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Diagnostik

monikit UG – Medizinprodukt für Epilepsiepatienten

Anfälle bei Epilepsie automatisch und mobil zu erkennen, ist das Ziel der Stuttgarter monikit UG. Mit der Unterstützung von Tübinger Neurologen entwickelt das Start-up einen Epilepsie-Anfallsdetektor, den die Patienten wie einen Fitnesstracker tragen können.

Das Team der monikit UG (von links nach rechts): Florian Lutz (Co-Founder), Kevin Klett (Co-Founder) und Julian Hofmeister (Data Science). © monikit UG

Epilepsien gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungsgruppen des zentralen Nervensystems. In Baden-Württemberg leiden etwa 85.000 Patienten an der Krankheit, deutschlandweit sind es ca. 700.000 Patienten1. Als sogenanntes epileptisches Syndrom bezeichnet man das Krankheitsbild, das sich durch wiederkehrende Anfälle auszeichnet. Dabei kann die Art der Anfälle von Patient zu Patient sehr verschieden sein. Die Anfälle haben zum Beispiel verschiedene Ursprünge im Gehirn und unterscheiden sich auch in der Art ihrer Symptome. Denn nicht bei jeder Anfallsart verkrampft sich der gesamte Körper des Patienten. Es können auch andere Erscheinungen wie beispielweise zuckende Augenlieder und kurze Bewusstseinspausen auftreten (siehe grauer Kasten). Die Ursachen für eine Epilepsie sind ebenfalls sehr verschieden. Epilepsien können unter anderem durch Hirntumore, Infektion des Gehirns, Schädelhirntraumata nach Unfällen oder Fehlbildungen des Gehirngewebes verursacht werden. Nur wenn die Art der Anfälle und deren Häufigkeit bekannt sind, können Ärzte eine erfolgreiche Behandlung, z. B. eine medikamentöse Therapie, gemeinsam mit dem Patienten entwickeln. Um an diese Informationen zu gelangen, werden die Hirnströme eines Patienten mit Hilfe eines EEG-Monitorings (EEG: Elektroenzephalographie) überwacht. Dazu werden EEG-Elektroden am Kopf des Patienten befestigt. Solch ein Langzeit-EEG kann von 24 Stunden bis zu fünf Tagen dauern. In dieser Zeit dürfen die Patienten die Station in der Klinik nicht verlassen2. Zu Hause führen Epilepsiepatienten ein „Anfallstagebuch“ und erlauben so dem Arzt eine Einschätzung zur Art, Ursache und Häufigkeit der Anfälle. Ungenau Berichte der Patienten können jedoch zu einer ineffizienten Therapie führen. „Die sogenannten partielle (fokale) Anfälle sind häufig für Außenstehende und den Patienten selbst gar nicht zu bemerken“, berichtet Kevin Klett, der Stuttgarter Gründer der monikit UG. Das junge Unternehmen arbeitet am ersten mobilen und automatisierten Epilepsie-Anfallsdetektor, mit dessen Hilfe alle Arten von Anfällen (siehe grauer Kasten) detektiert werden können.

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (Deutsche Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie) definiert verschiedene Arten von Anfällen bei Epilepsiepatienten:

Zunächst werden die Anfälle nach dem Ursprung des Anfalls definiert. Während ein fokaler Anfall von einem bestimmten Ort des Gehirns ausgeht, umfasst ein generalisierter Anfall beide Gehirnhälften gleichzeitig. Ein Anfall kann auch zunächst fokal beginnen und sich dann generalisiert ausbreiten – diese Anfälle werden als sekundär-generalisiert bezeichnet.

Ferner können die generalisierten und fokalen Anfälle weiter unterteilt werden:

  • Klonischer Anfall: Die Gliedmaßen des Patienten zucken regelmäßig, ohne dass er das Bewusstsein verliert.
  • Tonischer Anfall: Bei dieser Anfallsart verkrampfen die Gliedmaßen, es treten aber keine Zuckungen auf und der Patient kann bei Bewusstsein bleiben.
  • Grand mal: Bei einem klonisch-tonischen Anfall verkrampft sich der Körper des Patienten, Bewusstlosigkeit und starke Zuckungen treten auf. Ferner können beispielweise Bissverletzungen der Zunge sowie blass-blaue Hautverfärbung Begleiterscheinungen der Anfallsart sein.
  • Psychomotorischer Anfall: Der Patient hat Bewusstseinsstörungen und zeigt ein merkwürdiges Verhalten, wie zum Beispiel brummende Laute.
  • Absence: Hier erleidet der Patient sogenannte Bewusstseinspausen, die meist nur eine Sekunde dauern. Zuckungen der Augenlieder können hinzukommen.

Zusammenarbeit mit Universitätsklinikum Tübingen

Medienwissenschaftler Kevin Klett und Informatiker Florian Lutz lernten sich während des Masterstudiums an der Stuttgarter Hochschule der Medien kennen. „Florian Lutz hatte damals schon theoretisch die Idee eines Epilepsie-Anfallsdetektors. Wir haben uns dann in Rahmen der Vorlesung zur Unternehmensgründung zusammengetan und das Konzept der mobilen Epilepsieanfallserkennung weitergesponnen“, berichtet Klett. Ihren ersten Pitch hatten die beiden Gründer mit Prof. Dr. Yvonne Weber von der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie am Universitätsklinikum Tübingen. Prof. Weber war so begeistert von der Idee, dass sie den Gründern Räume anbot, um die Idee weiter zu vertiefen. Damals wie heute unterstützen Prof. Weber und Dr. Henner Koch das Team von monikit. Im Jahr 2016 war es dann soweit und die monkit UG wurde gegründet.

Finanzielle Mittel und zusätzliches Know-How erforderlich

Mit Hilfe der Elektroenzephalografie (EEG) wird die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen. © Pixabay

In der Anfangsphase wurde das Start-up von der Medtech Start-up School Tübingen, den Business Angels rund um Prof. Nils Högsdal von der Hochschule der Medien, EXI Gründergutscheine sowie das EXIST Gründerstipendium unterstützt. „Damals haben wir an einer technischen Lösung mit optischen Sensoren gearbeitet, die uns nicht viel weitergebracht hat, da die Technik damals noch nicht so weit fortgeschritten war. Ende 2016 haben wir geprüft, wie wir weiter machen können und noch einmal die komplette Technik überarbeitet. Seitdem arbeiten wir nicht mehr an der Hardware, sondern an der Software, am Algorithmus. Wir haben erkannt, dass das der Motor der Innovation ist“, berichtet Klett, der wie sein Firmenpartner einen Master mit Fokus auf Entrepreneurship und Innovationsmanagement gemacht hat. Das Unternehmen setzt seitdem auf eine andere Sensorik, die von einem weiteren Unternehmen hinzugekauft wird. Seit Anfang 2017 arbeitet die monikit UG an der neuen Methodik. Zu diesem Zeitpunkt ist auch Julian Hofmeister, der mittlerweile Mitgründer ist, als Data Scientist in das Unternehmen gekommen. Doch um den hohen regulatorischen Anforderungen an Medizintechnik-Unternehmen gerecht zu werden, waren weitere finanzielle Mittel notwendig. Hier hat das Fördermittel des Programms „Junge Innovatoren“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg weitergeholfen. „Und zum Ende des zweiten Jahres dieses Förderprogramms, haben wir eine Finanzierung von rund 1,9 Millionen Euro durch den Life Science Inkubator in Bonn bereitgestellt bekommen. Seitdem haben wir unsere zweite Basis in Bonn. Der Unternehmenssitz ist aber weiterhin in Stuttgart beheimatet, da wir mit der Region und dem Standort Tübingen sehr stark verbunden sind. Dort führen wir auch die klinischen Studien durch und testen unser System“, erzählt Klett.

Anfallsart automatisch erkennen

Florian Lutz und Kevin Klett haben beide während ihrer Zeit beim Zivildienst Kontakt mit Epilepsie gehabt. „Mit unserem Anfallsdetektor wollen wir die großen und kleinen epileptischen Anfälle mobil detektieren. Durch diese Detektion können wir die Anfälle auch dokumentieren und den Ärzten bereitstellen, so dass die Therapie personalisiert und optimal an den entsprechenden Patienten angepasst werden kann“, so Klett. Natürlich erhöht sich durch das System auch die Anzahl an gemessenen Gesundheitsdaten im Alltag von Epilepsiepatienten und so könnte die Therapie in Zukunft noch einen weiteren Schritt nach vorne machen. Das Gerät, beschreibt Klett, sei wie ein Fitnesstracker, der mit dem Algorithmus auf Basis der verschiedenen Muster der Gesundheitswerte der einzelnen Anfallsarten automatisch die Anfallsart erkennen kann. Zusätzlich kann das System eine Benachrichtigung an einen Angehörigen schicken. So können rechtzeitig Notfallmedikamente verabreicht und gefährliche Gegenstände aus der Umgebung entfernt werden. Zurzeit testet das Unternehmen das Gerät und den Algorithmus in Tübingen in einer Studie an Patienten. Ziel ist es das Gerät zu validieren, zu verbessern und die Rahmenbedingungen für die Konformitätsbewertung und die spätere CE-Kennzeichnung voranzutreiben. „Wir wollen mit der Studie unseren Algorithmus zusätzlich trainieren, die Genauigkeit der Anfallsdetektion verbessern und vor allem falsch positive Messungen reduzieren“, erklärt der Gründer. In Zukunft soll es auch Kooperationen mit einer weiteren Klinik geben. Dennoch weiß Klett, dass das Medizinprodukt noch weit davon entfernt sei auf den Markt zu kommen. „Besonders als Medtech-Startup muss man viele Anforderungen erfüllen und lange an der Zulassung arbeiten. Ein zertifiziertes Konsumentenprodukt sehen wir nicht vor 2021. Wir arbeiten aber daran ein Produkt auf dem Markt zu bringen, dass der Anwender schneller bedienen kann als bisherige Produkte“, so Klett.

Literatur:

1 Informationen der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Tübingen (https://www.neurochirurgie-tuebingen.de/de/spezialgebiete/epilepsiediagnostik-chirurgie/)

2 Langzeit-Video-EEG-Monitoring: Patienteninformation (https://www.krupp-krankenhaus.de/fileadmin/pdfs/patienteninfo/AKK_AKK_3672_Flyer-Video-EEG_ID649.pdf)

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/monikit-ug-medizinprodukt-fuer-epilepsiepatienten