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Neuromedizinische künstliche Intelligenz verantwortungsvoll nutzen

Die neuesten Entwicklungen der Neurotechnologie sind derzeit Brain-Computer-Interfaces. Hierbei werden Hirnaktivitäten aufgezeichnet, mithilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz dekodiert und dann in Steuersignale für Roboter oder Computer umgewandelt. Was einerseits Hoffnung für schwer Gelähmte bedeutet, birgt andererseits Risiken. Denn auch Firmen wie Google oder Facebook sind an solchen Daten interessiert. An der Universität Freiburg werden im Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools beide Aspekte erforscht.

Mit der Gehirnaktivität Maschinen steuern zu können, ist die Idee hinter Gehirn-Computer-Schnittstellen – den Brain-Computer-Interfaces (BCI). Die Technologie ermöglicht es, ganz ohne Muskelkraft bestimmte Anwendungen auszuführen – beispielsweise per Computer mit der Umwelt zu kommunizieren oder einen Roboter zu steuern. Meist wird hierzu die elektrische Aktivität der Nervenzellen im Gehirn durch Elektroenzephalografie (EEG) am Schädel abgeleitet und aufgezeichnet. Anschließend analysiert ein Computer die Hirnströme mithilfe von computergestützten Modellen, seit neuestem auch mit fortgeschrittenen Methoden des maschinellen Lernens – künstlicher Intelligenz (KI) – und übersetzt sie in Steuersignale für die entsprechende Anwendung.

Roboter nur durch Gehirnaktivität steuern

Der Neurologe Dr. Philipp Kellmeyer beschäftigt sich mit zwei Aspekten der Nutzung von Hirndaten: Chancen und Risiken, die eine solche innovative Technologie mit sich bringt, und wie man sie möglichst verantwortungsvoll nutzen kann. © FRIAS

Mit der klinischen Anwendung solcher BCI beschäftigt sich auch der Neurologe Dr. Philipp Kellmeyer im Neuromedical AI Lab (Leiter: PD Dr. Tonio Ball) des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools und am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Universität Freiburg. „Das Cluster bietet uns eine außergewöhnlich innovationsfreundliche Umgebung, die deutschlandweit einzigartig ist“, berichtet Kellmeyer. „Hier können wir in Teams alles an einem einzigen Standort entwickeln und erforschen – von der Elektrodenvermessung über Tierstudien bis hin zur Translation in die Klinik; teilweise sogar in kleinen Neurotech-Start-ups. Beispielsweise waren wir zusammen mit anderen Wissenschaftlern aus dem Cluster 2017 ganz vorne mit dabei bei der Entwicklung der ersten BCI zur Robotersteuerung, die auf künstlicher Intelligenz – Deep Learning– basiert.“

Die Methode, mit der seit gut einem Jahr Roboter nur durch die Gehirnaktivität gesteuert werden können, funktioniere so gut, dass man sie auch noch auf andere Anwendungsfelder ausweiten will, so der Neurologe. Gruppenleiter Ball nennt diesen Ansatz „neuromedizinische künstliche Intelligenz“. Sie soll unter anderem auch für das generelle Verständnis von Gehirnfunktionen nutzbar gemacht werden.

Neues System ermöglicht Gelähmten zu kommunizieren

Derzeit arbeiten Ball und Kellmeyer im Team mit Neurowissenschaftlern, Klinikern und Ingenieuren des Exzellenzclusters an der Entwicklung eines BCI-gesteuerten Kommunikationssystems. Dabei erproben die Forscher auch neue Elektroden, die die Nervensignale direkt von der Oberfläche des Gehirns ableiten. Beim traditionellen EEG wird das Signal durch den Schädelknochen abgeschwächt und ist dann teilweise schwer zu interpretieren. Für den neuen Ansatz hat man in Freiburg Elektroden entwickelt, die unter dem Schädelknochen implantiert direkt auf die Hirnhäute gelegt werden und dort ohne Dämpfung die bioelektrische Aktivität des Gehirns aufzeichnen können.

Bei einer BCI wird die Gehirnaktivität per EEG aufgezeichnet, mit Methoden der künstlichen Intelligenz analysiert und in Steuerungssignale für Maschinen umgewandelt. © Universität Freiburg

Ein weiterer Fokus der Studie ist die Analyse der Messdaten. „Hier sind uns Methoden der künstlichen Intelligenz bei der Dekodierung der umfangreichen Daten aus den Aufzeichnungen der Hirnaktivität extrem hilfreich“, sagt der Wissenschaftler. „Denn daraus ergibt sich der Algorithmus, der als Resultat den gewünschten Steuervorgang ausführt. Und es wäre ein riesiger Innovationssprung, wenn wir damit den Patienten ermöglichen könnten zu kommunizieren.“ Das neue System, mit dem Gelähmte Buchstaben generieren können, soll rein auf der intuitiven Änderung der Hirnaktivität basieren. Aus jeder Anwendung lernt der Algorithmus neu und ist in der Lage, sich individuell an den Benutzer anzupassen.

Wann es so weit sein wird, dass Patienten dieses System nutzen können, hänge auch von der Innovationsdynamik ab, meint Kellmeyer: „Wenn gezeigt wird, dass das Prinzip funktioniert, dann entsteht vielleicht ein Markt, an dem auch große Firmen interessiert sind. Die Unterstützung für schwer behinderte Patienten wird aber sehr wahrscheinlich zunächst nur ein Nischenmarkt für kleinere Firmen bleiben.“ Plan ist es, die Pilotstudie für dieses völlig neue medizinische Verfahren noch in diesem Jahr zu starten.

Ethische Aspekte im Umgang mit Hirndaten

Abgesehen von diesem patientenorientierten Bereich, beschäftigt sich Kellmeyer auch noch mit ethischen Aspekten, die die Anwendung von fortgeschrittenen KI-Methoden auf Gehirndaten mit sich bringt. „Grundsätzlich gilt das ja für alle Bereiche der Medizin mit großen Bild- und Datenmengen. Hier ist es natürlich wünschenswert, KI auf möglichst breiter Basis zu nutzen. Gleichzeitig wirft das aber auch viele Fragen auf“, erklärt er. „Dies beginnt mit praktischen Dingen wie beispielsweise der Umstrukturierung und Vernetzung von Klinikdaten. Denn man braucht ja Daten von ganz vielen Patienten, um darin Muster erkennen zu können – und dann eben auch den entsprechenden Datenschutz. Und endet damit, dass wir uns auch ganz grundsätzlich mit normativen Aspekten beschäftigen müssen, die die Interaktion von Mensch mit intelligenten Systemen mit sich bringt.“

An diesen ganz grundsätzlichen Herausforderungen, wie mit solchen Hirndaten umgegangen werden muss, arbeitet Kellmeyer mit Kollegen aus Informatik, Philosophie und den Rechtswissenschaften am FRIAS im Forschungsschwerpunkt „Verantwortliche Künstliche Intelligenz“. Bereits 2017 hatte der Freiburger Neurologe gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern eine Liste ethischer Prioritäten erarbeitet und veröffentlicht, die sich aus der Nutzung von KI in der Neurotechnologie ergeben.*

In einem Forschungsschwerpunkt beschäftigen sich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Universität Freiburg gemeinsam mit dem ethischen Umgang mit künstlicher Intelligenz. © FRIAS

Der europäische Weg: Einsatz von KI abwägen

„Womit wir uns beschäftigen, sind hauptsächlich zwei Bereiche“, berichtet Kellmeyer. „Erstens das Transparenz- und Verantwortlichkeitsproblem der Algorithmen. Denn man kann ja nicht voraussagen, wie sich ein System in der Zukunft verhält, weil es ständig dazulernt und sich daraufhin erneuert und verändert. Zweitens könnte es grundsätzlich Schwierigkeiten mit der Interpretierbarkeit geben, weil wir bis jetzt noch gar keine so großen Datenmengen verarbeiten konnten. Beispielsweise hat eine MRT-Aufnahme über 5.000 Grauschattierungen, die aber bisher auf unter hundert heruntergerechnet werden, weil dies für den menschlichen Wahrnehmungsapparat sonst gar nicht visuell auflösbar ist. Ein Algorithmus würde aber davon profitieren und vielleicht zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Andererseits müssten wir ihm dann aber blind vertrauen, und das fällt im Moment noch schwer.“

So wollen Kellmeyer und Kollegen im Laufe dieses Jahres eine Alternative zur „disruptiven KI“ erarbeiten, wie der Wissenschaftler nennt, was im amerikanischen Silicon Valley praktiziert wird, oder der „dystopischen KI“, die mitunter in China zur Überwachung der Bevölkerung angewandt wird: „ Wir streben einen europäischen, dritten Weg an. Eine verantwortliche KI, die für uns bedeutet, dass man Systeme nur dann einsetzen sollte, wenn man sie auch versteht.“

Ein weitreichendes Problem sei es, dass sich diese Dinge der politischen Steuerung weitgehend entziehen, meint er: „Daher muss man jetzt dringend ein Problembewusstsein schaffen und den öffentlichen Diskurs anregen, damit man eine so mächtige Technologie auch so nutzen kann, dass man die Vorteile genießt. Mit der Ökologiebewegung war es ja ähnlich; das hat Jahrzehnte gedauert, bis ein gewisses Umweltbewusstsein in der Bevölkerung angekommen ist. Und im Zusammenhang mit KI geht es auch ganz viel um individuelle Verantwortung für den Umgang mit den eigenen Daten. Denn Facebook Google und Co. haben ein ganz großes Interesse an Daten aus der Hirnaktivität ihrer Nutzer – verbraucherorientierte Neurotechnologie nennen wir das.

Literatur

* Yuste, R. et al. (2017): Four ethical priorities for neurotechnologies and AI. Nature News 551 (7679) 159: https://www.nature.com/news/four-ethical-priorities-for-neurotechnologies-and-ai-1.22960; DOI: 10.1038/551159a

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/neuromedizinische-kuenstliche-intelligenz-verantwortungsvoll-nutzen