Reduzierte Immunsuppression bei Transplantationen möglich
Modifizierte Immunzellen erzeugen spenderspezifische Toleranz
Nach Erhalt eines Spenderorgans müssen Transplantierte bisher lebenslang immunsupprimierende Medikamente einnehmen. Dies verhindert zwar überwiegend eine Abstoßung, ist aber mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Mithilfe von modifizierten Immunzellen (MICs) gelang es der TolerogenixX GmbH aus Heidelberg jetzt, bei Empfangenden von Nieren-Lebendspenden eine spenderspezifische Toleranz zu erzeugen, ohne die generelle Immunabwehr zu unterdrücken. Langfristig ist ein Einsatz dieser neuartigen Zelltherapie auch bei Autoimmunerkrankungen denkbar.
Wenn lebenswichtige Organe versagen, kommen sogenannte Organersatzverfahren zum Einsatz, wie beispielsweise die Dialyse (Blutwäsche), eine künstliche Lunge (extrakorporale Membranoxygenierung, ECMO) oder auch verschiedene Herzunterstützungssysteme. In allen Fällen handelt es sich um technisch sehr aufwendige Verfahren, die für die Betroffenen belastend sind, und die auch immer mit der Gefahr von schwerwiegenden Infektionen einhergehen. Zudem lassen sich die komplexen Funktionen eines Organs durch solche Geräte nicht vollständig ersetzen, sodass langfristig nur eine Transplantation gute Überlebenschancen bietet.
Lebendspende bei Nieren
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland insgesamt 2.979 Organe von Verstorbenen transplantiert1), bei der Hälfte handelte es sich um Nieren. Zum Jahresende benötigten allerdings noch mehr als 7.000 Erkrankte eine neue Niere; aktuell beträgt die Wartezeit für dieses Organ über Eurotransplant mehr als acht Jahre. Aus diesem Grund wird in einigen Fällen eine Lebendspende von Verwandten oder besonders nahestehenden Personen in Betracht gezogen. Gesunde Menschen besitzen zwei Nieren und können auch nach Abgabe eines Organs ihr Leben nahezu normal weiterführen. „Je nach Einrichtung gibt es bei Nieren zwischen 30 und 50 Prozent Lebendspenden“, erläutert Prof. Dr. Matthias Schaier, Oberarzt am Nierenzentrum Heidelberg (NZH). „Denn trotz Dialyse altern die Betroffenen sehr schnell, da ihr Blut dauerhaft zu hohe Mengen an giftigen Substanzen enthält. Transplantierte haben bereits nach einem halben Jahr Mortalitätsvorteile [geringere Sterberaten, Anm. d. Red.] gegenüber Dialysepatienten, obwohl sie eine Vielzahl an Medikamenten einnehmen müssen, die mit starken Nebenwirkungen verbunden sind.“
HLA-Moleküle erzeugen individuelle Gewebesignatur
Bei allen Transplantationen sollten die Blutgruppen und Gewebemerkmale des oder der Spendenden und Empfangenden möglichst gut zusammenpassen, um die Gefahr einer Abstoßung gering zu halten. Im Gegensatz zu den nur vier unterschiedlichen Blutgruppen des AB0-Systems, variieren die individuellen Merkmale (Antigene) auf der Oberfläche von Gewebezellen viel stärker. Diese auch als HLA-Moleküle (Humanes Leukozyten-Antigen) bezeichneten Proteine befinden sich auf jeder Körperzelle und lassen sich gut auf weißen Blutzellen, den Leukozyten, nachweisen. Sie erzeugen eine charakteristische Signatur, die es dem Immunsystem ermöglicht, zwischen körpereigenen und fremden Zellen zu unterscheiden. Körperfremde HLA-Moleküle werden dabei vor allem von T-Lymphozyten identifiziert, die dann die Abstoßungsreaktion einleiten.
Insgesamt sind bisher mehrere Tausend unterschiedliche Gewebemerkmale bekannt. Bei einer Typisierung wird das Muster der wichtigsten Vertreter HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-DR, HLA-DQ bestimmt. Da jeder Mensch sowohl eine Variante vom Vater als auch der Mutter erbt, ergeben sich unzählige Kombinationsmöglichkeiten. Für eine Transplantation wird immer nach der bestmöglichen Gewebekompatibilität gesucht. Eine vollständige Übereinstimmung aller Gewebemerkmale gibt es nur bei Zwillingen, deshalb müssen Transplantierte ihr Leben lang Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppressiva). Diese beeinträchtigen allerdings die grundsätzlichen Mechanismen der Immunabwehr, sodass zahlreiche Nebenwirkungen auftreten können, wie beispielsweise erhöhte Anfälligkeit für Infekte und Tumore, Magen-Darm-Probleme, Osteoporose, Schädigungen der Niere und des Nervengewebes sowie Bluthochdruck.
Spenderspezifische Toleranz durch MICs
„Die TolerogenixX GmbH hat jetzt eine neuartige Zelltherapie entwickelt, die unerwünschte Abwehrreaktionen gegen das Spenderorgan gezielt abschalten kann, ohne die körpereigene Immunabwehr gegenüber Bakterien, Viren oder Tumorzellen zu schwächen“, berichtet Schaier, CEO des 2016 gegründeten Heidelberger Unternehmens. Zusammen mit Prof. Dr. Anita Schmitt (CTO) vom Universitätsklinikum Heidelberg und Prof. Dr. Christian Morath (CSO) vom NZH will der Mediziner die Erkenntnisse aus der akademischen Forschung in die Klinik überführen.
Der kurative Ansatz nutzt veränderte Blutzellen der Spenderin bzw. des Spenders, um bei Empfängerin oder Empfänger eine langanhaltende, spezifische Toleranz zu erzeugen. Eine Woche vor der geplanten Nieren-Transplantation werden mittels Leukapherese aus dem Blut der Spenderin oder des Spenders periphere mononukleären Zellen (peripheral blood mononuclear cells, PBMCs) gewonnen. Dies sind alle Blutzellen mit nur einem Kern wie Lymphozyten und Monozyten; im Gegensatz zu mehrkernigen Granulozyten bzw. kernlosen Erythrozyten. Die isolierten Zellen werden im Anschluss für 30 Minuten dem Chemotherapeutikum Mitomycin C ausgesetzt. „In der Onkologie wurde beobachtet, dass Zellen durch diese Behandlung ihre Oberflächensignatur verändern“, erklärt Schaier. „Die HLA-Moleküle bleiben erhalten, aber die für eine Immunreaktion notwendigen co-stimulierenden Signale werden durch hemmende Signale ersetzt. Die Zellen bekommen quasi ein Toleranz-Trikot übergestreift.“
Noch am selben Tag erhält die Empfängerin oder der Empfänger die so entstandenen MICs (modified immune cells). Da die Zellen durch das Mitomycin C aber nachhaltig geschädigt sind, durchlaufen sie in den nächsten Tagen einen programmierten Zelltod (Apoptose). Die resultierenden Zellfragmente erzeugen in Empfänger oder Empfängerin nicht nur eine spenderspezifische Toleranz der T-Lymphozyten, sondern führen auch zur Bildung von regulatorischen B-Lymphozyten, die ebenfalls eine Abwehrreaktion gegenüber dem bald darauf gespendeten Organ verhindern2). Eine Woche später erfolgt die Transplantation. Im Rahmen einer Phase I Studie konnte gezeigt werden, dass der Therapieansatz sehr gut verträglich ist und die Toleranz dauerhaft (bisher fünf Jahre) anhält, obwohl die Dosis an Immunsuppressiva deutlich gesenkt wurde. Der Nierenspezialist schildert: „Den Transplantierten, die vorab MICs erhalten haben, geht es durch die reduzierte Immunsuppression wesentlich besser als denen in der Kontrollgruppe. Sie haben kaum Nebenwirkungen, zeigen keine Abstoßungsreaktionen und sind weniger von opportunistischen Begleitinfektionen betroffen.“ Um das neue Organ maximal zu schützen, erhalten die Betroffenen direkt nach der Transplantation zunächst die gängigen Immunsuppressiva, die dann langsam ausgeschlichen werden. Ziel ist die Reduktion auf nur noch eine Tablette eines sogenannten Calcineurin-Inhibitors, der die Freisetzung von immunstimulierenden Substanzen verhindert. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse konnte 2022 eine Phase II Studie mit 62 Spender/Empfänger-Paaren in München, Stuttgart und Heidelberg gestartet werden.
Neue Perspektiven für Autoimmunerkrankungen
Autoimmunerkrankungen werden durch überschießende Immunreaktionen gegenüber körpereigenen Antigenen ausgelöst. Präklinische Daten zeigen, dass die MIC-Zelltherapie in diesen Fällen ebenfalls großes Potenzial besitzt. Den Erkrankten werden eigene PBMCs entnommen und nach Behandlung mit Mitomycin wieder zurückgegeben. Die MICs vermitteln auch hier dem Immunsystem, welche HLA-Moleküle – nämlich die körpereigenen- toleriert werden sollen. Derzeit konzentrieren sich die Untersuchungen bei TolerogenixX auf die Behandlung von Lupus Erythematodes (SLE), einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung aufgrund von Autoantikörpern gegen Zellkernbestandteile, die alle Organe betreffen kann. „Wir sehen ein großes Potential unserer Therapie auch bei weiteren Autoimmunerkrankungen und sind offen für Forschungskooperationen auf diesem Gebiet“, betont der CEO.
Große Kostenersparnis möglich
Im Vergleich zu anderen Zelltherapeutika sind MICs nicht nur in der Anwendung für die Empfängerin oder den Empfänger viel schonender, sondern die von TolerogenixX bereits optimierte Reinraumproduktion benötigt auch deutlich weniger Zeit. „Abhängig von der Indikation wird es Anpassungen geben, prinzipiell handelt es sich aber um eine umfassende Plattformtechnologie“, führt der Unternehmer aus. „Die Therapie ist nicht nur hochwirksam, sondern auch vergleichsweise kostengünstig. Und langfristig werden durch die Reduktion der Immunsuppressiva und die dadurch verringerten Folgeerkrankungen weitere Kosten eingespart.“