Innovation in der Endoskopie
Magenspiegelung per Kamerapille
Eine Kamerapille zur Untersuchung des Gastrointestinaltrakts, die sich ohne größere Probleme schlucken lässt, intuitiv von außen steuerbar ist und Bilder in Echtzeit liefert – welcher Arzt und Patient würde sich das nicht wünschen? Was sich für den Laien eher wie Science-Fiction anhört, ist auch tatsächlich schon in der Entwicklung: Im Projekt nuEndo arbeitet die Tübinger Firma Ovesco Endoscopy AG seit dem Jahr 2019 gemeinsam mit drei Partnern an einer solchen Möglichkeit.
Zu einer Magenspiegelung geht sicher niemand gern. Der Eingriff gehört zwar weltweit schon lange zum medizinischen Standard und wird an vielen Kliniken und Praxen mit flexiblen Endoskopen häufig unter Betäubung des Rachens und in Sedierung durchgeführt. Die Untersuchung wird aber trotzdem von den meisten Patienten als sehr unangenehm empfunden. Zudem ist das Verfahren nicht gänzlich ohne Risiken. Der Leidensdruck, eine solche Untersuchung durchführen zu lassen, muss also groß sein, bevor diese angegangen wird. Zudem kann sie nur von speziell geschulten Fachärzten durchgeführt werden, so dass lange Wartezeiten auf Termine keine Seltenheit sind.
Hier möchte das Projekt nuEndo Abhilfe schaffen. Für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2022 mit knapp 1,7 Millionen Euro geförderte Forschungsvorhaben arbeitet die Firma Ovesco Endoscopy AG in Tübingen als Experte für Technologien zur endoskopischen und chirurgischen Therapie im Magen-Darm-Trakt an der Entwicklung einer diagnostischen Magenspiegelung per Kapsel. Mit im Boot sind außer des Tübinger Verbundkoordinators Ovesco auch noch der Robotik-Spezialist SENSODRIVE GmbH - eine Ausgründung aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) - im bayerischen Weßling, das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin und das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart.
Ganz neue kabellose Variante zu diagnostischen Zwecken
Bei der von einer Gruppe aus Ärzten und Wissenschaftlern gegründeten Ovesco gehört die Entwicklung kabelloser Endoskopie schon seit Langem zum Forschungsalltag: „Wir beschäftigen uns mit diesem Thema schon seit über 15 Jahren - auch in einem Vorläuferprojekt von nuEndo“, berichtet Dr. sc. hum. Dipl.-Ing. (FH) Sebastian Schostek, Entwicklungsleiter für diagnostische Systeme bei der Ovesco und Projektkoordinator für „nuEndo“. „Die kabellose Endoskopie ist bereits ein sehr kompetitiver Markt, und viele Firmen und Forschungseinrichtungen arbeiten daran. Aber bisher haben einfach die technologischen Rahmenbedingungen gefehlt, um ein marktfähiges Niveau zu erreichen.“
Dabei steht mit der Kapselendoskopie bereits seit 2000 eine kabellose Variante zur Verfügung. Diese mit Kamera, Batterie und Funksender ausgestattete Kapsel wandert wie das natürliche Essen durch den zuvor durch Abführmittel gereinigten Magen-Darm-Trakt und liefert in zeitlich regelmäßigen Abständen Bilder. „Das ist an sich eine großartige Sache, sehr patientenschonend und vor allem für den Dünndarm geeignet, in den man mit herkömmlichen Endoskopen nur schwer hinein kommt“, erklärt Schostek. „Wir machen aber nun etwas ganz anderes. Unsere nuEndo-Kapsel soll steuerbar sein, das heißt, sie „purzelt“ nicht einfach so wie die Nahrung durch, sondern der Arzt hat auch die Möglichkeit vor- oder zurückzugehen und sich umzuschauen. Zudem wird sie die Bilder in Echtzeit liefern. So hat man die Möglichkeit, mithilfe eines Schlauchendoskops sofort therapeutisch einzugreifen, wenn die Notwendigkeit dazu besteht. Denn eines ist klar, die Schlauchendoskope wird man an dieser Stelle nicht durch die kabellose Variante ersetzen können, aber für diagnostische Zwecke kann man die Kapsel genauso wie ein normales Endoskop mit flexiblem Schlauch nutzen. Dies ist eine sichere Prozedur und viel patientenschonender, sodass es bestimmt keine so große instinktive Abneigung mehr geben wird, und man viel häufiger die Chance bekommt, eine Erkrankung zu therapieren, bevor sie schon zu weit fortschritten ist.“
Die nuEndo-Kapsel sei auch groß – in etwa so lang wie das erste Glied des kleinen Fingers –, aber durchaus gut schluckbar, so der Wissenschaftler. Zudem werde die ganze Prozedur wesentlich schneller gehen: Da das Schlucken der Kapsel ein natürlicher Vorgang ist, entfällt das mitunter relativ komplizierte Einführen des Schlauches und schließt Verletzungen aus. „Zur Vorbereitung der Endoskopie braucht man bislang viel Übung und speziell ausgebildete Mediziner“, sagt Schostek. „Bei einer Untersuchung mit der nuEndo-Kapsel dagegen muss der Arzt erst hinzukommen, wenn die Vorbereitungen bereits abgeschlossen sind. In Zeiten des Ärztemangels entlasten wir damit das Gesundheitswesen, das ist auch eines unserer Ziele, die wir verfolgen.“
Kamerapille wird sanft magnetisch geleitet
Die beiden größten technologischen Herausforderungen bei der Entwicklung der nuEndo-Kapsel sind zum einen der begrenzte Energiespeicher der Batterie, der für mindestens 20 Minuten für den Betrieb von Beleuchtung, Bilderfassung sowie Datenverarbeitung und –übertragung ausreichen soll. Zum anderen die Geschwindigkeit der Datenübertragung, um die Bilder ruckelfrei in Echtzeit zu liefern. „Dabei geht es um die Technologie zur Videoübermittlung im Millisekundenbereich“, erläutert der Experte. „Und dies alles in einer so kleinen Kapsel unterzubringen, das ist schon eine Herausforderung. Daran sind wir früher gescheitert, aber jetzt haben wir durchaus technologische Ansätze, um dies umsetzen zu können.“
Für die neuartige Kapsel werden Elektronik, Kamera sowie ein Magnet in eine Hülle aus Plastik integriert und diese um die Batterien herumgewickelt, um möglichst viel Platz für die Energieträger zu schaffen. Mit ihrer sehr glatten Oberfläche für ein einfaches Schlucken und einem Durchmesser von rund elf Millimetern sieht sie prinzipiell genauso aus wie eine der herkömmlichen Endoskopkapseln. Durch den integrierten Magnet kann die Kamerapille aber mithilfe eines kooperierenden Führungsarms gezielt durch den Magen-Darm-Trakt gesteuert werden. Sie wird nur einmal verwendet. Da die Batterien aber keine Schwermetalle enthalten, sei der Verlust über die Kanalisation unproblematisch, meint Schostek.
Vor der Untersuchung bekommt der Patient eine größere Menge Wasser zu trinken, um den Magen zu erweitern. Die Kapsel wird anschließend geschluckt und liefert bereits in der Speiseröhre erste Bilder. Durch eine sanfte, aber beständige magnetische Kraft kann der Arzt die Kapsel gezielt bis in den Magen leiten. „Dabei klemmt nichts ein, und man spürt auch nichts, die Untersuchung ist wesentlich sanfter als mit dem Endoskop“, sagt der Tübinger Experte.
Große Innovation für Ärzte und Patienten
Derzeit arbeiten die Projektpartner an einem Funktionsmodell aus Kapsel und Führungsarm. „Das Zusammenspiel der beiden Komponenten ist komplex. „Hier steckt viel Sensortechnologie drin, um beispielsweise Informationen über die Position der Kapsel mit den Steuerbewegungen zu koordinieren“, sagt Schostek. „Die Steuerung soll sehr intuitiv und nicht schwieriger als bei einem Spielzeugauto sein, denn nur so wird dies am Markt akzeptiert werden.“
Bis zum Projektende 2022 wollen die Partner einen voll funktionsfähigen Demonstrator für das System ausgearbeitet haben, der außerdem das Design eines Medizinproduktes hat. Zudem möchte man die Kamerapille so weiter entwickeln, dass sie nicht nur zur Magenspiegelung, sondern auch für Untersuchungen des kompletten Magen-Darm-Trakts eingesetzt werden kann. Es gäbe noch eine Menge zu tun, meint der Forscher. „Aber läuft es nach Plan, dann könnte die nuEndo-Kapsel in einigen Jahren auf dem Markt sein. Dies wäre eine wirklich große Innovation für alle Beteiligten.“