Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB
Schnelltest für Pyrogene: Vorbild ist das menschliche Immunsystem
Jedes Jahr sterben weltweit etwa 11 Millionen Menschen an den Folgen einer Sepsis („Blutvergiftung“). Ursache sind Mikroorganismen oder deren Rückstände, die in den Blutkreislauf gelangen und in geringsten Mengen Fieber auslösen. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB haben einen Test für diese sogenannten Pyrogene entwickelt. Der Test kommt ohne Labor und Tierversuche aus und soll bald marktreif sein.
Bakterien, Viren oder Pilze verraten sich patrouillierenden Zellen des angeborenen Immunsystems durch Bestandteile der bakteriellen Zellwände, charakteristische Strukturen ihrer Zuckermoleküle und Proteine oder durch ihr Erbgut. Rezeptoren von Immunzellen, aber auch von anderen Körperzellen, erkennen solche molekularen Muster von Mikroorganismen. Sie leiten daraufhin die Produktion von entzündungs- und fieberauslösenden Botenstoffen ein. „Das ist die erste Verteidigungslinie unseres Immunsystems“, erklärt Anke Burger-Kentischer, Leiterin des Innovationsfeldes Zell- und Gewebetechnologien am Stuttgarter Fraunhofer IGB.
Das Pyrogen-Nachweissystem, das ihre Forschergruppe entwickelt hat, nutzt eine Untergruppe ebendieser Immunrezeptoren. Sie erkennen das Endotoxin einer großen Gruppe sogenannter gramnegativer Bakterien. Dabei handelt es sich um Lipopolysaccharide (LPS) aus deren Zellwand. Der Test funktioniert ähnlich einem Schwangerschaftstest. Die Probenlösung wird zunächst auf ein Auftragsfenster des sogenannten Immusticks aufgebracht und gelangt über den Kapillarfluss zu einem Rezeptor-Bereich.
Enthält die Probe Bakterien-Endotoxin, wird dieses an den entsprechenden Immunrezeptor binden. Dabei verdrängt es ein schwächer an den Rezeptor gebundenes markiertes Molekül. Die freigesetzten Liganden wandern zusammen mit ebenfalls markierten Kontrollmolekülen weiter zum Ergebnisfenster, wo sie von jeweils einer Antikörper-Reihe eingefangen werden. Im Fenster werden in dem Fall zwei Testlinien sichtbar. Eine steht für das nachgewiesene Pyrogen in der Probe, die andere zeigt an, ob der Test grundsätzlich funktioniert hat und sollte immer erscheinen.
Test nach Baukasten-Prinzip
„Das Besondere daran ist, dass wir uns aus der Familie dieser Immunrezeptoren wie aus einem Baukasten bedienen können“, sagt Burger-Kentischer. Je nach eingesetzten Rezeptoren könnten mit dem Test auch die zweite große Gruppe der grampositiven Bakterien, Viren und Pilze nachgewiesen werden. Bisher werden Pyrogene entweder durch aufwendigere Labortests oder Tierversuche detektiert.
Ein herkömmlicher indirekter Pyrogen-Test nutzt menschliches Blut oder die darin enthaltenen Immunzellen. Dabei wird einige Zeit nach Zugabe der Prüfsubstanz die Menge der ausgeschütteten fieberauslösenden Botenstoffe im Labor gemessen. Ein anderes Verfahren verwendet das Blut von Pfeilschwanzkrebsen, das bei Kontakt mit Endotoxin verklumpt.
„Tierversuche oft nicht übertragbar“
Beim ältesten Nachweissystem wird Kaninchen die zu testende Lösung gespritzt und anschließend geprüft, ob sie Fieber bekommen. „Diese Tierversuche sind aber oft nicht auf den Menschen übertragbar, weil das Immunsystem der Tiere andere Ergebnisse liefert als das menschliche Immunsystem“, sagt die Molekularbiologin. Es liege daher nahe, für den Pyrogentest direkt die Rezeptoren des angeborenen menschlichen Immunsystems einzusetzen. „Das reduziert nicht nur Tierversuche, sondern ist auch biointelligent“, betont sie.
Nach dem Prinzip entwickelten die Forscher um Burger-Kentischer zunächst einen zellbasierten Pyrogen-Test bis zur Patentreife. Die Zellen haben die Forscher gentechnisch so verändert, dass sie menschliche Immunrezeptoren als Pyrogen-Detektoren präsentieren. Doch auch dafür brauchte es labortechnisches Wissen. „Meine Vision war ein Test, den jeder überall anwenden kann, weil es ein einfaches Ja-Nein-System ist“.
Pyrogentestung ist Pflicht
Mit dem Immustick könnte beispielsweise jeder Laie die Qualität des Trinkwassers oder von Badeseen überprüfen. Pharma-Unternehmen und Medizingeräte-Hersteller sind gesetzlich sogar dazu verpflichtet, nachzuweisen, dass ihre Produkte pyrogenfrei sind, um spätere Infektionen von Patienten zu vermeiden.
Der Pyrogen-Teststreifen „ImmuStick“ der Stuttgarter Forscher ist inzwischen ebenfalls patentiert. „Wir konnten zeigen, dass das Prinzip für Bakterien und ihre Rückstände in wässrigen Lösungen funktioniert“, sagt Burger-Kentischer. In den kommenden drei Jahren gehe es darum, die „beste, einfachste und sensitivste“ Variante ausfindig zu machen.
Zum Beispiel soll getestet werden, wie viele Rezeptoren für eine hohe Sensitivität nötig sind oder wie sich Immunrezeptoren kombinieren lassen, die für verschiedene Pyrogene spezifisch sind. Auch Alternativen zur Detektion über kompetitive Verdrängung wolle man ausprobieren, so Burger-Kentischer.
Mit Industriepartnern zur Marktreife
Dafür ist die Forschergruppe im Juli 2019 eine Kooperation mit drei Industriepartnern eingegangen. Sie bringen zusätzlich Erfahrung zur Fluoreszenzmarkierung sowie zu Aufbau und Vertrieb von Teststreifen mit. „Bevor man ein Produkt kommerziell vertreiben kann, muss es komplett ausgereift sein. Dafür braucht es Partner“, sagt Burger-Kentischer.
Langfristig will die Biologin mit dem Test nicht nur verhindern, dass Pyrogene in den Körper gelangen. Ihr Ziel ist es, auch Pyrogene, die bereits in der Blutbahn sind, aufzuspüren. So würde es bei Sepsis-Kranken meist lange dauern, bis der verursachende Keim gefunden ist, um spezifisch dagegen vorzugehen. Daher würden sie zunächst mit Breitbandantibiotika behandelt, die wegen steigender Antibiotikaresistenzen nicht immer wirken. „Ärzte könnten viel besser antibiotisch eingreifen und behandeln, wenn sie mit dem Schnelltest den Keim vorab eingrenzen könnten, etwa auf gramnegative Bakterien“, sagt Burger-Kentischer. Vielleicht ließe sich dadurch auch die Zahl der Sepsis-Toten reduzieren.