SICOS BW GmbH
Mit Höchstleistungsrechnern und Data Analytics gegen das Coronavirus
In einer Epidemie sind Datenaustausch und Nutzung innovativer Technologien essenziell, um wirksam und schnell gegen die Infektion vorgehen zu können. Höchstleistungsrechner und Data Analytics leisten dabei einen wertvollen Beitrag. SICOS BW agiert als vielversprechendes Solution Center, das die Brücke von numerischer Simulation, Big Data und KI zu Unternehmen auch im Medizintechnik-Bereich schlägt.
Im Falle der Coronavirus-Erkrankung COVID-19 gibt es gleich mehrere Ansatzpunkte für neue Technologien: Zum einen kann man der Struktur des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 mithilfe von Simulation und Supercomputern auf den Grund gehen und somit passgenaue Therapieansätze entwickeln. Zum anderen lassen sich Daten und Technologien nutzen, um die öffentliche Sicherheit zu verbessern.
Türöffner für Höchstleistungssysteme
„Wir möchten Unternehmen, Instituten und Softwareherstellern den Zugang zu Höchstleistungsrechnen und Data Analytics erleichtern“, erklärt Dr. Andreas Wierse, Leiter der SICOS BW GmbH. „Unternehmen müssen fortlaufend Höchstleistungen erzielen, um neue Daten effektiv zu verarbeiten und wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir fungieren für unsere Kunden als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Industrie. Die SICOS BW ist zwar eine GmbH, aber sie ist nicht kommerziell ausgerichtet. Daher ist die finanzielle Unterstützung durch die beiden Gesellschafter, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Universität Stuttgart, sowie das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst wesentlich, um auch kleineren Unternehmen einen guten Zugang zu Big Data, Smart Data oder Simulationen zu erlauben“, so Wierse. Die Gesellschafter sind mit ihren beiden Rechenzentren, dem Steinbuch Center for Computing (SCC) und dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), die Technologieträger für denkbare Anwendungen in den Bereichen Maschinenbau, Klimasimulation oder Materialwissenschaften.
Das große Rechnen – Corona-Andockproteine im Visier
In der Biotechnologie wird Höchstleistungsrechnen bereits innovativ eingesetzt, wie zum Beispiel beim computerunterstützten Designen von Medikamenten. Der studierte Mathematiker und promovierte Ingenieur Wierse kennt die Anforderungen der Industrie und die Möglichkeiten der Wissenschaft: „Der Einsatz im Bereich numerische Simulation ist riesig. Wir bieten die dazugehörige IT-Infrastruktur und suchen nach methodischen und technologischen Werkzeugen, um die großen Datenmengen effektiv zu managen.“
Der Prozess von der Entdeckung eines neuen Wirkstoffs bis zur Produktion ist langwierig. Aktuell ist aber Schnelligkeit gefragt. Eine Spitzenrechenleistung von vielen PetaFlops – also einer Zahl mit 15 Nullen – lässt sich beispielsweise der Eintrittsstelle des neuen Coronavirus in die Wirtszelle widmen. Flops steht dabei für „Floating Point Operations Per Second“, also wie viele Rechenoperationen pro Sekunde durchgeführt werden können.
Um in menschliche Zellen einzudringen, muss sich das Coronavirus mit dem Spike-Protein an den ACE2-Rezeptor der Wirtszelloberfläche anheften. Die Darstellung der atomgenauen Struktur des Spike-Proteins liefert eine Menge Daten, die präzise erfasst und aufgearbeitet werden müssen. Schließlich kann dies der Schlüssel für effektive antivirale Mittel darstellen. Denn das Virus ist raffiniert: Erscheint seine Oberflächenstruktur zunächst „unauffällig“, ändert sich kurz vor Eintritt in die Zelle die Konformation des Spike-Proteins, um sich so in eine für den Zellrezeptor passende Form zu bringen1,2. Hier können spezifische Simulationsmodelle präzise und wertvolle Unterstützung leisten. Bei den Berechnungen lässt sich auch die spezifische Spaltstelle des Spike-Proteins einbeziehen, die bis jetzt in verwandten Viren nicht gefunden wurde3.
Hat man die Angriffsfläche im Detail bloßgestellt, kann das Rechnen losgehen: Mit Hochleistungscomputern lässt sich simulieren, wie sich das neuartige Coronavirus unter dem Einfluss tausender Wirkstoffe verhält. Daran arbeitet derzeit der weltweit schnellste Supercomputer Summit (OLCF-4) mit 10.000 IBM-Prozessoren am Oak Ridge National Laboratory4, ergänzt durch den Supercomputer Sierra am Lawrence Livermore Lab. Nur zwei Tage wurden zur Analyse von rund 8.000 Wirkstoffkandidaten benötigt. 77 davon werden als vielversprechend angesehen, um den Andock-Prozess des Virus abzuschwächen bzw. komplett zu verhindern. Mit einem herkömmlichen Rechner hätte diese Analyse Monate gedauert, mit Labortests erheblich länger. In weiterer Folge werden die Daten aus den 77 Substanzen mit aktuellen Forschungsdaten zum Virus ergänzt, erneut getestet und die Pioniere davon im Labor geprüft.
Europas schnellster Rechner steht bereit
Es existiert dafür eine Zusammenarbeit mit Supercomputerzentren weltweit. Durch das dezentralisierte Rechenprojekt Folding@home5 wird die Rechenleistung erweitert und viele Wissenschaftler beteiligt. Welchen Beitrag kann SICOS hier leisten? "Unsere Rechenzentren unterstützen komplexe Berechnungen mit ihren Rechenressourcen, und unsere universitären Partner stellen ihre Analytics-Kompetenz und Infrastruktur zur Verfügung.“ Wierse kann dazu auf eine über 25-jährige Expertise in Simulation und Visualisierung zurückblicken, gestützt durch sein achtköpfiges Team sowie Kooperationen mit anderen Konzernen. HAWK, das Flaggschiff unter den Supercomputern des HLRS, ist für technische Simulationsanwendungen geradezu optimiert. In Verbindung mit anderen Plattformen für Hochleistungsdatenanalyse und künstlicher Intelligenz ermöglicht Europas schnellster Rechner mit 26 Petaflops die Unterstützung neuartiger Arbeitsabläufe, Simulation, Datenerzeugung sowie -analyse und kombiniert dies mit Deep Learning.
Effizientes Gegensteuern per Mustererkennung und Tracing-App
Um der Pandemie wirksam und schnell entgegenzutreten, ist es wichtig, das Infektionsgeschehen umfassend zu erkennen und zu interpretieren. Wie breitet sich das Virus aus? Welche Krankheitsverläufe sind bei welchen Patientengruppen wahrscheinlich? Mit Data Analytics und maschinellem Lernen lassen sich spezifisch Muster erkennen. Auch typische Infektionsmuster an der Lunge der Erkrankten können sich schneller identifizieren lassen.
Bis Impfstoffe entwickelt und zugelassen sind, müssen wir mit bestimmten Vorsichtsmaßnahmen leben, um eine erneute überschießende Infektionswelle zu vermeiden. Eine davon kann eine Tracing-App darstellen. Tracing-Apps funktionieren mit Bluetooth-Technologie. Alle paar Minuten wird eine neue Identifikationsnummer erstellt und an die nahe Umgebung ausgesendet. Sind zwei Smartphones mit dieser App über 15 Minuten weniger als zwei Meter voneinander entfernt, werden die beiden anonymen Identifikationsnummern auf beiden Telefonen abgespeichert. Hat ein Nutzer nachfolgend Krankheitssymptome, kann er das über die App melden und so das Gesundheitsamt-Prozedere beschleunigend ersetzen. Über die App kann eine Nachricht an die Kontaktpersonen gesendet werden mit dem Hinweis, sich testen zu lassen. Identität und Standort der betreffenden Personen sollen nicht erhoben werden. Die Bundesregierung hat aus Datenschutzgründen einer dezentralen Speicherung der Daten zugestimmt, also nur auf den Smartphones der Nutzer selbst. Auch andere Technologien wie Wärmekameras oder Sensoren im Bereich Internet der Dinge (IoT) können bei der Früherkennung und Eingrenzung weiterer Infektionsausbrüche helfen.
Modellparameter können also vielfach anfallen. Auch Analysen, etwa darüber, wie sich Ansteckungen an Bord von Flugzeugen ausbreiten können, lassen sich mit Supercomputern modellieren. Apropos Flugzeug: Auch in der Luft- und Raumfahrt bietet die SICOS BW viele Simulationen und Berechnungen.
Die Anwendungsfelder sind multiperspektivisch. In der aktuellen Corona-Pandemie aber bietet sich die Möglichkeit, durch beschleunigten Zugang zu HPC-Ressourcen (HPC = High Performance Computing, Hochleistungsrechnen) schnelle Daten zu komplexen Berechnungen und Prognosen sowie Simulationsforschungen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen zu erhalten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Jetzt und auch in Zukunft. Denn klar ist: Wir werden auch weiterhin mit vielen Epidemien konfrontiert. Für ein schnelles, gezieltes Gegensteuern können diese Technologien ein entscheidender Wegweiser sein.