Quantentechnologie in die Anwendung bringen
QSens: Zukunftscluster bringt Quantensensoren der Zukunft in die Medizin
Das BMBF-geförderte Zukunftscluster „QSens - Quantensensoren der Zukunft“ erforscht ultraempfindliche Sensoren, die in der Medizin völlig neue Möglichkeiten eröffnen könnten: von schnelleren Ergebnissen bei der Medikamentenforschung über präzisere Diagnostik bis hin zu effektiverer Reha. Beteiligt sind daran nicht nur die Universitäten Stuttgart und Ulm, sondern auch 17 Industriepartner, die die Forschungsergebnisse gleich in die Praxis überführen möchten.
Ohne Sensoren wäre die Medizin wohl aufgeschmissen. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Blutanalyse, bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) oder der Untersuchung von Hirnströmen. Doch was wäre noch alles möglich, wenn medizinische Geräte mit Sensoren ausgestattet wären, die um ein Vielfaches präziser sind als die heutigen? Die Antwort könnte bahnbrechend sein: Gedankengesteuerte Prothesen, die frühzeitige Erkennung von Krankheiten wie Krebs oder die schnellere Entwicklung neuer Medikamente.
All das und mehr sollen künftig die Quantensensoren leisten, die das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Zukunftscluster „QSens - Quantensensoren der Zukunft“ erforscht. Die neuesten Sensoren bestehen aus winzigen künstlichen Diamanten, in die spezielle Stickstoff-Fehlstellen (NV-Zentren) eingebaut sind. Dadurch messen sie Magnetfelder, elektrische Felder, Bewegung und Rotation weitaus präziser und sind weniger störanfällig als frühere Modelle. Für die Messtechnik könnten sie so bahnbrechend sein wie Quantencomputer in der IT: eine neue Generation, die Prozesse grundlegend verändert.
QSens bringt modernste Forschung in die praktische Anwendung
„QSens vereint zwei Universitäten, drei Forschungsinstitute und 17 Industriepartner mit einem klaren Ziel: Forschungsergebnisse gemeinsam auf den Markt zu bringen“, erklärt Prof. Dr. Jens Anders, Leiter des Instituts für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik an der Universität Stuttgart und Sprecher des Zukunftsclusters QSens. „Die Technologie soll das Physiklabor verlassen und reale Anwendungen finden.“ Beteiligt sind unter anderem die Universitäten Stuttgart und Ulm, das Institut für Mikroelektronik Stuttgart (IMS CHIPS) sowie namhafte Industriepartner wie Bosch, Ottobock und Boehringer Ingelheim.
QSens umfasst sechs Projekte aus unterschiedlichen Bereichen, von der Luft- und Raumfahrt bis hin zur Prozesstechnik. Zwei dieser Vorhaben konzentrieren sich auf medizinische Anwendungen. Zudem soll die Initiative eine Plattform schaffen, um Synergien zwischen den Partnern zu fördern. Ein weiteres Ziel ist es, kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) den Zugang zu Laboren zu erleichtern, in denen sie eigene Forschungsarbeiten zu Quantensensoren vorantreiben können. Ab der zweiten Umsetzungsphase, die im Oktober 2024 beginnt, konzentriert sich QSens mit insgesamt vier Projekten noch stärker auf biomedizinische Anwendungen.
Mit diesem Konzept hat der Verbund 2021 auch die hochrangig besetzte Jury des themenoffenen BMBF-Wettbewerbs Clusters4Future überzeugt. Unter 137 Einreichungen ging QSens als einer von sieben Siegern hervor. Damit hat sich das Zukunftscluster 15 Mio. Euro in der ersten Förderrunde über drei Jahre gesichert. Die zweite dreijährige Förderphase wurde im August 2024 bewilligt. 2027 kann das Cluster noch einmal um drei Jahre auf dann insgesamt neun Jahre Förderzeit verlängert werden.
Speziell im Bereich Medizin untersuchen zwei QSens-Projekte, wie Quantensensoren tiefere Einblicke in komplexe biologische Prozesse ermöglichen können: QHMI entwickelt Quantensensoren, die Hirnaktivität präzise messen können. Bei QMED geht es dagegen um medizinische Diagnostik, und darum, wie Quantensensoren zum Beispiel MRTs oder Blutuntersuchungen erheblich genauer machen.
QMED: Quanteneffekte für bessere Diagnosen
Quantensensoren sind in der Lage, selbst kleinste Moleküle präzise zu erfassen – ein Potenzial, das in der Medizin einen großen Unterschied ausmachen könnte. Die Pharmaindustrie könnte durch diese Technologie schneller nach neuen Wirkstoffen suchen oder die Qualität synthetisierter Moleküle verlässlich überprüfen. „Ich gehe davon aus, dass die Medikamentenforschung eines der ersten Anwendungsfelder für Quantensensoren sein wird“, sagt Anders. Der Forscher sieht jedoch auch breite Anwendungsmöglichkeiten bei der Analyse von Probenmaterial, besonders im Bereich der Personalisierten Medizin.
„Ein wichtiger Ansatz ist die Messung freier Radikale, die mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung stehen“, erklärt Anders. „Wenn man beispielsweise freie Radikale im Blut frühzeitig und zuverlässig detektieren kann, wäre das ein großer Fortschritt für die Krebsfrüherkennung.“ Eines der Unternehmen im Projekt QMED, die Freiburger Firma Noxygen, bietet bereits Tests zur Messung freier Radikale an.
Doch nicht nur die Analyse von Proben mit Quantensensoren könnte die Diagnostik künftig verbessern. Auch bildgebende Verfahren wie MRTs könnten dank dieser Technologie präziser werden. Das Ulmer Unternehmen NVision Imaging Technologies bringt voraussichtlich noch 2024 ein Gerät zur Verbesserung bestehender MRT-Systeme auf Basis von Quantentechnologie für die präklinische Anwendung auf den Markt. Auch dieses biete gerade in der Krebstherapie einen entscheidenden Vorteil, betont Anders: „In der Behandlung von Krebs zählt jede Woche. Oft dauert es lange, bis im MRT erkennbar ist, ob ein Tumor auf eine Therapie reagiert. Diese Zeit haben viele Patienten nicht. Das von NVision entwickelte Gerät ermöglicht chemisch aufgelöste Aufnahmen im MRT und so schneller zu beurteilen, ob eine Behandlung wirkt – und Alternativen früher zu testen.“
Am Projekt „QMED - Quantensensoren für die biomedizinische Diagnostik“ wirken neben den Universitäten Stuttgart und Ulm die Unternehmen Boehringer Ingelheim, Noxygen Science Transfer & Diagnostics, NVision Imaging Technologies und Rentschler Biopharma mit.
QHMI: Mit Quantensensoren zu gedankengesteuerten Prothesen
„Gedankenlesen“ ist in der Medizin bereits heute möglich. Hirnaktivität produziert elektrische und magnetische Signale, und diese lassen sich messen. Dieses Prinzip ermöglicht es unter anderem Menschen mit Bewegungseinschränkungen, Exoskelette per Gedanken zu steuern und so wieder mehr Mobilität zu erlangen. Derzeit gibt es dabei jedoch ein großes Hindernis: Die Hirnaktivität wird bei diesen Verfahren meist in Form elektrischer Signale mit einem Elektroenzephalografen (EEG) gemessen, doch die Daten sind entweder recht unzuverlässig, oder es ist eine riskante Hirn-OP nötig. Quantensensoren können zuverlässige Daten ohne eine solche OP aufnehmen. Sie messen die Hirnaktivität nämlich nicht in Form von elektrischen Signalen, sondern mittels der zugehörigen Magnetfelder und sind damit auch dann noch präzise, wenn der Sensor nur am Kopf anliegt. Das Implantat würde damit entfallen.
Hierdurch entstehen ganz neue Möglichkeiten, etwa in der Rehabilitation und der Feinmotorik von Prothesen. Im Rahmen von QHMI entwickelt z. B. Ottobock auf dieser Grundlage gedankengesteuerte Prothesen. „Ich denke, in sechs, sieben Jahren sind wir so weit, dass das alles nicht mehr nur Theorie ist, sondern es Prothesen gibt, die sich mit dieser Technologie intelligent steuern lassen“, meint Anders.
Beteiligt an „QHMI - Mensch-Maschine-Schnittstelle basierend auf Quantensensoren“ sind die Universität Stuttgart, die Hahn-Schickard-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Universitätsmedizin Charité sowie die Unternehmen Bosch, Q.ANT und Ottobock.
Zweite Phase startet in Kürze: Nun geht es in die praktische Umsetzung
Mit dem Abschluss der ersten Förderphase von QSens im Herbst 2024 richtet sich der Fokus der zweiten Phase stärker darauf, die entwickelten Technologien zur Marktreife zu bringen. Produkte mit Quantensensoren könnten in der praktischen Anwendung für viele Patientinnen und Patienten neue Chancen bieten. Doch derzeit gehe es oft noch darum, solche Produkte bezahlbar zu machen, sagt Anders: „Momentan sind Quantensensoren noch sehr teuer, und das lohnt sich für viele Anwendungen nicht.“ Im Laufe der weiteren Entwicklung werde sich der Preis jedoch weiter reduzieren und damit auch für die alltägliche Nutzung in Arztpraxen und vielleicht sogar irgendwann in der Heimanwendung relevant werden. Ein wichtiger Faktor, damit vielleicht schon in wenigen Jahren die Hightech-Produkte mit Quantensensoren möglichst vielen Patientinnen und Patienten das Leben erleichtern können.