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Atriva Therapeutics

Pionier eines COVID-19-Medikaments in Phase II – mit doppelter Schlagkraft

Die effektive Behandlung schwer an COVID-19 erkrankter Menschen ist großes Ziel in der Corona-Pandemie. Gleich zweifach kann hier der Wirkstoff ATR-002 unterstützen, der sich gegen RNA-Viren wie Influenzavirus und SARS-CoV-2 richtet: Er hemmt die Virusvermehrung und lenkt zudem in der Immunantwort entscheidend ein. Damit nicht genug, denn der von Atriva Therapeutics entwickelte Kandidat ist aufgrund seines derzeit einzigartigen zellulären Wirkmechanismus von Virusmutationen und -resistenzen unabhängig.

Die meisten bisher zugelassenen Medikamente gegen RNA-Viren richten sich gegen Virusbestandteile. Mit einem völlig neuen Wirkprinzip ist das Tübinger Start-up Atriva Therapeutics bereits im Juli in die klinische Phase II gestartet. Statt das Virus selbst, hat ihr Wirkstoffkandidat ATR-002 menschliche Wirtszellen im Visier. Der Vorteil dieses Host-Targeting-Angriffsziels: Es ist unabhängig davon, ob Viren mutieren und resistent werden. ATR-002 blockiert in befallenen menschlichen Zellen, wie etwa Lungenzellen, einen Signalweg, den RNA-Viren zur Vermehrung benötigen und in den Körperzellen anschalten. Die Weiterverbreitung der Viren wird so gestoppt.

Mit Seed und Highspeed in Phase II

Porträtaufnahme von Professor Platz, der Mitgründer und CSO der Atriva Therapeutics GmbH
Prof. Dr. Oliver Planz ist Mitgründer und Chief Scientfic Officer der Atriva Therapeutics GmbH. © Atriva Therapeutics GmbH

Wie ist es möglich, dass ein solches Medikament derart schnell entwickelt wurde und sich seit Juli bereits in klinischer Phase II befindet? Atriva nutzt Wirkstoffe, die sie bereits in klinischer Prüfung hatten. Die universitäre Ausgründung um Prof. Dr. Oliver Planz, Universität Tübingen, Prof. Dr. Stephan Ludwig, Universität Münster und Prof. Dr. Stephan Pleschka, Universität Gießen, beschäftigt sich seit 2015 mit der Entwicklung von Wirkstoffen gegen Influenzaviren. „Bereits im Februar dieses Jahres vermuteten wir, dass sich SARS-CoV-2 als schwere Pandemie ausbreiten wird. Wir haben daher unsere mehrjährigen Vorarbeiten an unserem Influenza-Wirkstoff1,2 genutzt, der bereits die klinische Phase I durchlief“, erklärt Mitgründer und CEO Dr. Rainer Lichtenberger den Vorsprung. Fast schon ein Quantensprung, wenn man bedenkt, wie viel Zeit die Medikamentenentwicklung sonst in Anspruch nimmt.

„So katastrophal die aktuelle Coronapandemie ist, sie zeigt, wie wichtig es ist, neue Ideen zur Bekämpfung von viralen Atemwegserkrankungen frühzeitig zu unterstützen. Vor allem alternative Therapieansätze, die nicht im Fokus der Pharmaindustrie und Venture-Capital-Firmen stehen.“ Dr. Lichtenberger kennt den steinigen Weg – und die Versäumnisse. „Mit den Jahren ist es immer schwieriger geworden, an Fördergelder für Anschlussfinanzierungen zu kommen. Das hat die Entwicklungsgeschwindigkeit erheblich beeinflusst“. Dabei ist die Gefahr durch Coronaviren bei gleichzeitig fehlenden Medikamenten seit der SARS-Epidemie im Jahr 2003 bekannt. Um solchen Katastrophen auch in Zukunft entgegenzutreten, müssten Bedrohungen durch Virusinfektionen ernst genommen werden. „Wir begrüßen es, dass sich das Forschungsministerium dafür einsetzt, beim nun geplanten Beteilungsfonds für Zukunftstechnologien neben den Bereichen Digitalisierung und Klimatechnologie auch die Gesundheitsvorsorge aufzulegen.“

Wichtig für Atriva sind Anschubfinanzierer, zu denen unter anderen der High-Tech Gründerfonds (HTGF) mit Investoren wie dem BMWi und der KfW zählt. Zusammen mit weiteren Life-Sciences-Investoren ermöglichen sie es, Atrivas Forschungsplattformen zur Entwicklung von Therapeutika gegen die Virusgrippe und andere gefährliche Atemwegserkrankungen voranzutreiben.

Gute Startposition des Kandidaten ATR-002

Leuchtfeuer in der Pipeline von Atriva ist der orale Wirkstoff ATR-002, der spezifisch zur Behandlung von Krankheiten durch RNA-Viren wie Influenza- oder Coronaviren entwickelt wurde. „Wir konnten in präklinischen Studien eine hohe Wirksamkeit gegen das Influenzavirus zeigen. Die Dosis-Eskalationsstudie ergab eine ausgezeichnete Sicherheit und Verträglichkeit“, erklärt Prof. Dr. Oliver Planz, Mitgründer und CSO von Atriva.

Nur dann, wenn ein Stoff alle vorgeschriebenen vorklinischen Versuche bestanden und sich in Tierversuchen als unbedenklich erwiesen hat, darf er an Menschen erprobt werden. Atriva kann so mit seinem Wirkstoff auch bei anderen Infektionen direkt in die klinische Phase eintreten. „Wir konnten bereits eine starke Wirksamkeit auch gegen RSV (Respiratorisches Syncytial-Virus) und Hantaviren nachweisen.“ Seit Juli geht es dem neuartigen Coronavirus an den Kragen: In einer multinationalen, doppelblinden klinischen Studie II wird die Wirksamkeit von ATR-002 an 200 Patienten mit mittelschwerer COVID-19 im Vergleich zu Placebo getestet. „Verglichen mit Influenza mit jährlich mehr als einer halben Million Todesfällen ist diese Zahl durch die Coronapandemie bereits jetzt überschritten“, erklärt Dr. Lichtenberger die Notwendigkeit eines schnell verfügbaren wirksamen Medikaments. Unterstrichen wird dies auch durch die Tatsache, dass weitere Pandemien auftreten können, wie jüngst auch Wissenschaftler anhand einer neuen Schweinegrippe-Form warnten.3

Kettenreaktion kurzzeitig gestoppt

Kulturschalen mit blau angefärbten Zellen, zu denen das neue Coronavirus (SARS CoV-2) gegeben wurde. Die mit dem Wirkstoff ATR-002 von Atriva Therapeutics behandelten Zellen (rechte Reihen) zeigen keine weißen Löcher im Zellrasen und somit keine Zellzerstörung.
Zu allen Kulturschalen mit einem dichten Rasen an blau angefärbten Zellen wurde SARS-CoV-2 gegeben. Die Schalen der linken und mittleren Reihe zeigen charakteristische weiße Löcher im Zellrasen. Dort hat das Virus die Zellen zerstört. Die Schalen der rechten Reihe, bei denen zusätzlich ATR-002 zugegeben wurde, zeigen keine weißen Flächen. Dort wurde die Zellzerstörung verhindert. © Helen Hoffmann, Atriva Therapeutics GmbH

Wo wirkt der Kandidat von Atriva ein? Mit ihrer Forschung zur Influenzavirus-Infektion landeten die Wissenschaftler um Mitgründer Prof. Dr. Stephan Ludwig im Juni einen Riesenerfolg: Sie konnten den kompletten Mechanismus eines Signalwegs darlegen, den Influenzaviren für ihre Vermehrung benötigen, und in der renommierten Fachzeitschrift PNAS veröffentlichen4. Und die Stecknadel für den Angriffspunkt ihres Wirkstoffkandidaten exakt setzen: „ATR-002 hemmt das Enzym MEK, eine wesentliche Komponente des sogenannten Raf/MEK/ERK Signalwegs“, so Prof. Dr. Planz.

Der zelluläre Raf/MEK/ERK-Signalweg besteht aus hintereinander geschalteten Enzymen. Die Enzyme (Kinasen) aktivieren sich in der Kaskade jeweils nacheinander durch Anhängen von Phosphatgruppen, Phosphorylierung genannt. Ein Enzym in dieser Kaskade ist MEK. Wird dieses durch ATR-002 gehemmt, können RNA-Viren die Kaskade nicht mehr für sich nutzen. In Folge wird die Virusvermehrung bzw. der Export aus der Zelle blockiert und die Viruslast im Infektionsgeschehen gesenkt. Ein riesiges Potenzial für eine Breitspektrum-Antivirustherapie: Da der Kandidat von Atriva die Phase-I-Studien bereits durchlaufen hat, können die Forscher diesen gegen jegliche RNA-Viren, die vom Raf/MEK/ERK-Signalweg abhängig sind, direkt in Phase II testen.

„Dabei bleibt mit unserem Wirkstoff ATR-002 der Signal-Mechanismus intakt. Er wird lediglich kurzzeitig blockiert, damit das Virus ihn nicht für seine Zwecke nutzen kann“, erklärt Prof. Dr. Planz. „Wir gehen davon aus, dass durch die kurze Behandlungszeit Nebenwirkungen nahezu ausgeschlossen sind.“

Darüber hinaus hat ATR-002 das Potenzial, eine virusinduzierte überschießende Zytokinreaktion zu vermeiden. Durch die MEK-Hemmung wird die Bildung von Zytokinen, wie bestimmte Tumornekrosefaktoren und Interleukine, unterdrückt und so die Entzündungsreaktion in der Lunge gemildert.

„Letztendlich unterstützen unsere Ergebnisse die Strategie, ATR-002 als Behandlung für viele virale Atemwegsinfektionen voranzutreiben, die von diesem Pfad abhängen,“ so Prof. Dr. Planz. Es ist daher geplant, die klinische Phase-II-Studie auch für Grippe im kommenden Winter zu starten.

Ob Grippe- oder COVID-19-Therapie – der Doppelnutzen des Wirkstoffs, der zudem von Virusresistenzen unabhängig und unkompliziert oral einnehmbar ist, klingt vielversprechend. Man darf gespannt sein, wie die Ergebnisse aus der aktuellen Phase II ausfallen.

Literatur:

1 Pleschka S et al.: Influenza virus propagation is impaired by inhibition of the Raf/MEK/ERK signalling cascade. Nat Cell Biol 2001;3(3):301-305 (doi.org/10.1038/35060098)

2 Planz O.: Development of cellular signaling pathway inhibitors as new antivirals against influenza. Antiviral Res 2013;98(3):457-68 (doi.org/10.1016/j.antiviral.2013.04.008)

3 Prevalent Eurasian avian-like H1N1 swine influenza virus with 2009 pandemic viral genes facilitating human infection. PNAS July 21, 2020 117 (29):17204-17210,(doi.org/10.1073/pnas.1921186117)

4 Ludwig S et al.: Dissecting the mechanism of signaling-triggered nuclear export of newly synthesized influenza virus ribonucleoprotein complexes .PNAS July 14, 2020 117 (28) 16557-16566 (doi.org/10.1073/pnas.2002828117)

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