Projekt NeuroQ
Quantensensoren für Exoskelette: Kann Quantenphysik Lähmungen bekämpfen?
Ist es möglich, dass sich gelähmte Patientinnen und Patienten nach Jahrzehnten plötzlich wieder bewegen können? Hochmoderne Quantensensoren in Exoskeletten sollen dieses Szenario Wirklichkeit werden lassen. Und die Technologie, die unter anderem das Fraunhofer IAF, die Berliner Charité und die Universität Stuttgart im BMBF-Leuchtturmprojekt NeuroQ entwickeln, kann vielleicht noch mehr: Sie soll nicht nur Bewegung unterstützen, sondern im Idealfall sogar dabei helfen, Lähmungen zu heilen.
Die Fotos aus dem Labor von Prof. Dr. Surjo Soekadar in der Berliner Charité haben schon etwas von Science-Fiction. Der Patient, der dort zu sehen ist, trägt am Arm eine mechanische Stütze, ein sogenanntes Exoskelett. Auf seinem Kopf befindet sich eine Kappe, von der zahlreiche Drähte ausgehen. Diese Kopfbedeckung gehört zu einem Elektroenzephalogramm (EEG), das dazu dient, seine Hirnströme zu erfassen. Die gemessenen Signale werden an das Exoskelett am Arm weitergeleitet, welches diese Informationen in Bewegungen umsetzt. Oder anders ausgedrückt: Der Mann steuert das Exoskelett mit seinen Gedanken.
Science-Fiction? Keineswegs. „Neurale Exoskelette werden jetzt überall weltweit erforscht, und es gibt auch bereits eine Reihe von Patenten“, erklärt Soekadar. Als Leiter des Fachbereichs Translation und Neurotechnologie der Charité befasst er sich seit Jahren mit dem Thema neurale - also „gedankengesteuerte“ - Exoskelette und hat auch selbst mit seinem Team marktreife Systeme entwickelt. „Neurale Exoskelette erlauben es zum Beispiel, nach einem Schlaganfall im Alltag wieder beide Hände zu nutzen“, sagt Soekadar. Mehr noch: Schon heute gibt es Exoskelette, mit denen Querschnittsgelähmte wieder laufen können.
Derzeit ist noch Luft nach oben, vor allem bei der Sensortechnik
Um dies zu ermöglichen, lesen Sensoren über sogenannte Brain-Computer Interfaces, BCIs (Hirn-Computer-Schnittstellen) Hirnsignale aus. Denkt die Patientin oder der Patient an eine Bewegung, etwa den Arm zu heben, löst dies elektrische Signale im Gehirn aus. Nervenbahnen leiten diese weiter an den Arm, der bei gesunden Menschen die Bewegung ausführt. Diese Signalwege funktionieren auch noch bei gelähmten Personen, nur kann der Körper sie nicht mehr umsetzen. Genau das übernimmt das neurale Exoskelett für ihn. Die Signale im Gehirn werden durch die Sensoren der Hirn-Computer-Schnittstelle gemessen, von einem Computer umgerechnet und vom Exoskelett in Bewegung umgesetzt.
So beeindruckend die bisherigen Fortschritte bereits sind, davon dass Querschnittsgelähmte dank Exoskelett wieder spazieren gehen oder Gegenstände greifen können, ist die Technik noch ein Stück weit entfernt. Die aktuellen Modelle zum Laufen kann man sich eher als etwas grobschlächtige und schwere Roboteranzüge oder -stützen vorstellen. Exoskelette für Arme und Hände können bisher grundlegende Bewegungen ausführen, jedoch keine Feinmotorik wie das Greifen einer Tasse. Außerdem funktionieren viele nur unter Laborbedingungen, da die bisherigen Sensoren, die die Hirnaktivität auslesen, äußerst störanfällig sind. Und die größte Hürde: Für Hirn-Computer-Schnittstellen, mit denen man komplexe Bewegungen steuern kann, ist derzeit meist eine riskante OP nötig, bei der Sensoren in den Kopf implantiert werden.
Quantensensoren machen OP überflüssig
Dies soll sich jetzt ändern. Im Projekt NeuroQ haben sich gleich mehrere führende deutsche Forschungsinstitutionen zusammengetan, um neue Sensoren zu entwickeln, die die bisherigen Probleme der neuralen Exoskelette lösen könnten. Beteiligt sind unter anderem das Fraunhofer IAF in Freiburg, die Berliner Charité, die Universität Stuttgart sowie verschiedene Unternehmen.
Die sogenannten Quantensensoren, die während der fünfjährigen Laufzeit des Projekts entstehen, sollen so empfindlich sein, dass sie Hirnaktivität auch dann noch interpretieren können, wenn sie nur auf dem Kopf aufliegen, ganz ohne OP. Die Sensoren könnten beispielsweise in ein Stirnband integriert werden, das sich nach Bedarf auf- und absetzen ließe.
Die Übertragung der Signale aus dem Gehirn soll außerdem in Zukunft so präzise funktionieren, dass selbst feinste Motorik wie das Greifen von kleinen Gegenständen möglich ist und auch außerhalb des Labors funktioniert. Und vielleicht können sie sogar noch mehr: Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die Technik dabei helfen kann, schwere und chronische Lähmungen zu heilen.
„Die Quantensensorik wird, denke ich, in den nächsten zehn bis 20 Jahren einen großen Einfluss auf die Industrie und in der Medizintechnik haben, von Messtechnik bis hin zu bildgebenden Verfahren“, sagt Dr. Jan Jeske, Gruppenleiter Quantenmagnetometrie am Fraunhofer IAF. Gerade bei Hirn-Computer-Schnittstellen hätten Quantensensoren enorme Vorteile, meint Jeske. Denn Hirnaktivität sendet sowohl elektrische als auch magnetische Felder aus. Bisherige Sensoren fokussieren sich meist auf die elektrischen Signale, die Quantensensoren in NeuroQ dagegen auf Magnetfelder. „Die Magnetfelder werden durch den Schädelknochen im Gegensatz zu elektrischen Signalen nicht abgeschwächt und haben dadurch das Potenzial, sehr viel deutlicher zu werden als alles, was man mit den bisherigen elektrischen Sensoren messen kann“, erklärt der Forscher. Sprich: Eine OP ist nicht mehr nötig, da Quantensensoren genauer messen als EEGs.
Wie Quantensensoren funktionieren
Die Quantensensoren in NeuroQ nutzen künstliche Diamanten, Laser und Radiowellen für die Messung des Magnetfeldes. Im Detail funktioniert das folgendermaßen: Die künstlich hergestellten Diamanten sind mit speziellen Stickstoff-Fehlstellen (NV-Zentren) versehen. Diese NV-Zentren verhalten sich wie winzige Magnete und reagieren empfindlich auf Magnetfelder in ihrer Umgebung. Um diese zu messen, werden ein grüner Laser sowie Radiowellen auf den Diamanten gerichtet, wodurch die NV-Zentren angeregt werden. Diese absorbieren das grüne Laserlicht und emittieren rotes Licht. Die Intensität dieses roten Lichts ist abhängig vom auf die NV-Zentren wirkenden Magnetfeld.
Die Diamant-Quantensensoren können so auch die Magnetfelder messen, die das Gehirn beim Denken produziert - und das mit größerer Genauigkeit als derzeitige Sensorarten. Dadurch ließen sich Exoskelette viel präziser steuern als bisher, was erstmalig auch Feinmotorik möglich machen würde. Besonders wichtig für die Patientinnen und Patienten ist außerdem, dass Diamant-Quantensensoren selbst dann noch zuverlässig messen, wenn sie mit anderen Hintergrundfeldern konfrontiert werden. „Das bedeutet, es gibt die Perspektive, sie künftig nicht nur im abgeschirmten Labor einzusetzen“, erklärt Jeske.
Das Potenzial von Quantensensoren in der Medizin ist enorm
Dazu, wie sich die Quantensensoren in der Medizin einsetzen lassen, haben sowohl Jeske als auch Soekadar viele Ideen. Innerhalb der Laufzeit von NeuroQ wollen sie die Exoskelette verbessern und deren breiteren Einsatz ermöglichen. Was danach kommt? Da gäbe es zahlreiche Optionen. „Während Operationen könnte man mit Quantensensoren beispielsweise feinste Nerven erkennen, um zu vermeiden, dass sie aus Versehen durchtrennt werden“, sagt Jeske. „Es ließen sich auch bisherige MRT-Sensoren ersetzen und damit die Magnetresonanztomographie verbessern.“
Ein anderes spannendes Szenario könnte in der Rehabilitation von gelähmten Patientinnen und Patienten liegen. Hier ergibt sich aus dem Einsatz von neuralen Sensoren und Exoskeletten, die Muskeln aktivieren, eine Feedbackschleife mit weitreichenden Folgen. „Wir haben dieses Verfahren bei Schlaganfallpatienten eingesetzt und erst gedacht: na ja, man guckt erst mal, ob das überhaupt funktioniert“, sagt Soekadar. „Nach einem Monat haben wir festgestellt, dass die Patienten, die teilweise über Jahre und Jahrzehnte gelähmt waren, plötzlich ihre Hand wieder von allein bewegen konnten. Diese Technik könnte man in unterschiedlichsten Bereichen einsetzen, von Lähmungen bis hin zur Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Sucht- oder Zwangsstörungen.“
Langfristig wären dadurch teure Exoskelette für zuhause vielleicht gar nicht nötig, meint der Neurowissenschaftler: „Es geht darum, dass wir die Hirnschnittstelle irgendwann gar nicht mehr brauchen, sondern die Patienten sich durch die regelmäßige Anwendung der Hirn-Computer Schnittstelle wieder erholen. Damit würde diese Technologie für diese Menschen im weiteren Verlauf praktisch obsolet. Das ist für mich das optimale Szenario.“
Beteiligte Projektpartner:
- Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF Freiburg
- 3. Physikalisches Institut der Universität Stuttgart
- Arbeitsgruppe Klinische Neurotechnologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Twenty-One Semiconductor GmbH, Neckartenzlingen
- Sacher Lasertechnik GmbH, Marburg
- Advanced Quantum, Allmersbach im Tal
- W+R Schirmungstechnik GmbH, Rheinstetten
- neuroConn GmbH, Ilmenau
- NIRx Medizintechnik GmbH, Berlin