TGU Varimol
Mit der Click-Chemie zu neuen medizinischen Verfahren
Durch ein einfaches molekulares Click-Verfahren können Biochemiker seit Kurzem ringförmige Moleküle miteinander verbinden, an die therapeutisch aktive Substanzen angehängt werden können. So lassen sich Medikamente gezielt in erkrankten Zellen abliefern und diese für Bildgebungsverfahren zum Leuchten bringen oder als Biosensoren nutzbar machen. Das Stuttgarter Start-up Varimol nutzt diese neue Technologie, um ihren Kunden maßgeschneiderte biologische und pharmakologische Anwendungen zur Verfügung zu stellen, die simpel wie ein Kit anzuwenden sind.
Biomoleküle oder Farbstoffe zu therapeutischen Zwecken oder für die Bildgebung gezielt in erkrankte Organe oder Zellen einzubringen, ist außerordentlich schwierig. Zum einen fehlen oft Anknüpfungspunkte, um die Therapeutika zum Ort des Geschehens zu bringen, zum anderen können bisher angewandte Transportmoleküle ihrerseits unerwünschte Nebenwirkungen haben, indem sie mit Zellbestandteilen reagieren und damit in das komplizierte Stoffwechselgeschehen des Körpers eingreifen.
Solche Einschränkungen könnten dank einer neuen Technologie, der sogenannten Click-Chemie, vielleicht schon bald der Vergangenheit angehören. Wie der Begriff bereits andeutet, handelt es sich dabei um eine Möglichkeit, zwei große, komplexe Biomoleküle, etwa Farbstoffe oder therapeutische Substanzen, mithilfe einfacher Bausteine sehr schnell zu verbinden und sie so für die verschiedensten medizinischen und pharmakologischen Anwendungen einzusetzen, indem sie beispielsweise in erkrankte Zellen injiziert werden.
Eine Werkzeugkiste voller Click-Chemie
Ein Spezialist für die Click-Chemie ist das erst vor knapp einem Jahr gegründete Start-up TGU Varimol in Stuttgart (TGU: Transfer-und Gründerunternehmungen). Es bietet seinen Kunden Dienstleistungen und Produkte rund um die neuartige Technologie an: „Zunächst einmal helfen wir unseren Kunden bei der Planung ihrer konkreten Anwendung, indem wir gemeinsam besprechen, welches Werkzeug sich aus unserer Werkzeugkiste – wir nennen sie „bioorthogonale Toolbox“ – am besten eignen würde“, berichtet Dr. Vasileios Filippou, einer der vier Gründer des Startups. „Außerdem stellen wir ihnen anschließend die Reagenzien dafür bereit, die wir entweder schon als Vorratsware haben oder in einer Auftragssynthese individuell herstellen. Wir entwickeln aber auch eigene Click-Reagenzien – unsere Varimol-Innovationen.“
Die Idee zur Firmengründung kam Filippou während seiner Doktorarbeit an der Universität Stuttgart: „Die Grundlagenforschung für die Entwicklung unserer Technologie wurde und wird von meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Kaim – einem der weltweit meistzitierten Forscher auf dem Gebiet der Tetrazine - und seinem Nachfolger Prof. Dr. Biprajit Sarkar durchgeführt“, sagt er. „In einem Arbeitskreis zur Click-Chemie erfuhr ich damals, dass es Probleme gab, weil die Reagenzien zur Herstellung der Basismoleküle Tetrazin und trans-Cycloocten für das Click-System kommerziell nicht so einfach verfügbar waren. Deren Synthese gilt nämlich als eine der Königsdisziplinen der organischen Synthese: Aus hundert Gramm Ausgangsstoffen erhält man für einige Derivate nur etwa ein halbes Gramm Produkt, weil man die Reaktion nicht gut skalieren kann. Eine Herstellung im Kilogramm-Maßstab wird also leider noch lange nicht möglich sein. Deshalb sah ich hier meine Nische und begann, über eine Firmengründung zur Herstellung von Ausgangssubstanzen und der Synthese potenzieller pharmakologischer Wirkstoffe nachzudenken.“
Da Filippou aber zum Zeitpunkt der Entwicklungsarbeiten noch Gastwissenschaftler am Institut für Anorganische Chemie der Universität Stuttgart war und seine modulare Plattform-Technologie zwar patentiert, aber kein Technologietransfer durchgeführt werden konnte, holte er sich drei Mitgründer ins Boot: Mit Synthesechemiker Felix Willig, Chemiker und Ingenieur Christian Dörr und dem Wirtschaftschemiker David Gepperth arbeiten seit Mitte 2019 vier Experten geschlossen als Team am Start-up-Projekt Varimol. Aktuell wickelt das junge Start-up seine Aufträge über die TTI – Technologie-Transfer-Initiative GmbH an der Universität Stuttgart (TTI GmbH) ab. Die TTI GmbH ist eine Tochtergesellschaft der Universität Stuttgart und ermöglicht gründungswilligen Absolvierenden ein marktfähiges Handeln, ohne dabei ein eigenes Unternehmen mit Handelsregistereintrag anmelden zu müssen.
Neuartige Therapien, Bildgebungsverfahren und mehr
Grundlage der Click-Chemie ist eine (4+2)-Cycloaddition, Inverse-Electron-Demand-Diels-Alder-Reaktion (IEDDA-Reaktion) genannt, bei der sechsgliedrige Heterozyklen, die Tetrazine (Tz), chemisch sehr einfach – mit einem Click – an zyklische Kohlenwasserstoffe, die trans-Cyclooctene (TCO), gebunden werden können. Aus dieser Click-Reaktion entstehen Bizyklen mit außerordentlich stabilen kovalenten Bindungen, die dadurch weitere (Bio-)Moleküle – in der Abbildung als Stern und Kugel markiert - für verschiedenste Anwendungen verknüpfen können.
„An unsere Reagenzien kann man zum Beispiel Proteine wie Antikörper, therapeutische RNA oder DNA anhängen“, erklärt der Wissenschaftler. „Es gibt aber auch ganz andere Anwendungen. In den Materialwissenschaften können Moleküle auf Oberflächen wie Gold, Glas, Knochen und Hydrogele immobilisiert werden. Weiterhin kann man für Bildgebungsverfahren unsere Reagenzien nicht nur mit Biomolekülen, sondern darüber hinaus mit Farbstoffen, etwa Fluorophoren oder Metallatomen als Kontrastmittel versehen und so das Geschehen in der lebenden Zelle live beobachten.“
Aber auch als Biosensoren kommen die Moleküle aus dem Click-Baukasten schon häufig zum Einsatz, zum Beispiel für pharmakologische Fragestellungen. Immobilisiert an festen Trägern wie beispielsweise Glas oder Gold kann man etwa untersuchen, wie ein Biomolekül auf externe Stimuli wie Licht oder Schwermetalle reagiert. Ferner kann man solche Biosensoren für toxikologische Studien nutzen.
Reaktion verläuft, ohne den Stoffwechsel zu stören
Dass die Click-Chemie auch gerade für Anwendungen aus den Lebenswissenschaften so interessant ist, liegt nicht nur daran, dass die Reaktion extrem schnell ohne Katalysator und bei minimaler Menge an Ausgangssubstraten im Nanomolbereich abläuft. Ein weiterer Grund ist, dass die verwendeten Chemikalien nicht toxisch sind und bioorthogonal bei der Click-Reaktion reagieren, das heißt ohne die biologischen Prozesse in den Zellen zu stören. Deshalb wird die Technologie nicht mehr länger nur in vitro angewandt, sondern bereits in laufenden präklinischen und klinischen Studien getestet, zum Beispiel im Bereich der Krebsdiagnostik.
So könnte beispielsweise ein humaner monoklonaler Antikörper (als blauer Stern im Bild dargestellt) Antigene auf Bauchspeicheldrüsen-Karzinomen ansteuern*. Dafür wird er dem Patienten als Konjugat mit TCO injiziert. Sobald der Antikörper am Ziel angekommen ist, wird zusätzlich ein Tetrazin injiziert, das ein kupferhaltiges Kontrastmittel (als roter Stern im Bild) trägt. Dieses wird durch die Click-Reaktion nur im Bereich des Karzinoms immobilisiert, sodass die Krebszellen durch ein anschließendes Bildgebungsverfahren lokalisiert werden können.
Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt in der deutlich geringeren Menge des toxischen Kontrastmittels, das den Patienten injiziert werden muss, um aussagekräftige Diagnosen stellen zu können. Bisherige Diagnose- und Therapieansätze fluten den ganzen Körper mit toxischen Substanzen, obwohl in den meisten Fällen nur eine lokale Wirkung erwünscht ist. „Die Click-Reaktion bietet in Kombination mit Antikörpern eine Art Taxi, das die Wirkstoffe gezielt zum gewünschten Ort liefert“, sagt Filippou. „Ein weiterer Vorteil liegt in der Verweildauer des toxischen Kontrastmittels im Körper der Patienten: Während die Antikörper mehrere Tage brauchen, um sich am Karzinom anzureichern, benötigt die Click-Reaktion nur wenige Minuten. Dadurch ist der Patient dem toxischen Kontrastmittel eine deutlich geringere Zeit ausgesetzt. Man erwartet dadurch geringere Nebenwirkungen für zukünftige Krebsdiagnosen und Krebstherapien, was aber zuerst durch klinische Studien zu bestätigen ist.“
Beratung und Vermarktung von Click-Chemie
Seit 2019 erwirtschaftet Varimol seine Erträge mit Forschungschemikalien, die das junge Startup derzeit im Milligrammbereich herstellt und damit die nötigen biochemischen Reagenzien für die verschiedensten Forschungsarbeiten und Studien zur Verfügung stellt. „Wir liefern die Verknüpfung, also sozusagen den molekularen Kleber für die Click-Reaktion in zwei kleinen Fläschchen. Anzuwenden sind diese genauso einfach wie andere Kits. Natürlich beraten wir auch bei der Festlegung von Versuchsbedingungen wie pH-Wert oder Temperatur für die jeweiligen Reaktionen“, sagt Filippou.
Zu den Kunden der Stuttgarter Chemikalien gehören Forschungseinrichtungen, aber auch erste Unikliniken in Deutschland und zunehmend in ganz Europa. „Pharmafirmen können wir derzeit nur für präklinische Untersuchungen bedienen“, sagt der Firmengründer. „Für klinische Anwendungen fehlen uns noch die nötigen Zertifikate, und wir haben dies bisher auch noch nicht in der Planung. Für die Zukunft möchten wir diese Zielgruppe aber auch nicht ausschließen. Wir werden dies im Laufe des Jahres entscheiden und viel mehr vom Interesse unserer Kunden abhängig machen. Dafür müssten wir uns auch nicht unbedingt selbst zertifizieren und damit das ganze Labor umstellen. Denkbar wäre es dann auch, einen Dienstleister mit der Synthese zu beauftragen, der die notwendigen Zertifikate schon vorweisen kann.“