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Schneller zu Einzelzellen mit Miniatur-Mühle
Gewebezellen werden heute unter anderem für die medizinische Diagnostik, für Zelltherapien oder für das Tissue Engineering benötigt. Eine neuartige Gewebemühle löst die Zellen schonend und automatisiert aus dem Gewebe. Im November 2020 hat das jüngst gegründete Biotech-Unternehmen Fast Forward Discoveries GmbH (FFX) die ersten Geräte an die Kunden ausgeliefert.
Gewebe setzen sich mitunter aus verschiedenen Zelltypen zusammen. Diese sind oft ungleichmäßig über das Gewebe verteilt und dort vor allem im Inneren für eine Analyse manchmal schwer zugänglich. Auch bei Gewebeschnitten aus Biopsien hat man unter dem Mikroskop immer nur einen Teil der Probe im Blick.
Die Gewebezellen stattdessen zu vereinzeln, kann zum Beispiel in der Tumordiagnostik helfen, spezifisch nur die Tumorzellen herauszufischen und zu untersuchen – ohne störendes „Hintergrundrauschen“ durch normale Gewebezellen. Der Arzt kann daraufhin die Krebstherapie besser auf den Patienten und seinen Tumor abstimmen.
„Die Gewinnung von Einzelzellen aus Gewebeproben steht am Anfang von vielen verschiedenen Anwendungen – nicht nur in der Tumordiagnostik“, sagt der Geschäftsführer der Fast Forward Discoveries Felix Dirla. Das fängt bei Analysemethoden wie der Einzelzellsequenzierung und Durchflusszytometrie an und geht bis hin zur zukünftigen Reparatur oder dem Ersatz von geschädigtem Gewebe, etwa nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
Enzym-Helfer „knabbern“ auch Zellen an
Bisher zerkleinern Labormitarbeiter das Gewebe oft noch von Hand mit dem Skalpell und drücken die Gewebestücke anschließend durch ein feines Gitter oder behandeln sie mit Enzymen, um Einzelzellen herauszulösen. „Das manuelle Verfahren ist extrem zeitaufwendig und nur bedingt reproduzierbar, sodass der Anteil herausgelöster Zellen stark variiert“, sagt Stefan Scheuermann, der für die Anwendungs- und Geschäftsentwicklung des Unternehmens zuständig ist. Enzyme könnten zudem Oberflächenmarker auf den Zellen beschädigen, die für verschiedene Analysen wichtig sind.
Scheuermann hat zusammen mit Felix Dirla und Dr. Jens Langejürgen ein Gerät zur Marktreife gebracht, mit dem sich sowohl lebende Zellen aus frischen oder gefrorenen Gewebeproben als auch konservierte Zellen aus archivierten histologischen Schnitten isolieren lassen – und das ohne Hilfe von Enzymen. Im Juni 2020 haben die drei Unternehmer in Mannheim die Fast Forward Discoveries GmbH gegründet.
Mahlwerk mit Polycarbonat-Klingen ersetzt Enzyme
Das Gerät funktioniert wie eine Art Gewürzmühle. Kernstück ist das Mahlwerk, das in den Deckel eines handelsüblichen Zentrifugen-Röhrchens integriert ist. Es besteht aus zwei Mahlscheiben, aus denen Polycarbonat-Klingen wie Zähne herausragen. Zwischen diese „Zähne“ werden die Gewebestücke platziert. Ein Tischgerät, in dem bis zu vier Probenröhrchen gleichzeitig Platz finden, versetzt anschließend eine der Scheiben des Mahlwerks in Rotation. Dabei zerlegen die Klingen dem Unternehmen nach das Gewebe innerhalb von fünf Minuten, ohne die Zellen zu beschädigen.
Nach dem Mahlvorgang wandert das Probenröhrchen direkt in eine Zentrifuge. Anschließend sind die aufgereinigten Zellen am Boden des Röhrchens konzentriert, während ein eingebauter Filter Gewebe- und Zellreste zurückhält. „Durch den integrierten Filter sind weniger Pipettierschritte nötig, und das Risiko für eine Kontamination der Zellen ist geringer“, erklärt Scheuermann.
Zusammen mit Forschungspartnern habe man mit dem Gerät bereits Gewebe mit unterschiedlichen Eigenschaften verarbeitet, unter anderem Lymphknoten, Leber, Haut und Knorpel. „Kollagenhaltiges Gewebe wie Haut beispielsweise, aber auch Gehirngewebe, das wegen der Ausläufer seiner Neurone sehr empfindlich ist, waren bisher große Herausforderungen“, sagt der Biotechnologe.
Fest, weich, schleimig: Jedes Gewebe ist anders
Das Geräteprotokoll lässt sich daher an den Gewebetyp anpassen. So bewirkt eine Drehrichtungsänderung des Mahlwerks, dass die speziell geformten Klingen das Gewebe in einer Richtung eher zerschneiden und in der anderen eher zermahlen. Auch wie schnell sich das Mahlwerk dreht und wie lange, lässt sich über eine Software steuern.
Den Prototyp des Geräts haben Scheuermann und weitere Kollegen zuvor in der Mannheimer Projektgruppe des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA entwickelt und patentieren lassen. „Anfangs haben wir das Potenzial des Geräts nicht gesehen, weil die Zellisolation nur ein kleiner Baustein einer Prozesskette ist“, erinnert sich Scheuermann. Erst allmählich sei den Entwicklern bewusst geworden, dass es der entscheidende „Flaschenhals“ bei verschiedenen Anwendungen sei.
Auf einer Messe vor zwei Jahren wurde der Medizintechnik-Unternehmer Felix Dirla auf die Entwicklung der Forscher aufmerksam. „Was mich daran fasziniert hat, ist diese universelle Einsatzbarkeit, die einen erfolgreichen Unternehmensstart erleichtert“, sagt Dirla. Zusammen mit Scheuermann und dessen Chef am Fraunhofer-Institut, Dr. Jens Langejürgen, leitet er schließlich die Gründung des Start-ups ein. Unterstützt wurden sie dabei durch ein Fraunhofer-Förderprogramm für Ausgründungen.
Mit Kooperationen durch die Corona-Krise
Im November 2020 haben die ersten Geräte die Fertigungswerkstatt am zweiten Unternehmensstandort in Frankfurt am Main Richtung Kunde verlassen. Dirla gesteht jedoch, dass wegen der Corona-Krise im Frühjahr der Verkauf verzögert angelaufen sei: „Das Interesse war da, aber die Labore haben weniger Gewebeproben aus ärztlichen Routineuntersuchungen bekommen oder den Betrieb komplett eingestellt“. Daher hätten potenzielle Käufer bis in den Sommer hinein keine Möglichkeit gehabt, das Gerät auszuprobieren. „Bei einer neuen Technologie kauft man nicht unbedingt die Katze im Sack“, ergänzt Dirla.
Dennoch blickt Dirla zuversichtlich in die Zukunft: „Wir haben in den vergangenen Wochen viel positives Feedback bekommen. Die Corona-Krise hat uns zwar gebremst, aber nicht wirklich Steine in den Weg gelegt.“ Künftig wollen die Gründer auch mit Biotechnologiefirmen kooperieren, die Produkte für Einzelzell-Anwendungen herstellen. Erste Gespräche laufen bereits, so Dirla. Das Ziel: Jeder Schritt vom Gewebeaufschluss bis zur Anwendung soll standardisiert, wenn nicht sogar automatisiert, ablaufen. Die schonende Zellvereinzelung als Voraussetzung vieler Anwendungen könnte dabei neue „Entdeckungen enorm beschleunigen“. Diese Hoffnung zumindest steckt hinter dem Unternehmensnamen: „Fast Forward Discoveries“.
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