Spin-off des NMI entwickelt Theranostik
immuneAdvice entwickelt Diagnostika zur Wirksamkeit von Immuntherapien
Einige Krebsarten werden bereits erfolgreich mit Immuntherapien behandelt. Sie wirken jedoch bei verschiedenen Patientinnen und Patienten unterschiedlich gut. Forschende vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen in Reutlingen (NMI) und der Universität Tübingen entwickeln eine therapiebegleitende Diagnostik, mit der schnell geprüft werden kann, ob die Therapie anspricht oder angepasst werden muss. Die immuneAdvice GmbH mit Sitz in Reutlingen wurde im Juli 2024 ausgegründet und stellt derzeit ein Investmentkonsortium für die Anschlussfinanzierung zusammen.
Bei schwarzem Hautkrebs, Lungenkrebs und einigen weiteren Tumorarten werden sie schon erfolgreich eingesetzt: Immuntherapien. Normalerweise erkennt das Immunsystem Tumorzellen und tötet sie ab. Aber manchmal entkommen die Zellen diesem natürlichen Schutzmechanismus. Eine Immuntherapie kann dem Immunsystem helfen, Krebszellen wieder zu erkennen und zu bekämpfen. Doch wie gut Patientinnen und Patienten darauf ansprechen, lässt sich nicht individuell vorhersagen. „Unser Ziel ist, mit einer optimalen Diagnostik, dem Patienten die richtige Therapie zur richtigen Zeit zur Verfügung stellen“, sagt Dr. Teresa Wagner, Projektleiterin am NMI in Reutlingen. Dazu haben die Forschenden besondere Antikörperfragmente aus Alpakas nach Immunisierung isoliert, weiterentwickelt und radioaktiv markiert. Dem Patienten oder der Patientin injiziert, binden diese sogenannten Immunzell-Tracer (ICE-Ts) an bestimmte Immunzellen, die durch die radioaktive Markierung in der Positronenemissionstomografie (PET) sichtbar gemacht werden können. Kombiniert mit einer Computer- oder Magnetresonanztomografie (CT, MRT), können Tumor- und Immunzellen dann in Gewebe oder Knochen genau lokalisiert werden.
So kann beobachtet werden, wie sich die Immunzellen in der Tumorumgebung verhalten: „Bei sogenannten heißen Tumoren sind viele Immunzellen im Tumorgewebe vorhanden - ein Zeichen, dass die Immuntherapie anschlägt“, erklärt Wagner. Bei kalten Tumoren schaffen es die Immunzellen nicht, in den Tumor einzudringen, um ihn zu bekämpfen. So ist schnell klar, ob die Patientin oder der Patient auf die Immuntherapie anspricht, oder ob sie angepasst werden muss. Und während bei einer Biopsie nur eine punktuelle Momentaufnahme gelingt, kann mit der neuen nicht-invasiven Methode der gesamte Tumorbereich sichtbar gemacht und der Therapieverlauf verfolgt werden.
Für Klinische Phase werden Investoren gesucht
„Wir fokussieren uns nicht auf bestimmte Krebserkrankungen, sondern auf den gesamten Bereich der Immuntherapie“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Forschenden haben verschiedene ICE-Ts im Portfolio. Für den ersten Leitkandidaten ist die präklinische Entwicklung bereits abgeschlossen. Nun soll der Antrag für eine erste Studie am Menschen, die Klinische Phase I, gestellt werden. Und da für diesen Schritt keine öffentlichen Gelder mehr zur Verfügung stehen, haben sich Wagner und ihr Team für eine Ausgründung entschieden. „Wir sind jetzt explizit auf Investorensuche, um in die Klinische Phase eintreten zu können“, sagt sie. Der Leitkandidat wird zunächst bei Patientinnen und Patienten mit schwarzem Hautkrebs angewendet werden. Denn bei dieser Krebserkrankung werden Immuntherapien bereits standardmäßig eingesetzt.
Wagner geht aktuell davon aus, dass sie und ihr Team Ende 2025 in die Klinische Phase starten. In Phase I werden in einer kleinen Studie mit etwa 15 Hautkrebspatientinnen und -patienten Verträglichkeit und Sicherheit des Diagnostikums untersucht. Da es sich um ein bildgebendes Verfahren handelt, kann schon in dieser Phase abgeschätzt werden, ob und wie gut die Diagnostik funktioniert. Voraussichtlich innerhalb eines Jahres wird man die Phase abschließen können. Danach muss in weiteren Studien mit einer größeren Anzahl an Patientinnen und Patienten nachgewiesen werden, dass die ICE-Ts das leisten können, was sie versprechen: den Einsatz von Immuntherapien besser steuern zu können. „Denn mit einer Vielzahl neuer Therapien, die sich zurzeit in der klinischen Entwicklung befinden, wird es in Zukunft vor allem darauf ankommen, den Ärzten bessere Entscheidungshilfen bei der Wahl des jeweils wirksamsten Medikaments bereitzustellen“, so Wagner.
Erfolgreich EXIST-Forschungstransfer-Mittel eingeworben
An der Idee, Immunzell-Tracer zu entwickeln, arbeiten Wagners Kolleginnen und Kollegen schon seit 2018; sie selbst kam 2020 ans NMI. In ihrer Promotion hat sie den zweiten Leitkandidaten entwickelt. Seit 2022 spielt das Team mit dem Gedanken, auszugründen und hat dazu 2023 bereits fast zwei Mio. Euro EXIST-Forschungstransfer-Mittel für zwei Jahre eingeworben, um das Forschungsprojekt in ein Start-up zu überführen. Das Programm „Existenzgründungen aus der Wissenschaft“ (EXIST) wird von der Europäischen Union gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz über den Europäischen Sozialfonds Plus gefördert. Beim Gründerwettbewerb Science4Life Venture Cup wurden die Forschenden für ihre Geschäftsidee ausgezeichnet. „Da haben wir sehr hilfreiches Feedback für unseren Businessplan erhalten“, sagt Wagner rückblickend.
Jetzt konzentrieren sie sich darauf, Investoren zu finden. „Wir sind noch am Anfang. Der große Schritt ist, alles in die Klinik zu bringen, und dazu sind große Geldsummen notwendig, was nur durch ein Investment-Konsortium geleistet werden kann“, beschreibt sie die Herausforderung. Das vierköpfige Kernentwicklungsteam aus Forschenden, Ärztinnen und Ärzten hat mit erfahrenen Mentorinnen und Mentoren vom NMI und der Uni Tübingen unter Wagners Leitung im Juli 2024 die immuneAdvice GmbH gegründet, und sobald die Finanzierung steht, wird das Start-up in Mieträume am NMI ziehen. Die Forschenden hoffen, dass dies im Frühling/Sommer 2025 gelingt.
Aktuell fokussieren sich die Forschenden auf die therapiebegleitende Diagnostik. Im Idealfall können Therapie und Diagnostik in einem Molekül kombiniert werden, was als Theranostik bezeichnet wird. Wagner schließt nicht aus, zukünftig auch im Bereich der Therapie tätig zu werden und Kombimoleküle zu entwickeln.