Abfallrecycling in der Gesundheitsbranche
Nachhaltigkeit in der Medizintechnik: eine besondere Herausforderung
Qualität und Sicherheit der medizinischen Versorgung stehen in der Gesundheitsbranche an erster Stelle. Dies geht allerdings häufig zu Lasten des Klimaschutzes, da nicht nur Energie- und Rohstoffverbrauch sehr hoch sind, sondern aufgrund der vielen Einmalprodukte auch das Abfallaufkommen. Zur Reduktion des Abfalls und des CO2-Fußabdrucks ist neben einer Verbesserung der Recyclingstrategien deshalb vor allem auch nachhaltiges Produktdesign gefragt.
Das Gesundheitswesen soll bis 2030 klimaneutral werden – dieser Beschluss des 125. Deutschen Ärztetages im Jahr 2021 war verbunden mit einem Appell an alle Entscheidungstragenden in Verwaltung, Klinik und Behörden sowie bei den Herstellern, die notwendigen Maßnahmen zielstrebig, konsequent und zeitnah in Angriff zu nehmen.1) Nach derzeitigem Stand hat die Gesundheitsbranche allerdings noch einen weiten Weg vor sich, wie das 2022 von der viamedica-Stiftung für eine gesunde Medizin erstellte Gutachten ReKlimaMed zeigt. Um den Einstieg in das Themengebiet Nachhaltigkeit zu erleichtern, gibt viamedica deshalb für jeden Bereich konkrete Handlungsempfehlungen.2)
Herausforderndes Abfallrecycling in der Gesundheitsbranche
Auch das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Betroffene aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik umfassend zu informieren und so die Nachhaltigkeit im Bereich der Medizintechnik voranzutreiben. In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden betrachtete es speziell das Handlungsfeld Abfall und veröffentlichte hierzu 2023 das Whitepaper „ReMed: Mit werkstofflichem Recycling zu einer nachhaltigen Medizintechnik – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Verarbeitung von Klinikabfällen“.3) Denn allein das in Krankenhäusern weggeworfene Material summiert sich jährlich auf 4,8 Mio. t. Die Einrichtungen sind damit der fünftgrößte Abfallproduzent in Deutschland. Neben gängigen Verpackungsmaterialien aus Papier, Glas oder Plastik landen nicht nur Verbandsmaterial, Arzneimittelbehälter und Schutzkleidung nach einmaliger Benutzung im Müll, sondern häufig auch Waschschüsseln oder chirurgische Instrumente. „Derzeit sind mehr als 60 Prozent aller Medizinprodukte als Einwegprodukte zugelassen, und die Tendenz steigt. Etwa die Hälfte von ihnen besteht aus Kunststoff“, berichtet die Mitautorin Sandra Hunger. Insgesamt nimmt die Rohstoffnachfrage für medizinische Einmalprodukte stetig zu, sodass zeitnah neue Recyclingstrategien nötig sind, die den speziellen Anforderungen der Branche gerecht werden.
Seit 2002 werden Abfälle europaweit einheitlich bezeichnet und nach ihrer Gefährlichkeit eingestuft; die Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) enthält mehr als 800 Kategorien. Der Einfachheit halber verwenden deshalb viele medizinische Einrichtungen immer noch die fünf ehemaligen, von der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) entwickelten Gruppen A bis E, um ihre Reststoffe zu sortieren.4) Dabei umfasst die Gruppe A alle haushaltsüblichen Abfälle wie Umverpackungen aus Papier, Pappe, Kunststoff oder Glas sowie Lebensmittelreste. Diese werden vielerorts bereits getrennt gesammelt und von städtischen Entsorgern verwertet.
Typische Krankenhausabfälle, also mit Blut, Sekreten oder Exkrementen kontaminierte Materialien, die aber nicht infektiös sind, zählen zur Gruppe B und machen laut Whitepaper mengenmäßig den größten Anteil aus. In den meisten Fällen werden diese, wie in der Vollzugshilfe LAGA M18 vorgeschrieben, von entsprechenden Dienstleistern abgeholt und verbrannt. Eine Sortierung oder stoffliche Verwertung nach Dekontamination ist nur in genehmigten Ausnahmefällen möglich, obwohl das Umweltbundesamt dies bei entsprechender Sorgfalt durchaus in Betracht zieht. Hunger erläutert: „In diesem Bereich besteht das größte Potenzial für die Rückführung in einen Wertstoffkreislauf, aktuell werden viele hochwertige Materialien vernichtet. Derzeit gibt es leider einen Konflikt zwischen Sicherheit und Infektionsschutz einerseits und Umweltschutz auf der anderen Seite. Hier ist eine Anpassung der regulatorischen Vorgaben dringend erforderlich.“
Eine Umfrage des Fraunhofer IWU unter sächsischen Kliniken zeigt zudem, dass es aus Zeitmangel und Unwissenheit bei den Beschäftigten immer wieder zu einer fehlerhaften Abfalltrennung (5 - 25 Prozent) kommt. Des Weiteren bestehen viele Einwegprodukte aus Materialkombinationen und können nicht in ihre Einzelteile zerlegt werden, sodass sie sich dementsprechend nicht eindeutig zuordnen lassen. Für ein erfolgreiches und umfassendes Rohstoffrecycling sind daher einfache und klare Strukturen auch seitens der Hersteller unerlässlich.
Zu den Gruppen C bis E zählen potenziell infektiöse Materialien, giftige Substanzen sowie ethische Abfälle wie Organe bzw. Körperteile. Diese Abfälle machen weniger als fünf Prozent der Gesamtmenge aus und sind für eine Wiederverwertung nicht relevant.
Recyclingverfahren müssen verbessert werden
Damit Kunststoffabfälle werterhaltend aufbereitet werden können, sollten sie möglichst sortenrein getrennt werden. Dies ist in medizinischen Einrichtungen allerdings oft aus Platzgründen nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass häufig nicht ersichtlich ist, aus welchem Material die Produkte bestehen.
Beim werkstofflichen (mechanischen) Recycling werden die Abfälle zerkleinert und dann zu neuen Produkten verarbeitet. Dieser Prozess ist sehr energieeffizient, es kann aber zu Verunreinigungen und Qualitätsverlusten gegenüber der Ursprungssubstanz kommen, sodass das Material nicht wieder für medizinische Zwecke geeignet ist.
Das rohstoffliche (chemische) Recycling mittels Pyrolyse spaltet die Kunststoffe unter Druck und hoher Temperatur zu Gasen und ölähnlichen Flüssigkeiten auf, die wieder genutzt werden können. Hierbei entstehen allerdings viele wertlose Nebenprodukte.
Monomer-Recycling, also die Depolymerisation mit Hilfe von Enzymen oder Katalysatoren, hingegen zerlegt die Kunststoffe in ihre ursprünglichen Bausteine, die wieder zu neuen hochwertigen Werkstoffen zusammengesetzt werden können. Dieses Verfahren ist ideal zur Herstellung neuer Medizinprodukte, muss aber für die gängigen Kunststoffe noch etabliert werden.5)
Nachhaltiges Design bei Medizinprodukten ist nötig und möglich
Derzeit werden in der Medizintechnik vor allem erdölbasierte Werkstoffe wie Polyethylen (PE), Polyvinylchlorid (PVC), Polycarbonat (PC) oder Polypropylen (PP) eingesetzt. Eine Umstellung auf biobasierte Kunststoffe würde den CO2-Fußabdruck signifikant reduzieren, erfordert aber immer eine Neuzulassung der Produkte aufgrund der Materialumstellung. Deshalb müssen die Voraussetzungen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft bereits zu Beginn geschaffen werden. „80 Prozent der Umweltauswirkungen werden in der Entwicklungsphase festgelegt“, erklärt Erika Unjaev von der Röchling Medical Waldachtal AG. Das Unternehmen entwickelt und produziert kundenspezifische Kunststofflösungen für medizinische Anwendungen.
Am Beispiel eines Trokars - eines sterilen Punktionsinstruments für minimalinvasive Eingriffe, das laparoskopischen Instrumenten den Zugang zum Körper ermöglicht - demonstriert das Unternehmen, wie nachhaltiges Produktdesign aussehen kann. Mit Hilfe von Simulationstechniken wurde die Form eines Standard-Einwegtrokars aus Kunststoff verschlankt und auf reine Funktionalität reduziert, was zur Einsparung von 32 Prozent Material führte. Aufgrund des optimierten Designs besteht das Instrument jetzt nur noch aus acht Bauteilen statt aus zwölf, sodass weniger Spritzgussformen und Montageschritte benötigt werden. Die einzelnen Komponenten sind nicht mehr verklebt, sondern mit Schnappverschlüssen verbunden und lassen sich so einfach trennen und besser recyceln. Des Weiteren werden statt fünf erdölbasierter Kunststoffe nur das umweltfreundlichere PP und biobasiertes Polylactid (PLA) sowie Silikone für die Dichtungen eingesetzt. Das Material ist zudem auf allen Teilen eindeutig gekennzeichnet.
Aufgrund dieser Veränderungen reduzierte sich das Treibhausgaspotenzial des Trokars gegenüber Standardprodukten um 51 Prozent. Die um zehn Prozent höheren Kosten für das Rohmaterial werden durch einfachere Prozessschritte, weniger Materialeinsatz und weniger Werkzeuge ausgeglichen. Da jährlich mehr als 13 Mio. laparoskopische Eingriffe mit oftmals zwei oder mehr Trokaren durchgeführt werden, ist ein großer Effekt möglich: Eine Mio. nachhaltige Instrumente können 50 t CO2-Aquivalente einsparen. Unjaev betont: „Wir haben gezeigt, dass auch ohne Verwendung von Rezyklaten Medizinprodukte nachhaltiger werden können.“
Bei der Materialauswahl des Trokars arbeitete Röchling eng mit der BIOVOX GmbH aus Darmstadt zusammen. Das 2021 gegründete Unternehmen hat sich auf die Entwicklung neuer Biokunststoffe und ihren Einsatz in nachhaltigen Medizinprodukten spezialisiert. Das angeschlossene Netzwerk BIOVOXConnect bildet seit Mai 2023 gemeinsam mit der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH und dem Forum MedTech Pharma e.V aus Bayern die „Allianz für nachhaltige Medizintechnik“. Denn Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Qualität und Sicherheit der medizinischen Versorgung lässt sich nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Akteure einschließlich der Gesetzgeber erreichen.