Magnetisierte Algen als Mikroroboter für Medizin und Umwelt
Algen kennen wohl die meisten unter uns nur als mehr oder weniger angenehme Bewohner von Gewässern aller Art. Zu Unrecht, denn die äußerst vielseitigen und genügsamen Lebewesen könnten uns zukünftig in vielerlei Hinsicht von großem Nutzen sein. Wissenschaftler der Universität Stuttgart erforschen derzeit, wie man sie als Mikroroboter in der Biomedizin oder bei der Umweltsanierung einsetzen könnte.
Die Idee, Mikroroboter in der Medizin einzusetzen, um Wirkstoffe gezielt platzieren zu können – auch in gewöhnlich unzugänglichen Geweben und Körperhöhlen –, oder sie für bildgebende Verfahren einzusetzen, gibt es seit wenigen Jahren. Die Roboter von etwa der Größe einer Zelle sollen gezielt gesteuert, biologisch abbaubar und beliebig oft einsetzbar sein, ohne dem Patienten zu schaden, sodass eine Behandlung mit ihnen als der Inbegriff minimalinvasiver medizinischer Eingriffe gilt.
Was sich für den Laien eher wie Science-Fiction anhört, existiert tatsächlich schon in den Anfängen: Versuche wurden mit verschiedenen Mikroorganismen als drahtlose Wirkstofftransporter gemacht. Dabei erwiesen sich schwimmende Organismen – wie etwa Bakterien – als besonders geeignet, vor allem magnetotaktische Arten, da diese durch Anlegen eines Magnetfelds gezielt durch den Körper gesteuert werden können. Gerade Bakterien haben jedoch gewisse Einschränkungen: Sie können – je nach Art und Dosis – für Tiere und Menschen pathogen sein bzw. ungewollte Reaktionen des Immunsystems auslösen. Darüber hinaus sind besonders magnetotaktische Arten im Labor schwer und relativ aufwendig zu kultivieren. Und sie sind nicht besonders effiziente Lastenträger: Ihre Schwimmgeschwindigkeit verringert sich mit Ladung erheblich.
Algen als schnelle Mikrotransporter für medizinische Zwecke
Eine gute Alternative zu den bakteriellen Schwimmern könnten Mikroalgen sein: Dr. Giulia Santomauro vom Institut für Materialwissenschaft der Universität Stuttgart erforscht die grünen Eukaryonten schon seit Jahren. Ihr bevorzugtes Forschungsobjekt ist derzeit die kugelförmige, nur rund zehn Mikrometer große und sehr einfach zu kultivierende Mikroalge Chlamydomonas reinhardtii. Die Biologin hat es geschafft, sie dazu zu bringen, Fremdelemente aufzunehmen. „Ich halte die Algen dazu in Medium mit den Fremdstoffen, wie etwa Zink“, berichtet sie. "Sie nehmen diese Elemente auf und verstoffwechseln sie; ich untersuche anschließend, was das für Auswirkungen auf die Alge hat.“ Unter den Fremdelementen, die die Wissenschaftlerin ihren grünen Versuchsorganismen ins Futter gibt, ist auch Terbium – ein Metall der Seltenen Erden, das beispielsweise für Brennstoffzellen, Laser oder auch Handys gebraucht wird. „Die Algen sind überaus schnelle Schwimmer, und wenn sie Terbium aufgenommen haben, ist das Besondere an ihnen, dass sie magnetisch sind und dazu auch noch leuchten“, erklärt Santomauro. „Das brachte mich auf die Idee, sie als Mikrotransporter für verschiedenste Stoffe zu verwenden.“
Mikroalgen – leuchtend, superparamagnetisch und biokompatibel
Mit Erfolg: Gemeinsam mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart untersuchte die Wissenschaftlerin die magnetischen Eigenschaften von mit Terbium-Ionen (Tb3+) behandelten Algen. Bei den Tests ließen sich die lebenden Algen nicht nur einfach durch die Magnete anziehen, sondern sie richteten sich an den Feldlinien aus und schwammen schnell und aktiv auf die Magnete zu. Da es sich hierbei um ein superparamagnetisches Phänomen handelt – die Zellen also nur Magnetismus zeigen, wenn auch Magnete anwesend sind –, agglomerieren die Algen auch nicht, sondern zeigen anschließend wieder ihr natürliches Bewegungsverhalten.
Weiterhin wurden die Mikroorganismen gemeinsam mit menschlichen Zellen bei Körpertemperatur in Medium inkubiert. „Die Temperatur von 37 Grad ist eigentlich sehr heiß für die Algen, aber beide Zellarten haben problemlos überlebt“, sagt Santomauro. „Das heißt, menschliche und Algenzellen sind biokompatibel – natürlich eine der wichtigsten Fragen, wenn man sie als Mikroroboter im Körper einsetzen möchte. Nach der Auslieferung des Wirkstoffs werden die Algen von den Entgiftungsorganen des Körpers wie jeder andere Fremdstoff wieder ausgeschieden. Aber dadurch, dass Algen mit Terbium leuchten, können wir das ganz leicht in Stuhl und Urin kontrollieren.“ Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun geeignete Partikel als Medikamenten-Platzhalter auf den Algenzellen befestigen, um Transport und Abladen der Partikel zu untersuchen.
Wertstoffe einfach akkumulieren, aufsammeln und recyceln
Aber nicht nur für medizinische Zwecke könnten die Mikroalgen von großem Nutzen sein: Die Idee der Biologin ist es, sie zukünftig auch einmal bei der Umweltsanierung und beim Recyceln von Wertstoffen einzusetzen. „Dadurch, dass die Algen Fremdstoffe aufnehmen, könnte man Wertstoffe mithilfe der Algenzellen akkumulieren und dann rückgewinnen“, sagt sie. „Gerade das Recycling von Terbium oder auch anderen Metallen würde sich auf diese Weise anbieten. Denn Seltene Erden werden derzeit – etwa in Handys – viel gebraucht, sind aber extrem schwer abzubauen, und die Rückgewinnung ist mit existierenden Verfahren kompliziert.“
Deshalb möchte Santomauro in den nächsten Monaten systematisch untersuchen, wie viel Terbium die Algen maximal aufnehmen können. Außerdem soll getestet werden, ob und wie viel die Organismen auch von anderen Seltenen Erden wie Europium oder Neodym aufnehmen, die ebenfalls in vielen Hightech-Geräten verarbeitet werden.
Generell wäre die Idee, die Mikroalgen zum Zweck der Umweltsanierung in Abwassersysteme oder Kläranlagen zu geben, wo sie die verschiedenen Wertstoffe aufnehmen. So beladen könnte man die Organismen dann per Magnet an eine Stelle leiten, wo man sie einfach aufsammeln und zu Recyclingzwecken weiterverarbeiten könnte. „Dieses Verfahren wäre viel, viel umweltschonender als die bisherigen Methoden zum Recycling – gerade von Seltenen Erden“, meint die Wissenschaftlerin. „Hinzu kommt auch noch der große Vorteil, dass man die Algen sehr umweltfreundlich in Bioreaktoren praktisch „auf der grünen Wiese“ halten kann. Sie brauchen nur Licht und ein bisschen Nährmedium, sind völlig unkompliziert und nehmen dafür bereitwillig die verschiedensten Elemente auf.“ Für das Recyclingprojekt wird derzeit noch nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht.
Zukünftig vielleicht noch viel mehr wertvolle Materialien aus Algen
Außerdem interessiert sich die Biologin auch ganz grundsätzlich dafür, wie die Biomineralisationsprozesse in Algen ablaufen, und was tatsächlich dabei in den Zellen mit den zugegebenen Fremdstoffen passiert. „Das ist zwar einerseits Grundlagenforschung“, berichtet sie. „Andererseits untersuche ich aber auch technische Anwendungen von Coccolithen, das sind von marinen Algen produzierte mikroskopisch kleine Kalkplättchen. Generell gäbe es sicher noch eine ganze Menge mehr wertvolle Materialien aus Algen, die wir uns zunutze machen könnten, und die aus den Stoffen entstehen, die sie so bereitwillig aufnehmen und, um sich selbst zu entgiften, diese dann umwandeln.“ Dabei gibt es viele Fragen zu klären, die die Wissenschaftlerin in aktuellen und zukünftigen Projekten beantworten möchte.