Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Kliniken
Nachhaltige Aktivitäten in der Gesundheitsbranche
Nicht nur bei der Behandlung der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels ist der Gesundheitssektor zurzeit stark gefordert, sondern er muss auch selber einen konkreten Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten. Analysen zeigen, dass vor allem im Klinikablauf viele Möglichkeiten bestehen, die medizinische Versorgung nachhaltiger zu gestalten. Hier setzen das Universitätsklinikum Heidelberg und die Stiftung viamedica aus Freiburg an.
Im Gesundheitssektor steht die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu Recht an erster Stelle. Trotzdem ist auch hier ein Umdenken erforderlich, denn ein Klinikbett in Deutschland verbraucht im Schnitt so viel Energie wie vier neuere Einfamilienhäuser und mit 300 – 600 l Wasser täglich die dreifache Menge eines Wohnhauses. „Das Thema Nachhaltigkeit muss fester Bestandteil der Leitlinien von Krankenhäusern werden“, fordert Markus Loh, seit 2007 Projektleiter von viamedica. Die gemeinnützige Stiftung für gesunde Medizin aus Freiburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Umweltschutz systematisch in der Medizin zu implementieren.
Gegründet wurde viamedica von Prof. Dr. Franz Daschner, der als bislang einziger Mediziner im Jahr 2000 den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erhielt. Der damalige Direktor des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg entwickelte Konzepte zur umweltverträglichen Krankenhausbewirtschaftung und belegte bereits 2002, dass sich durch die Veränderung etablierter Abläufe vor allem im Stationsbetrieb einiges verbessern lässt.1) Ein neuer Aufbau der Stationsbetten beispielsweise halbierte die anfallende Wäschemenge und sparte bei 50.000 Patientinnen und Patienten im Jahr mehr als zwei Mio. l Wasser. Im medizinischen Bereich wurden nach Beschränkung der routinemäßigen Desinfektion zugunsten gezielter Anwendungen 2,7 t Desinfektionsmittel jährlich weniger ins Abwassersystem geleitet.
viamedica liefert Impulse für nachhaltiges Handeln
„Das Gesundheitssystem bietet unglaublich viele Ansatzpunkte“, erläutert Diplomgeograf Loh. Aus diesem Grund initiierte er 2009 die Informationskampagne „Klinergie 2020 – Energieeffizienz in deutschen Kliniken“ mit Beispielen aus Kliniken für Kliniken. „Dies genügte aber nicht, denn die Kliniken kennen ihren eigenen Ist-Zustand nicht.“ Deshalb wurde in Zusammenarbeit mit großen Ingenieurbüros der KlinergieCheck entwickelt, eine energetische Potenzialanalyse speziell für Kliniken, die relevante Maßnahmen identifiziert und deren Wirtschaftlichkeit berechnet. Auf dieser Basis lassen sich 30 bis 40 Prozent an Energiekosten einsparen.
Die Planung und Umsetzung von nicht- und gering-investiven Energiesparmaßnahmen an Krankenhäusern und Reha-Kliniken wurde von 2014 bis 2016 mit dem Projekt „KLIK - Klimanager für Kliniken“ unterstützt, in dem Beschäftige eine Qualifikation zu Klimamanagern erhielten. Durch bedarfsgerechte Optimierung in den Bereichen Lüftung, Heizung, Kühlung und Beleuchtung konnten 34.500 t CO2 und 9 Mio. Euro Betriebskosten gespart werden. Im Folgeprojekt KLIK green wurden in weiteren 250 Einrichtungen insgesamt 1.600 Klimaschutzmaßnahmen durchgeführt.
Jeder und jede Einzelne kann zu einer nachhaltigen Lösung beitragen
Um alle Beschäftigten der Gesundheitsbranche ins Boot zu holen, entwickelte viamedica 2018 das Konzept Klimaretter - Lebensretter. Einfache Maßnahmen im Arbeitsumfeld wie Treppe statt Aufzug nutzen, Leitungswasser trinken, vegetarische Ernährung, Papierverbrauch reduzieren oder auch achtsames Lüften: Mittels einer App wird direkt gezeigt, wieviel CO2 man selber einspart. Die erfolgreichsten Teilnehmenden (Einzelpersonen, Teams und Unternehmen) erhalten jedes Jahr den Klimaretter-Award. Loh schwärmt: „Das Projekt hat eine Wahnsinnsdynamik. Ohne viel Aufwand können große Erfolge erzielt werden.“ Mit inzwischen über 7.000 Aktiven wurden bisher bereits mehr als 1,5 Mio. kg CO2 eingespart. Und die Klimawirkung des Programms ist sogar noch größer, denn die Beteiligten tragen die Aktionen auch in ihr privates Umfeld.
Die Stiftung stößt aber nicht nur Verhaltensänderungen an, sondern liefert auch konkrete Daten. Im Rahmen einer Analyse für ein großes Klinikum wurde der CO2-Fußabdruck von Mehrweg-Edelstahlschüsseln mit Einweg-Kunststoffschüsseln aus unterschiedlichen Materialien verglichen und jeweils eine umfangreiche Wirtschaftlichkeitsanalyse erstellt, die sowohl die Aufbereitung (also Reinigung) als auch die Entsorgung einbezog. Mit der Hand gewaschene Mehrwegschüsseln waren die ökologischste, aber auch die teuerste Variante. Nach Entwicklung eines neuen Waschprozesses erwies sich dann die Aufbereitung in der Containerwaschanlage als bestes Verfahren. „Durch das einfache Überdenken des Prozesses konnte eine praktisch umsetzbare und nachhaltige Lösungen gefunden werden“, erklärt Loh.
Das Uniklinikum Heidelberg beleuchtet Scope 3-Emissionen
Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) erachtet das Thema Klimaschutz als so wichtig, dass dort ab Oktober 2022 eine Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Klimaschutz eingerichtet wird. „Denn damit ist das Thema beim Vorstand angesiedelt, und Entscheidungen können schneller herbeigeführt werden“, erklärt Dr. Alina Herrmann vom Institut für Global Health des Universitätsklinikums. Die Medizinerin leitet seit September 2021 das Projekt KliOL - Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten, das der Arbeitsgruppe Klimawandel, Ernährung und Gesundheit von Jun.-Prof. Dr. Ina Danquah angegliedert ist. KliOL setzt den Fokus auf die sogenannten Scope 3-Emissionen, die nach internationalen Studien im Gesundheitssektor ungefähr zwei Drittel ausmachen.2)
Anhand des Greenhouse Gas (GHG)-Protokolls lassen sich Treibhausgas-Emissionen in drei Kategorien unterteilen:3) Scope 1-Emissionen entstehen direkt vor Ort bei der Herstellung von Produkten, entweder durch lokale Verbrennungen oder in Krankenhäusern auch durch Freisetzung von Narkosegasen und Dosieraerosolen. Scope 2-Treibhausgase werden indirekt freigesetzt durch den Einkauf von Strom, Dampf, Wärme oder Kälte. Der Scope 3-Bereich umfasst alle weiteren indirekten Emissionen, die beispielsweise während der Produktion und Entsorgung eingekaufter Ware, aber auch durch Mobilität von Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten oder die Essensversorgung, generiert werden.
Zusammen mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) erstellte Herrmann eine CO2-Bilanz für das UKHD, die alle drei Emissionsbereiche einschließt. Sowohl der direkte Ausstoß als auch sämtliche Verbräuche wurden erfasst und in CO2-Äquivalente (CO2e) umgerechnet, eine Maßeinheit zur Vergleichbarkeit der Treibhauswirkung. Diese Vorgehensweise berücksichtigt, dass neben CO2 auch andere Treibhausgase entstehen können. So hat Methan ein 28-fach höheres Treibhauspotenzial als CO2, das Narkosegas Desfluran wirkt sogar 2.540-fach stärker.
Medizinprodukte müssen nachhaltiger und Überversorgung abgebaut werden
Für das Jahr 2019 beträgt der so errechnete Emissionswert des UKHD 226.000 t CO2e. Davon fallen 75 Prozent in den Scope 3-Bereich. „Das Wichtige ist, dass man die Prioritäten richtig setzt. Dafür sind die Bilanzen gut, weil sie uns zeigen, wo die größten Verursacher sind. Allerdings sind die Zahlen aktuell noch mit einigen Unsicherheiten behaftet, da es gerade im Scope 3-Bereich nur sehr wenige produktspezifische Daten gibt“, erläutert die Medizinerin. „Der hohe Anteil der Scope 3-Emissionen macht schnell klar, dass Medizinprodukte nachhaltiger werden müssen. Insgesamt muss im Gesundheitssystem aber auch darüber nachgedacht werden, wie das Volumen der erbrachten Gesundheitsdienstleistungen bei gleichbleibender Versorgungsqualität niedrig gehalten werden kann. Dies ist z. B. durch mehr Investitionen in Prävention oder den Abbau von schädlicher Überversorgung möglich. Die notwendigen Gesundheitsdienstleitungen müssen dann so klimaneutral wie möglich erbracht werden.“
Im Rahmen des KliOL-Projekts wurden jetzt erste Bereiche definiert, die sich für konkrete Maßnahmen eignen. So versucht die Apotheke möglichst oft, von gasbetriebenen auf Trockenpulver-Inhalatoren umzustellen. Der Einkauf will einen größeren Fokus auf nachhaltige Produkte legen. Auf diesem Gebiet gibt es bereits Netzwerke, die Krankenhäuser bei der Umsetzung unterstützen (ZUKE Green, PEGreen). Beim Abfall soll die Recyclingquote deutlich erhöht werden. Dies bringt auch finanzielle Vorteile, denn sortenreiner Abfall kostet nicht, sondern wird vom Entsorger vergütet. Des Weiteren wird eine umweltfreundlichere Speiseversorgung der Mitarbeitenden angestrebt. So sollen im Projektzeitraum die Emissionen aus Lieferketten um 6.000t CO2e reduziert werden.
All dies kann nur durch die breite Unterstützung der Mitarbeitenden realisiert werden. KliOL kooperiert deshalb eng mit dem Mitarbeitendennetzwerk NeNa (Netzwerk Nachhaltigkeit) am UKHD. Ergänzt durch die Zusammenarbeit mit dem Vorstand sowie die entsprechende Begleitforschung soll das Klinikum so nachhaltig verändert werden.