Optimierte Peptide gegen Infektionen & Krebs
Neue Biowirkstoffe aus der Schatztruhe Peptidom
Peptide rücken verstärkt in den wissenschaftlichen Fokus für Diagnostik und Therapie. Der menschliche Körper ist voll von diesen Proteinstückchen, aber nur ein Bruchteil ist charakterisiert. Hier schlummert ein enormes Potenzial, neue Biowirkstoffe zu entdecken, die im Kampf gegen Bakterien, Viren und Krebs helfen können. Ein Sonderforschungsbereich am Uniklinikum Ulm ist den vielversprechenden Bruchstücken auf der Spur.
Sie sind oft nur wenige Aminosäuren lang, kleiner als Proteine, stammen aber nicht selten von ihnen ab. Bei der Spaltung von Proteinen können Peptide entstehen, die vielerlei physiologische Funktionen im Organismus erfüllen. Etliche existieren aber auch unabhängig von ihren großen Geschwistern als Botenstoffe, Hormone und Regulatoren. Die Gesamtheit aller Peptide in einem Körper, das Peptidom, wird nun schon in der 2. Phase eines Großvorhabens der Universität und Uniklinik Ulm im Rahmen des Sonderforschungsbereich SFB 1279: „Nutzung des menschlichen Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs-Therapeutika“ genau unter die Lupe genommen.
Gemeinsam mit Kollegen fahndet der Leiter des Instituts für Virologie an der Uniklinik Ulm Prof. Dr. Frank Kirchhoff bereits seit vielen Jahren nach bioaktiven Molekülen, die interessant für therapeutische Entwicklungen sein könnten. „Man geht davon aus, dass im menschlichen Körper bis zu 100.000 unterschiedliche Eiweiße gebildet und durch etwa 500 verschiedene Proteasen kleingeschnitten werden können“, sagt der Virologe. „Das Peptidom hat somit eine fast unendliche Komplexität, was die Zahl der Verbindungen angeht.“ Einige dieser Peptide zeigen interessante Aktivitäten, und die etwa 30 kooperierenden Projektleiter aus Virologie, Krebsforschung, Mikrobiologie, Biochemie, Physik und Pharmakologie fokussieren insbesondere auf Verbindungen, die helfen könnten, Infektionserkrankungen oder Krebs besser zu behandeln oder zu verhindern.
Attraktive Moleküle aus Körperflüssigkeiten
Ein Ziel ist die Entwicklung neuer peptidbasierter Verfahren und Therapeutika, die nebenwirkungsärmer sind als bisherige Medikamente. Da körpereigene Peptide weiterentwickelt werden, ist das Risiko für Nebenwirkungen reduziert. Peptide können recycelt werden und spielen eine wichtige Rolle bei der Immunantwort. Manche von ihnen zeigen antibiotische und antivirale Wirkung, wobei sie im Gegensatz zu einigen Antibiotika sogar einen bakteriziden und nicht nur bakteriostatischen Effekt haben. „Anscheinend erfolgt der Abbau vieler Proteine zu Peptiden nicht ganz zufällig“, meint Kirchhoff. „Gerade bei Immunreaktionen werden Vorläufermoleküle so gespalten, dass Verbindungen entstehen, die uns helfen, Krankheitserreger abzuwehren.“ Einige sind als Entzündungshemmer bekannt, andere stimulieren die Immunantwort. Und mitunter stoßen die Wissenschaftler auch auf Peptide, die das Überleben und die Ausbreitung von Krebszellen regulieren.
Im Rahmen des SFB werden Peptidbanken aus Körperflüssigkeiten erstellt, um beispielsweise aus Blutplasma, Muttermilch, Speichel und Sperma körpereigene Faktoren zu isolieren, die einen Benefit bei bestimmten Erkrankungen haben. „Wir wollen sozusagen die „Gold-Nuggets“ aus dem Peptidom picken, die am stärksten ein Virus, ein Bakterium oder die Ausbreitung von Krebszellen hemmen“, erklärt der Virologe.
Peptide als Hoffnungsträger
Verglichen mit niedermolekularen Verbindungen haben Peptide einige Vorteile, die sie als gute Kandidaten für Therapeutika auszeichnen. Oft binden sie affiner und selektiver an ihre Zielstrukturen und zeigen eine größere Wirksamkeit. Zur strukturellen Vielfalt tragen Peptide viele funktionelle Gruppen, die chemisch verändert werden können, um ihre natürlichen Eigenschaften noch zu verbessern.
Die Optimierung der gefundenen Moleküle ist ein weiteres Ziel des Ulmer Forschungsvorhabens. „Optimierte Peptide werden meist gut toleriert, weil sie den körpereigenen Strukturen immer noch sehr ähnlich sind“, sagt Kirchhoff. „Zudem sind sie oft so klein, dass gegen sie keine Antikörper gemacht werden.“ Da jedoch ein Großteil unserer Nahrung ebenfalls aus Proteinen besteht, werden viele Peptide im Körper schnell proteolytisch abgebaut und ausgeschieden. Der Wirkort wird dann nicht oder nur in geringer Konzentration erreicht. Weiterhin können peptidbasierte Arzneimittel aufgrund ihrer Größe und geringen Stabilität meist nicht oral verabreicht werden. Zudem müssen Therapeutika oft Membranen im Organismus überwinden, was vielen Peptiden nicht gelingt. Mehrere Projekte im SFB 1279 haben somit das Ziel, körpereigene Peptide zu stabilisieren und gezielt zu ihrem Wirkort zu transportieren.
Geeignete Kandidaten können Therapielücken schließen
Eine wichtige Gruppe von Membranproteinen beim Menschen sind sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs). Diese werden häufig von Peptiden angesteuert und sind Angriffspunkt für etwa 40 Prozent aller Medikamente. GPCRs spielen eine wichtige Rolle bei Entzündungsprozessen und sind auf vielen Krebszellen überexprimiert. Da viele Krebstherapeutika wie etwa die Chemotherapie recht unspezifisch wirken und so hohe Nebenwirkungen verursachen, ist es besonders interessant, Krebszellen gezielter zu adressieren. Vielversprechende Einzelprojekte des SFB zielen darauf ab, Peptid-Wirkstoff-Kombinate zu entwickeln, welche Rezeptoren selektiv binden, die in Tumoren überexprimiert sind. Sowohl für die schnellere Diagnostik von Krebs als auch für seine Therapie birgt dieser Ansatz enormes Potenzial.
Die Chemokinrezeptoren CCR5 und CXCR4 sind auch essenzielle Kofaktoren bei der HIV-Infektion. Zusammen mit Prof. Dr. Jan Münch und anderen Kollegen nutzte Kirchhoff deshalb HI-Viren dazu, neue Liganden dieser GPCRs zu entdecken. Dabei wurden sie fündig und entdeckten Peptide, die an CXCR4 oder CCR5 binden und den Eintritt des AIDS-Virus in die Zielzelle verhindern. „Die Verbindung zu Krebs ergab sich dadurch, dass die Rezeptoren, die HIV für den Eintritt in die Zelle nutzt, auch bei Immunreaktionen und bei Krebs eine wesentliche Rolle spielen“, meint Kirchhoff. Die Mehrzahl aller Tumore ist CXCR4-positiv. Dieser Rezeptor ist beispielsweise am Wachstum und an der metastatischen Streuung von Tumoren beteiligt. Aus der Peptidbank isolierten Forscher des SFB mit EPI-X4 (Endogener Peptid-Inhibitor von CXCR4) einen natürlichen Antagonisten von CXCR4, der aus Spaltung des humanen Serumalbumins entsteht und den Rezeptor quasi abschaltet. Optimierte Derivate von EPI-X4 zeigen chancenreiche Effekte gegen die Ausbreitung von Krebszellen und entzündliche Prozesse in präklinischen Untersuchungen. Andere Viren, so auch das Coronavirus, benutzen ähnliche Eintrittsmechanismen wie HIV, und manche Peptide könnten breite antivirale Aktivität gegen mehrere Arten von Viren zeigen.
Entwicklung neuer peptidbasierter Therapien
Körpereigene Peptide sind als Biowirkstoffe sehr reizvoll, da sie als Moleküle mit synthetisch optimierten Eigenschaften neue Indikationen erschließen können. In der 1. Phase des SFB sind bereits 30 bis 50 bioaktive Peptidverbindungen identifiziert worden. In der jetzt beginnenden Phase geht es unter anderem darum, diese Peptide biochemisch genau zu charakterisieren, sie zu synthetisieren und dabei letztlich pharmakologisch zu optimieren, um sie für etwaige Therapien nutzbar zu machen. Dafür müssen körpereigene Peptide meist stabiler oder besser verfügbar gemacht werden, um interessant für therapeutische oder diagnostische Anwendungen zu werden. Oft werden dazu zahlreiche Varianten eines ursprünglichen Peptids hergestellt. „So bekommt man einige bis mehrere hundert Varianten zum Austesten und sieht dann, welche Eigenschaften dieses Peptid besser machen“, erklärt der Forscher.
Um den Abbau durch Enzyme zu verhindern, lässt sich etwa statt der L-Aminosäure die stabilere spiegelverkehrte D-Variante einbauen. Ebenso kann man eine Lipidierung vornehmen, indem man Fettsäuren anhängt oder durch Methylierung die Amidgruppen schützen. Auch Nanotransport-Systeme aus Kieselsäurepartikeln werden getestet, die die Peptide schützen und gezielt ins Zielgewebe bringen sollen. „In einigen Fällen ist es bereits gelungen, die Aktivität der körpereigenen Peptide um den Faktor 100 bis 1.000 zu steigern,“ sagt Kirchhoff begeistert.