Innovative Therapien
Labor Dr. Merk setzt voll auf virale Therapeutika
Das Labor Dr. Merk & Kollegen (LMK) richtet sein Geschäft neu auf virale Therapeutika aus. Mit dem Strategiewechsel will sich das Unternehmen, das jahrzehntelange Expertise auf dem Gebiet der Virologie hat, im stark wachsenden neuen Markt für neuartige Therapien – Advanced Therapies Medicinal Products (ATMP) – rechtzeitig in Position bringen. Bei Gen- und Virotherapien (onkolytischen Viren), Tumorvakzinen und CAR-T-Zelltherapien sind Viren als Vehikel, Killer von Tumorzellen oder Impfstoff unerlässlich.
„Wir bieten dem Kunden viel aus einer Hand an“, sagt Dr. Ingrid Rapp und verdeutlicht: „Ein solches Komplettangebot wie das unsrige bieten nur wenige Firmen auf der Welt." Die geschäftsführende Gesellschafterin ist selbst Virologin und spielt darauf an, dass andere CDMOs (Contract Development and Manufacturing Organization, Vertragshersteller) entweder stark in der Produktion oder in der Analytik sind, nicht aber beide Kompetenzen in diesem Ausmaß gleichzeitig auf sich vereinen wie das Labor Dr. Merk & Kollegen (LMK).
Analytik, Prozessentwicklung, GMP-Produktion und Freigabe
Big Pharma und Biotech – die anvisierte Kundschaft – erhalten im oberschwäbischen Ochsenhausen das fast vollständige Leistungsangebot: beginnend bei der Prozessentwicklung über die GMP-Produktion (Upstream und Downstream) und Analytik bis hin zur Freigabe; ausgenommen davon sind lediglich die Sterilabfüllung und Verpackung.
Sobald ein viraler therapeutischer Kandidat das Forschungslabor verlässt, kann er bereits in dieser frühen Phase zu LMK transferiert werden. Dort wird nicht nur der GMP-Prozess für jedes einzelne Virus entwickelt, sondern dieser wird auch gefertigt, analysiert und von einer sachkundigen Person freigegeben, ehe er zur Sterilabfüllung transferiert wird und dann als fertiges klinisches Muster an den Kunden übergeben wird. Weil alle dafür nötigen Schritte vor Ort durchgeführt werden können, dauere diese Dienstleistung sechs bis neun Monate, sagt die LMK-Chefin.
Langjährige Expertise in Virologie
Das inmitten der biopharmazeutisch starken Region zwischen Ulm und Ravensburg verankerte Unternehmen ist seit fast 50 Jahren auf dem Gebiet der Virologie tätig. Es hat sich in dieser Disziplin umfassendes Know-how erworben, auch und zuletzt vor allem als analytischer Dienstleister für die (bio-)pharmazeutische Industrie. „Deshalb bezeichnen wir uns auch als Experten für Virologie“, sagt CEO Rapp. Über die Jahre hinweg hat die inzwischen auf über 100 Mitarbeiter angewachsene Firma ein breites Spektrum analytischer Methoden aufgebaut, die GLP- und GMP-zertifiziert sind. Diese wurden in der Pharma- und Biotechindustrie für Prüfdienstleistungen eingesetzt.
Auf dem Fundament seiner breit aufgefächerten virologischen Analytik hat LMK gewissermaßen sein Haus für die Herstellung viraler Therapeutika hochgezogen. Die Reinräume sind inzwischen in Betrieb, seit November 2019 liegt die GMP-Herstellerlaubnis des zuständigen Regierungspräsidiums Tübingen vor.
Strategiewechsel soll Wachstum und Zukunft sichern
Die strategische Neuausrichtung geschah in den Jahren 2015 und 2016, berichtet Rapp. Sie sei das Ergebnis und die Antwort darauf, wie die Firma wachsen und sich zukunftsorientiert entwickeln könne. Den Ausschlag gab eine Untersuchung des ATMP-Marktes. Drei Jahre später, und nach einer Investition in zweistelliger Millionenhöhe in Personal und Material, scheinen aktuelle Indikatoren den Strategiewechsel von LMK zu bestätigen. Auch wenn längst nicht jedes Unternehmen der Pharma- und Biotechwelt selbst entwickelt und produziert – die Nachfrage für die Leistungen des Labors Dr. Merk & Kollegen steigt.
Die Zahl früher klinischer Studien für virale Therapeutika ist in den vergangenen drei Jahren auf über 1.000 in die Höhe geschossen. Eine hohe Forschungsintensität speist zudem eine stetig wachsende Pipeline möglicher ATMP-Kandidaten. An teils spektakulären therapeutischen Erfolgen jüngst zugelassener Gentherapien und CAR-T-Zell-Therapien entzündeten sich Finanzierungsphantasien, die zudem von einem medialen Hype zusätzlich befeuert werden.
Wachstumsmarkt individualisierte Medizin
Zwar nimmt sich die Zahl der mit ATMPs behandelten Patienten in Amerika und Europa mit schätzungsweise 4.500* im Jahr 2019 noch bescheiden aus, doch für die individualisierte Medizin gelten andere Maßstäbe. Inzwischen agieren rund 1.000 Unternehmen jeder Größe auf diesem Feld und investieren reichlich Kapital (2019 rund 10 Mrd. Euro). 2019 gab es fünf Zulassungen in USA, EU oder Japan; ab 2020 rechnen Marktbeobachter wie auch Zulassungsbehörden mit einem weiteren Dutzend.
Mittlerweile hat LMK nicht nur personell aufgerüstet, sondern auch neue Kapazitäten geschaffen: Labore für die Prozessentwicklung ebenso wie Reinräume für die GMP-Produktion. Auch die Analytik wurde erweitert, um weitere Methoden wie zum Beispiel Partikelanalyse und DLS (Dynamic Light Scattering) zu entwickeln. Anders als bei der großtechnischen Antikörperproduktion in Reaktoren mit mehr als 10.000 Litern bewegt man sich mit viralen Therapeutika auf dem Feld der individualisierten Medizin. Hier sind die Chargen unterschiedlicher und deutlich kleiner. Das eröffnet kleineren, spezialisierten Akteuren wie LMK neue Geschäftsfelder.
Gerüstet für die Produktion selbst später klinischer Studien
„Mit unserem 200-Liter-Scale für die Virusproduktion, den wir verdoppeln können, können wir die Kunden in den frühen klinischen Phasen bedienen“, sagt Rapp, die natürlich weiß, dass das von der erst zu ermittelnden Dosis und der Zahl der therapeutischen Anwendungen abhängt. Ihr Unternehmen sieht sie auch für größere Produktionsmengen gewappnet, sollten diese in späten klinischen Phasen erforderlich werden. Denn die Firma hat an ihrem Standort vorgesorgt und ausreichend Platz für weiteres Wachstum geschaffen.
Für die Entwicklung viraler Therapeutika kommen nach Auskunft der Virologin zahlreiche Viren in Frage: Lentiviren, Adenoviren, Adenoassoziierte Viren (AAV), Retroviren, Herpesviren, Masernviren oder auch Rhabdoviren. Technisch macht diese Vielfalt für LMK wenig Unterschied. Man braucht dafür die gleichen Maschinen, allerdings jeweils unterschiedliche Medien, Prozesse und Reinigungsverfahren. Im Grunde aber ähneln sich diese Bereiche in der Technologie trotz unterschiedlicher Viren: Man startet mit einer Zellkultur zur Vermehrung der Viren, expandiert diese, erntet, reinigt und analysiert das Ergebnis.
LMK hält mehrere Plattformtechnologien vor und streut so nach Rapps Worten auch das Risiko. Flexibel will das Unternehmen auf Kundenwünsche eingehen: Hat der Kunde bereits einen Prozess entwickelt, lässt sich auch dieser ins Oberschwäbische transferieren, um dort die GMP-Herstellung zu etablieren. Genauso kann dieser aber mit dem Kunden neu entwickelt werden und begleitet von der Analytik in die GMP-Herstellung überführt werden.
Steigendes Interesse bei Pharmaunternehmen
Die Neuausrichtung trägt Früchte. Drei Kunden hat LMK für seine neuen ATMP-Dienstleistungen bereits gewonnen. Mit mehreren großen Pharmaunternehmen befindet man sich in Gesprächen. Auch das Analytikgeschäft läuft nach Angaben der Geschäftsführung sehr gut. Außerdem unternimmt LMK eigene Forschungsanstrengungen. So treiben die Oberschwaben in Kooperation mit anderen Unternehmen neuartige Entwicklungen im Bereich der Affinitätschromatografie voran.
Bisherige Kunden werden weiterhin mit analytischen Prüfdienstleistungen wie in der Vergangenheit bedient, sagt Rapp. Im Zuge der Neuausrichtung hat sich LMK von der Entwicklung und Produktion von In-vitro-Diagnostika getrennt. Desgleichen werden die Medizinprodukteprüfungen sukzessive heruntergefahren. Der Fokus richtet sich im wachsenden Maße auf Pharmaprüfungen und Pharmakunden, die bei LMK entwickeln und produzieren lassen.