Phytopharmaka
Medizinalcannabis soll in Deutschland heimisch werden
Wer denkt, Hanf sei nur eine unscheinbare Pflanze, deren Inhaltsstoffe allenfalls als Rauschmittel verwendet werden könnten, kann schnell eines Besseren belehrt werden. Neben der Nutzung als wertvoller Rohstoff für Textilien oder Baustoffe, hat die Pflanze ein großes Potenzial als Arzneimittel. Um die Grundlagen zur Erzeugung von Medizinalhanf in Deutschland zu schaffen, wurde das von der Universität Hohenheim koordinierte Netzwerk CANNABIS-NET ins Leben gerufen.
Hanf (Cannabis sativa) bringen die meisten von uns am ehesten mit der Verwendung als Rauschmittel in Verbindung: Die Cannabisprodukte Marihuana und Haschisch gelten als die weltweit meistgebrauchten illegalen Drogen; die hierfür verwendeten Hanfsorten enthalten das für die Rauschwirkung verantwortliche psychoaktive Tetrahydrocannabinol (THC) in Mengen deutlich über 0,2 Prozent. Aus diesem Grund sind Anbau und Nutzung von Hanf in Deutschland nur unter strengen Auflagen erlaubt. Im Jahr 2017 wurden diese etwas gelockert, indem Cannabis als Arzneimittel anerkannt wurde.
Beim so genannten Industriehanf handelt es sich um Cannabis-Sorten mit einem äußerst geringen THC-Gehalt von unter 0,2 Prozent. Diese schon seit vielen Tausend Jahren genutzte Kulturpflanze ist ein nachwachsender Rohstoff für die verschiedensten Anwendungen: Aus den Fasern lassen sich unter anderem Textilien, Baustoffe oder Heizmaterial herstellen, die Samen werden für Lebensmittel wie Öl, Proteinpulver und Müsli-Körner oder auch für Körperpflegeprodukte genutzt.
Cannabis für personalisierte medizinische Therapien
Für die medizinische Nutzung ist jedoch nicht einzig und allein THC als Inhaltsstoff interessant. Hier spielen in zahlreichen Anwendungen auch die anderen Cannabinoide wie CBD (Cannabidiol), CBG (Cannabigerol), CBC (Cannabichromen), CBN (Cannabinol) eine Rolle. Für die Gewinnung medizinischer Produkte können daher auch Medizinalhanfgenetiken von hohem Interesse sein, die äußerst geringe THC-Mengen unter 0,2 Prozent enthalten, dafür aber jede Menge Phytocannabinoide, denen eine medizinische Wirkung nachgesagt wird. „In entsprechenden phytocannabinoidreichen Genetiken, den sogenannten PCR- Genetiken sind 10 bis 20 Prozent dieser Cannabinoide enthalten“, erklärt Prof. Dr. agr. Simone Graeff-Hönninger, Agrarwissenschaftlerin an der Universität Hohenheim und Expertin für Medizinalhanf. „Dazu auch noch jede Menge Terpene und Flavonoide, die sich auch für medizinische Anwendungen eignen können.“
Die therapeutischen Anwendungsgebiete für Medizinalcannabis sind vielfältig und reichen derzeit von Entzündungsprozessen oder Schmerzen bis hin zu Epilepsie und Rheuma oder Asthma. „Wir wissen, dass es mehr als 100 verschiedene Cannabinoide in der Hanfpflanze gibt, in Summe weit über 500 medizinisch wirksame Bestandteile“, sagt Graeff-Hönninger. „Dabei wird die Wirkung durch das Zusammenspiel aller Bestandteile - dem sogenannten Entourage-Effekt - gemeinsam erzielt. Und genau das ist der Unterschied zum klassischen Medikament mit nur einem einzigen Wirkstoff. Beim Hanf kann das aber dann zur Folge haben, dass eine bestimmte Kombination bei einem Patienten sehr gut wirkt, bei einem anderen aber nicht. Die Ursache liegt in den individuellen Unterschieden im Endocannabinoid-System des Menschen. Und hier wird uns die Cannabismedizin in der Zukunft auch hinführen: zur Möglichkeit einer individuellen Behandlung – also zu personalisierter Medizin. Beispielsweise könnte man dann bestimmte Cannabisgenetiken gezielt für einen Patienten auswählen oder auch individuelle Mischungen von Extrakten für den Einzelnen erstellen. Darin liegt meiner Meinung nach ein enormes Potenzial der Cannabismedizin.“ Zu neuartigen Therapiemöglichkeiten und Anwendungen von Medizinalhanf wird in Deutschland zwar geforscht, beispielsweise an der Ludwigs-Maximilians-Universität München oder der Berliner Humboldt-Universität, Arzneimittel deutscher Unternehmen gibt es aber derzeit noch keine.
Grundlagen schaffen für den Anbau von Medizinalcannabis
Über den positiven Nutzen von Hanfanbau und -zucht unter kontrollierten Bedingungen sollten also keine Zweifel mehr bestehen. Allerdings wurde in Deutschland aufgrund des jahrzehntelangen strikten Verbots zur Cannabisnutzung das medizinische Potenzial bis heute vernachlässigt und nicht erforscht. Aus diesem Grund wurde im April 2019 das von der Universität Hohenheim koordinierte Netzwerk CANNABIS-NET ins Leben gerufen. Hier arbeiten in einem internationalen ZIM (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) -Netzwerk Partner daran, die Grundlagen zur Erzeugung von Medizinalhanf – phytocannabinoidreichem (PCR) Hanf - in Deutschland zu schaffen. „Unsere Vision ist es, den Cannabismarkt hier bei uns überhaupt erst einmal zu etablieren und ihn dann natürlich positiv zu beeinflussen“, sagt Katrin Scherer, Netzwerkmanagerin von CANNABIS-NET. „Vor der Legalisierung hat sich bei uns niemand damit beschäftigt. Man muss nun den Forschungszweig überhaupt erst einmal etablieren. Und dann natürlich auch Wissen aufbauen. Eigenschaften der Pflanzen, Technologien zur Gewinnung oder Anwendungen – dies alles muss nun erst einmal getestet und entwickelt werden.“
Das internationale Netzwerk setzt sich neben 17 deutschen Firmen, die die komplette Wertschöpfungskette von Cannabis abbilden, auch aus acht kanadischen Unternehmen zusammen. Kanada hat aktuell eine führende Rolle im globalen legalen Cannabis-Geschäft, so dass die deutschen Partner von deren Erfahrung lernen und die kanadischen Unternehmen vom deutschen Markt profitieren können. „Eine Win-win-Situation“, so Scherer. „Die deutschen Unternehmen lernen von den Kanadiern. Umgekehrt können die Kanadier auf einfache Weise den deutschen Markt betreten, denn bisher gibt es ja bei uns kein wirklich selbst angebautes Cannabis.“
Forschung und Entwicklung werden streng kontrolliert
Generell sind die Auflagen für Arbeiten mit Hanfpflanzen hoch. „In Deutschland gibt es nur einige wenige Lizenzen dafür, die nur alle paar Jahre in Vergabe-Runden zugeteilt werden. Das heißt, nicht jedes Partnerunternehmen hat eine eigene Lizenz, weshalb eine gut koordinierte Zusammenarbeit mit der Universität stattfinden muss, die eine Lizenz besitzt“, berichtet die Netzwerkmanagerin. „Aber auch bei uns finden natürlich regelmäßige Kontrollen statt. Es werden nur Pflanzen bestimmter Genetiken mit einem THC-Gehalt unter 0,2 Prozent im Gewächshaus angebaut. Das heißt, neue Technologien müssen unter strengen Auflagen bei uns auf dem Universitätsgelände getestet werden. Das ist für die Partnerfirmen dann schon teilweise eine Herausforderung, wenn für sie die Pflanzen nicht direkt zugänglich sind.“
Seit dem Start des Netzwerks wurden schon einige Projekte initiiert. Einer der Schwerpunkte der Entwicklungsarbeiten liegt beispielsweise auf der Gewährleistung medizinischer Standards. „Als Naturprodukt können die Inhaltsstoffe natürlich von Pflanze zu Pflanze variieren“, sagt Scherer. „Für medizinische Produkte brauchen wir aber eine einheitliche, hohe Qualität, die man mit Standardisierungsmaßnahmen nach den bei uns gültigen GMP-Richtlinien sicherstellen muss.“ Aber auch weitere Themen wie Zucht und Anbau, Genetiken oder die Automatisierung der Pflanzenverarbeitung werden im Netzwerk erforscht und entwickelt. Erste Ergebnisse werden in etwa ein bis zwei Jahren erwartet.