkömmlichem Computing nicht lösen lassen“, erklärt Marthaler. Als Beispiele nennt er Vorgänge bei der chemischen und biochemischen Katalyse, Fragestellungen rund um die optische Anregung von Molekülen und beim Magnetismus, etwa bei Speicherbauteilen. Wirtschaftliche Prozesse rund um diese Themen sollen zukünftig mithilfe des Quantencomputing optimiert werden.
Bei allem Fortschritt sind jedoch bisher noch keine Quantencomputer auf dem Markt, die sich eine Firma einfach so kaufen kann. Deshalb testet das Team von HQS Quantum Simulations seine Algorithmen auf cloudbasierten Plattformen, die Entwickler von Quantencomputern zur Verfügung stellen. „Wir haben Zugang zu Rigetti Computing in Berkeley, USA, und zum Quantensystem von IBM“, so Marthaler. Daneben implementiert das Start-up seine Methoden zunächst auf normalen Rechnern. Das heißt, es entwickelt Algorithmen und Multiskalen-Simulationen, mit denen Vorgänge über mehrere Größenordnungen hinweg bis zur Molekularebene und darunter untersucht werden können. In mehreren Schritten kann so immer genauer in chemische und biochemische Prozesse hineingezoomt werden. Der allerletzte Schritt in die Quantenebene und damit zu einer noch genaueren Analyse könne relativ einfach hinzugefügt werden, wenn Quantencomputer auf breiterer Basis zugänglich sind, so Marthaler. Er rechnet damit, dass die Quantentechnologie Anfang bis Mitte der Zwanziger Jahre für erste kommerzielle Nischenanwendungen in der Cloud zur Verfügung steht.
Künftige kommerzielle Anwendungen in der Chemie- und Pharmabranche zielen darauf ab, Prozesse bei der Herstellung von Wertstoffen und medizinischen Wirkstoffen zu optimieren. Erste Beispiele gibt es bereits. Marthaler nennt etwa die quantenmechanische Simulation von Calicheamicin, einem bakteriellen Toxin, das unter anderem in der Krebstherapie eingesetzt wird. Je mehr Substanzen mit ihren Wechselwirkungen bis in die Quantenebene hinein untersucht und verstanden werden, umso besser können zielgerichtete, auch personalisierte Therapien entwickelt werden. Insgesamt eröffnet das Quantencomputing neue ungeahnte Chancen für die Life Sciences, deren Auswirkungen heute noch gar nicht abschätzbar sind.
Da das Ganze ein extrem in die Zukunft gerichtetes Thema ist, stellt sich die Frage, wie HQS Quantum Simulations bereits heute damit Geld verdienen kann. „Mit unseren Software-Entwicklungen können unsere Kunden heute schon die Möglichkeiten der Multiskalen-Simulationen voll ausschöpfen und dementsprechend einen Wertgewinn generieren. Dieser wird noch stärker ausfallen, wenn die Quantensimulationen dann in absehbarer Zeit hinzukommen. Darauf bereiten wir unsere Kunden optimal vor. Daneben bieten wir ihnen umfassende Beratungsdienstleistungen zu Molekül- und Materialsimulationen an“, umreißt Marthaler das Geschäftsmodell des siebenköpfigen Firmenteams. Wenn die Dynamik um das Hype-Thema Quantencomputing weiter zulegt, wird HQS Quantum Simulations mit seiner Expertise für weitere industrielle Umsetzungen bereitstehen.