Prof. Dr. Alexander Kleger verfolgt auf dem Ulmer Campus das Prinzip der translationalen Medizin: Der Gastroenterologe und Pankreasspezialist ist dabei nicht nur als Sektionsleiter für Interdisziplinäre Pankreatologie am Uniklinikum tätig. Seit über einem Jahr führt er auch ein eigenes Forschungsinstitut für Molekulare Onkologie und Stammzellbiologie.1)
Unter Einsatz neuer Technologien wie Organoidmodellen und stammzellbasierten Systemen erforscht er die Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs, um die patientenspezifische Behandlung zu verbessern. Hierbei liegt der Fokus seiner Forschung auf dem duktalen Adenokarzinom der Bauchspeicheldrüse (PDAC), welches die am häufigsten auftretende Form des Pankreaskarzinoms darstellt.
Trotz angehäuften Wissens und zunehmender Forschung wartet man bislang vergebens auf therapeutische Durchbrüche bei dieser verheerenden Erkrankung, die mit einer hohen Sterblichkeit und wachsenden Fallzahlen einhergeht. Ihre aggressive Tumorbiologie und die (meist) zu späte Diagnose machen die Entwicklung neuer PDAC-Therapie-Strategien zu einer der größten Herausforderungen in der onkologischen Forschung. Modellsysteme wie Organoide sind ein wesentlicher Baustein, um den Ausbruch der Krankheit, ihr Fortschreiten und ihre Therapieresistenz zu erforschen und, um mögliche Therapieansätze zu entwickeln. Kleger setzt die Tradition exzellenter Ulmer Pankreas-Forschung fort: Seit 2020 hat er eine Heisenberg-Professur für Molekulare Onkologie inne und wurde jüngst mit dem Deutschen Krebspreis für Experimentelle Forschung ausgezeichnet. 2)
Nach jahrelangen Vorarbeiten gelang es Kleger und seinem Team jüngst, alle drei wesentlichen Zelltypen des Pankreas gleichzeitig aus pluripotenten Stammzellen zu züchten.3) Ein besonderer Erfolg, denn: „Bisher gab es keinerlei verlässliche Methoden, um Azinuszellen überhaupt „herzustellen“; geschweige denn, diese simultan aus den gleichen Vorläuferzellen hervorzubringen wie die beiden anderen Zelltypen“, so Kleger. Azinuszellen produzieren und sekretieren ihren enzymreichen Verdauungssaft in den Dünndarm (sind also exokrin), wo sie die Fette, Kohlenhydrate, Proteine und Nukleinsäuren unserer Nahrung zerlegen. Bedeutsam ist dieser Erfolg deshalb, weil 98 Prozent aller Pankreaskarzinome den exokrinen Teil des Drüsenorgans betreffen. Dieser wiederum macht den größten Teil des Gewebevolumens aus. Da Tumore, die aus den verschiedenen Zelltypen des Pankreas entstehen, eine unterschiedliche Biologie haben, soll dieses Modell zu einem besseren Verständnis der jeweiligen Tumorentstehung beitragen.
Infokasten: Neue 3D-Werkzeuge für die biomedizinische Forschung
Wer wie Kleger aus der Stammzellforschung kommt, landet rasch bei Organoiden, die eine Brücke von zweidimensionalen Zellkulturen zu Tiermodellen schlagen. Die Winzlinge sind dreidimensionale, aus embryonalen oder pluripotenten (induzierten) Stammzellen in der Kulturschale entwickelte humane Zellstrukturen, die Organe nachbilden und diesen in Zellzusammensetzung und Funktion ähneln. Für die Herstellung solcher Organoide werden die Stammzellen einem Cocktail aus Nährstoffen, Wachstumsfaktoren und Signalmolekülen ausgesetzt. Die Zugabe dieser Bestandteile erfolgt in einer konkreten Zusammensetzung und in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge. Finden die Stammzellen die stimulierenden und wachstumsfördernden Bedingungen vor, vermehren und verändern sie sich und bilden schließlich die entsprechenden Organoide aus.
Seit rund zwei Jahren bietet die Organoid Core Facility als zentrale Serviceeinrichtung des Universitätsklinikums Ulm die Etablierung und Kultivierung von Organoiden aus primärem Tumorgewebe sowie die Testung klinisch relevanter Substanzen an diesen Kulturen an. Dadurch wird eine Art Biobank verschiedener Tumorentitäten (z. B. Pankreas, Darm, Brust oder urologische Tumoren) gebildet.
Der Einsatz von Pipettierrobotern beschleunigt dabei die Herstellung der Organoide erheblich. Dennoch dauert es zu lange, bis Ergebnisse aus organoidbasierten Studien zu Therapieentscheidungen beitragen können: „Das darf maximal drei bis vier Wochen dauern“, rechnet Kleger vor. Zwar bilden sich bereits nach wenigen Tagen erste Organoide aus den Tumorzellen, jedoch sind mehr als 30 Tage erforderlich, um eine ausreichende Menge an Organoiden zu bilden, die für die Austestung verschiedener therapeutischer Wirkstoffe verwendet werden können.
Derzeit werden die Leistungen der Organoid Core Facility vorwiegend von akademischen Einrichtungen in Anspruch genommen. Allerdings gäbe es bereits Nachfragen aus der Industrie, so Kleger.
Mit diesem Pankreasmodell können Kleger und sein Team die Auswirkungen defekter Gene auf die unterschiedlichen Zelltypen untersuchen, was in anderen Modellsystemen bislang kaum möglich war. Erfasst man damit frühe Veränderungen bei der Krebsentstehung, lassen sich daraus womöglich Biomarker für die Früherkennung ableiten, wodurch Diagnose und Therapie in einem früheren, weniger aggressiven Stadium möglich sein könnten. Überdies lässt sich prüfen, welche Therapieansätze bei welchen molekularen Veränderungen wirksam sind.
Dennoch sind Organoide eben Modellsysteme, die weder vaskularisiert noch korrekt innerviert sind, also längst keine naturgetreuen Organe und deren Komplexität abbilden. Deshalb versuchen die Forschenden, mit Biodruckern die Tumore in ihrer Mikroumgebung zu untersuchen, also zum Beispiel umgeben von Bindegewebszellen. Damit wollen sie beobachten, wie der Tumor mit seiner Umgebung kommuniziert. Dieser „Cross-Talk“ zwischen den Zellen kann beispielsweise die Aggressivität der Tumorzellen weiter erhöhen. „An dieser Stelle wollen wir ansetzen und Möglichkeiten identifizieren, diese Kommunikation zu unterbrechen und damit effektive Therapieansätze für ein besseres Überleben der Patientinnen und Patienten zu finden“, erklärt der Experte.
Erste Fingerzeige zum möglichen klinischen Nutzen von Pankreas-Tumororganoiden erhielten die Ulmer Forschenden, als sie von Patientinnen und Patienten gewonnene Tumororganoide mit der Standardchemotherapie im Labor testeten.4) Als diese nach der ersten Stadienbestimmung (Staging) in die Klinik zurückkehrten, stellte der Vergleich von Therapieansprache bei Patientinnen und Patienten mit derjenigen in den Organoiden eine Korrelation von 89 Prozent fest.
Aus Haarwurzeln von Erkrankten, die ein genetisches Tumorprädispositionssyndrom in der Keimbahn hatten und deshalb zum Vorsorgescreening erschienen, gelang es, über die Reprogrammierung zu pluripotenten Stammzellen, personalisierte duktale Modelle der Krebsentstehung zu entwickeln. Damit sei es möglich, die Tumorentstehung und frühe Entwicklung in einem humanen Modellsystem weiter zu untersuchen, so Kleger.
Die aktuellen Organoidsysteme eignen sich in erster Linie dazu, grundlegende Erkenntnisse über biologische Prozesse und Signalwege im Epithel zu erlangen oder eine vereinfachte interzelluläre Kommunikation zu modellieren. „Um aber vielschichtigere Mechanismen, wie beispielsweise den Zellzyklus oder die Aktivierung des Immunsystems zu verstehen, benötigen wir nach wie vor Mausmodelle, um die gesamte Komplexität erfassen zu können. Noch fehlt Organoiden genau diese Komplexität“, sagt der Professor und verweist auf eine (allerdings kleine) Studie zur Tumorvakzinierung, die Hinweise darauf gab, dass eine mRNA-Impfung bestimmten Pankreaskarzinom-Patientinnen und -Patienten nach einer OP half, tumorfrei zu bleiben. 5)-7) Was er damit sagen will: Organoide der Bauchspeicheldrüse besitzen kein personalisiertes Immunsystem und bilden nur einen Teil der physiologischen Umgebung dieses Organs ab.8)
Die Erforschung der komplexen Prozesse der Tumorentstehung steckt immer noch in den Kinderschuhen: Zwar wurde die Mutationslandschaft des PDAC in großen Klinischen Studien bereits beschrieben, allerdings beschränkt sich eine retrospektive Charakterisierung auf späte Stadien der Krankheit.
Den Hoffnungen in die Organoidtechnologie hält Kleger entgegen, dass erst randomisierte, kontrollierte Klinische Studien zeigen würden, welches Potenzial in den Modellen steckt. Die Ulmer Forschenden haben von der Deutschen Krebshilfe eine Förderung für eine solche Studie erhalten (UNITEPANC-Studie). Sie soll zeigen, ob eine organoidbasierte Therapie einer klassischen Therapie (Standard of Care) überlegen oder zumindest gleichwertig ist. Die auf mindestens vier oder fünf Jahre angelegte Studie ist genehmigt, noch sind aber keine Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Sechs Zentren sollen daran teilnehmen.