"Programmierbare" Polymermaterialien
Medizin der Zukunft: Intelligente 4D-Polymere aus dem Drucker
Auch aus der Medizin ist die Technik des 3D-Druckens mittlerweile nicht mehr wegzudenken – etwa zur Herstellung von Implantaten oder zur Zell- und Gewebekultur. Nun können dreidimensionale Objekte noch eine weitere Dimension erhalten und damit zu einfachen autonomen Bewegungen durch Größenänderung befähigt werden: Forschenden der Universität Heidelberg ist es gelungen, mikroskopisch kleine 4D-Strukturen aus intelligenten Polymeren herzustellen, die je nach Anforderung individuell angefertigt werden können.
Nur mikrometergroße Sonnenblumen, Kraken oder Geckos mit „lebensechten“ Eigenschaften und kleinste Boxen, die sich von selbst öffnen und schließen - alles künstlich geschaffen aus dem 3D-Drucker. Was fast unvorstellbar klingt und nur mit dem Mikroskop zu betrachten ist, haben Forschende der Universität Heidelberg und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Rahmen des Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order" (3DMM2O) tatsächlich erarbeitet. Für die gedruckten Mikrostrukturen wurden neuartige Materialien – intelligente Polymere – entwickelt, die den Objekten eine vierte Dimension verleihen, und die je nach Anwendung mit höchster Präzision innerhalb kurzer Zeit lichtaktiviert hergestellt werden können.
Federführend bei dem Projekt waren Chemikerinnen und Chemiker rund um Professorin Dr. Eva Blasco des Institute for Molecular Systems Engineering and Advanced Materials der Universität Heidelberg, die sich schon lange mit der Entwicklung von Materialien für den 3D-Druck beschäftigen. „Die klassischen Materialien ergeben praktisch immer ein statisches Objekt ist“, erklärt Blasco. „Wir wollten solchen Objekten aber neue Eigenschaften verleihen und damit Anwendungen in der Biomedizin oder der Mikrorobotik ermöglichen. Hierfür haben wir uns von der Natur inspirieren lassen und sind auf stimuli-responsive Materialien gestoßen, die ähnlich wie ihre natürlichen Vorbilder zum einen in der Größe wachsen, aber auch ihre mechanischen Eigenschaften ändern können.“
Die vierte Dimension verleiht „lebensechte“ Eigenschaften
Die Möglichkeit, dreidimensionale Objekte zu drucken, wurde bereits vor rund 40 Jahren erfunden und hat sich vor allem in den letzten Jahren mit rasanter Geschwindigkeit in den verschiedensten Anwendungsgebieten verbreitet. Mittlerweile sind sogar 3D-Drucker für den Hausgebrauch erhältlich, und es existieren zahlreiche Methoden und Materialien, um Produkte mehr oder weniger anspruchsvoll erzeugen zu können. Allen gemeinsam ist das Prinzip des Drucks, bei dem zunächst ein Modell am Computer konstruiert und dann die Tinte im Drucker Schicht für Schicht unzählige Male hintereinander so lange aufgetragen wird, bis das dreidimensionale Objekt nach Wunsch entstanden ist. Ausgehärtet wird das Ausgangsmaterial je nach Verfahren beispielsweise mithilfe von Licht.
So auch in manchen Sparten der Medizin und der Lebenswissenschaften, wo der 3D-Druck schon längst zum Alltag gehört – vor allem, wenn Komponenten sehr individuell gefertigt werden müssen wie beispielsweise bei Implantaten. Damit aber noch nicht genug der Innovationen: Seit wenigen Jahren ist es möglich, 3D-Objekten auch noch eine vierte Dimension zu verleihen – und zwar die Dimension der Zeit. Dadurch können sie sich durch einen bestimmten Umweltreiz, wie z. B. einer Temperaturerhöhung, verändern. Die „intelligenten“ Werkstoffe haben mit der Möglichkeit, sich selbstständig zu modifizieren, sozusagen „lebensechte“ Eigenschaften. Anwendungen existieren bereits in frühen Stadien, z. B. als sich selbst justierende Orthesen oder biologische Hörgeräte.
Erstmals im Makro- und Mikrobereich druckbar
Diese Entwicklungen in den Lebenswissenschaften waren allerdings bislang allesamt im Makrobereich erfolgreich. Bis jetzt, denn den 3DMM2O-Forschenden aus Heidelberg ist es im vergangenen Jahr erstmals gelungen, ein Formgedächtnispolymersystem zu designen, das sowohl auf Makro- wie auch Mikroebene druckbar ist1) sowie 3D-gedruckte in ihren Eigenschaften programmierbare Polymermaterialien im Mikrobereich zu realisieren.2) So entstanden den natürlichen Vorbildern nachempfundene programmierbare Mikroarchitekturen aus dem Pflanzen- und Tierreich. „Die Mini-Objekte – etwa ein Krake - konnten mittels einfachster chemischer Modifikationsprozesse in nur wenigen Stunden auf ein Vielfaches ihres Volumens wachsen und sich verhärten“, berichtet Christoph Spiegel, Doktorand der Arbeitsgruppe. „Dies ist insbesondere für Bioanwendungen von großem Interesse, denn das Material kann programmiert, die Eigenschaften also nach Bedarf angepasst werden.“
Auch bei dieser Art des 4D-Drucks im Mikrobereich bezieht sich die zusätzliche Dimension der dreidimensional gedruckten Objekte also auf die Fähigkeit, ihre Eigenschaften im Lauf der Zeit zu verändern: Dabei reagierten die intelligenten Polymere auf den externen Stimulus Temperatur. „Die Strukturen sind bei Raumtemperatur komplett stabil“, so Blasco. „Sie werden erst durch Erwärmung aktiviert. Andere Materialien sind beispielsweise durch Licht besser fokussierbar. Für eine biomedizinische Anwendung wäre zukünftig z. B. eine Aktivierung mit Infrarotlicht denkbar.“
Die Magie bei dem in Heidelberg entwickelten Verfahren ist nicht die Druckmethode, sondern die Tinte, wie die Professorin es nennt: „Unsere Spezialität ist zwar das Drucken mit Licht, aber hierbei haben wir nichts verändert im Vergleich zu konventionellen Verfahren. Sondern wir haben „schlafende Gruppen“ – Alkoxyamine - eingeführt, die man mit einer Temperaturänderung aktivieren kann. Diese dynamischen Gruppen sind praktisch das Herzstück und Prinzip der „lebenden“ Eigenschaften unserer Polymere.“ Das Material an sich bestehe aus weichem, biokompatiblem Polyethylenglykol, postmodifiziert durch Polystyrol als Kontrast, wie sie hinzufügt. „Hierdurch wachsen die Objekte bis auf ihre achtfache Größe an. Ihre Form und Strukturelemente bleiben dabei erhalten.“
Stents und selbstheilende Gewebe aus intelligenten Polymeren
Auch im Falle der mikrogedruckten Formgedächtnispolymere sind die denkbaren zukünftigen Anwendungsbereiche groß, denn das Verfahren ist außerordentlich flexibel: Durch die Wahl von Material, Ausgangsmenge, Modell und Verfahren für den Druck sowie den entsprechenden Funktionalitäten für den gewünschten Stimulus können hochspezifische Polymere mit Formgedächtnis erzeugt werden. „Denkbar wäre z. B die Herstellung von Stents, die zunächst ganz klein durch die Gefäße geschoben werden und sich dann von selbst öffnen“, sagt Blasco, „oder der Druck von selbstheilendem Gewebe.“ Das Tissue Engineering ist derzeit ja komplett passiv. Mit unseren Mikrostrukturen könnte Gewebe wachsen und sich anpassen, in etwa so wie im echten Leben. Ein ganz anderes Anwendungspotenzial liegt auch in der Mikrorobotik, wo Objekte benötigt werden, die sich von alleine bewegen. Oder auch die Mikrofluidik wäre ein großes Feld – hierfür haben wir mit der Box experimentiert, die sich von selbst öffnet.“
Solche konkreten Anwendungen sind aber noch weit entfernt, wie die beiden Forschenden betonen. Dennoch gibt es bereits Interesse vonseiten der Industrie an Kooperationen. Nun stehen für Blasco und ihr Team Experimente mit anderen Materialien an: „Hier liegt unser Fokus auf der Möglichkeit, Objekte mit Licht stimulieren zu können“, so die Expertin. „Oder auch noch ganz andere Funktionalitäten sind denkbar, etwa vollständige Biokompatibilität oder die Implementierung von Self-Reporting oder selbstregulierenden Eigenschaften, die beispielsweise in natürlichen Systemen gegenwärtig sind. Ideen gibt es eine ganze Menge.“