Projekt SMARTGAIT
Sichere und kosteneffiziente Analyse neurologischer Gangstörungen mit KI
Erkrankungen wie Schlaganfälle, Parkinson oder auch Multiple Sklerose beeinträchtigen häufig den Bewegungsapparat der Betroffenen, wodurch es zu Gangstörungen kommt. Für die erfolgreiche Bewertung und Therapie solcher Gangstörungen spielen Ganganalysen eine entscheidende Rolle. Doch sind bisherige Messverfahren kosten- und zeitintensiv. Im Förderprojekt SMARTGAIT wird deshalb ein innovatives KI-gestütztes System entwickelt, das in Zukunft aussagekräftige Ganganalysen mit Hilfe einfacher Smartphone-Videoaufnahmen zulassen soll.
In Rehazentren und bei der Physiotherapie werden zahlreiche Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen behandelt, die aufgrund ihres Befundes Probleme mit dem Bewegungsapparat entwickelt haben. Die daraus resultierenden Gangstörungen können den Alltag der Betroffenen in erheblichem Maße beeinträchtigen, weshalb gezielte therapeutische Gegenmaßnahmen eingeleitet werden müssen. Für eine wirksame Rehabilitation bedarf es jedoch zunächst einer Ganganalyse, um die betroffenen Knochen- und Muskelgruppen genau zu identifizieren. Bisher kommen hierfür kostspielige Messsysteme zum Einsatz, die häufig nur von speziell ausgebildetem Personal bedient werden können. Weiter ist eine Verkabelung der Patientinnen und Patienten mit speziellen Sensoren erforderlich, was das Messverfahren zudem sehr zeitintensiv macht. „Die bisherigen Messsysteme haben neben dem Zeit- und Kostenfaktor aber auch noch weitere Nachteile. Zum einen werden sie meist nur bei der Anamnese, nicht aber während des gesamten Therapieverlaufs zum Einsatz gebracht. Dadurch bleibt eine individuelle Bewertung des Therapieerfolgs aus. Zum anderen geben die bisherigen Messsysteme lediglich eine Momentaufnahme im Rehazentrum oder bei der Physiotherapie wieder, während eine Ganganalyse in Alltagssituationen damit nicht möglich ist“, erklärt Dr. Manuel Stein, Gründer und Geschäftsführer der Subsequent GmbH aus Konstanz. Er ist Initiator und Verbundkoordinator des im August 2022 gestarteten Förderprojekts SMARTGAIT.
Valide und kostengünstige Ganganalysen dank gebündeltem Know-how vom Bodensee
Ziel des Verbundvorhabens ist es, ein neues System zu entwickeln, das medizinisches Personal bei der Ganganalyse von Menschen mit neurologischen Erkrankungen unterstützen soll. Im Zentrum stehen dabei Daten aus einfachen Smartphone-Videoaufnahmen, die KI-basiert ausgewertet werden sollen, um interaktive Bewegungsanalysen zu visualisieren und dabei die relevanten Analyseparameter auszulesen. Dadurch soll eine schnelle und individuelle Bewertung von Gangstörungen ermöglicht werden, wodurch medizinische Fachkräfte Rehabilitationsverläufe einfacher miteinander vergleichen können. Durch die Kombination von innovativen Technologien will SMARTGAIT zeit- und kostenintensive Arbeitsschritte minimieren und erstmals valide Ganganalysen in der Breite zur Verfügung stellen. „In Zukunft sollen Patienten von dem unmittelbaren, objektiven Feedback profitieren, das SMARTGAIT ermöglicht. Weiter können Therapeuten gezielt Maßnahmen anpassen, und Ärzte können die Wirksamkeit dieser Maßnahmen dann genau überprüfen und bewerten“, so Stein über die Vorteile von SMARTGAIT.
Das Projekt hat eine Laufzeit von 24 Monaten und verfügt über ein Gesamtvolumen von 430.000 Euro, wovon 69 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. In dem Vorhaben arbeitet die Subsequent GmbH, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem 1. Preis als „Digitales Start-up des Jahres 2023“ ausgezeichnet wurde, eng mit der Universität Konstanz als Verbundpartner zusammen. Weiter sind die Kliniken Schmieder als assoziierter Partner in das Projekt eingebunden und bringen ihr Wissen als zentrales neurologisches Fach- und Rehabilitationskrankenhaus in der Vierländerregion Bodensee in das Projekt ein. Daneben ist auch das Lurija Institut für Rehabilitationswissenschaften und Gesundheitsforschung aus Allensbach als Unterauftragnehmer an dem Projekt beteiligt.
Markerlose Skeletterkennung ermöglicht effizientes Therapiemonitoring
„Die Idee zu SMARTGAIT kam im gemeinsamen Austausch zwischen den beteiligten Projektpartnern, insbesondere mit Prof. Dr. Markus Gruber von der Universität Konstanz, Prof. Dr. Joachim Liepert von den Kliniken Schmieder und mir selbst“, beschreibt Stein die Startphase des Projekts. „Die zugrunde liegende Fragestellung dabei war, wie innovative Skeletterkennungsverfahren, die die Subsequent GmbH bereits erfolgreich im Fußball- und Sportbereich einsetzt, auch in der klinischen Rehabilitation nutzbringend eingesetzt werden könnten. Der erste Austausch kam im Rahmen des Lurija-Forschungskolloquiums an den Kliniken Schmieder zustande, wo aus meiner Sicht die perfekten Partner für das Projekt zusammengefunden haben“, so Stein weiter.
Aufgabe der Subsequent GmbH ist es, innerhalb des Projekts präzise, echtzeitfähige Tracking-Systeme auf Basis markerloser Skeletterkennung sowie visuell-interaktive Bewegungsanalysen zu entwickeln, sodass eine komplexe Verkabelung der Patientinnen und Patienten bei der Ganganalyse in Zukunft nicht mehr nötig ist. Dieser Ansatz wird dann in Kooperation mit dem Institut für Trainings- und Bewegungswissenschaften des Fachbereichs Sportwissenschaften der Universität Konstanz um den Aspekt der biomechanischen und sensomotorischen Analyse des menschlichen Ganges erweitert. Anknüpfend daran führt das Lurija-Institut im Rahmen eines integrierten Forschungsansatzes eine Evaluierung durch, die aufzeigen soll, ob das innovative KI-basierte Messsystem auch im Alltag nutzbar ist. Dabei werden wichtige Parameter wie Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz der Anwendenden geprüft. In einem zweiten Schritt soll dann die Implementierung von SMARTGAIT in der stationären und poststationären neurologischen Rehabilitation der Kliniken Schmieder erfolgen, um aktiv zu einer Verbesserung von Gangscreenings und zu einem effizienten Therapiemonitoring beizutragen.
Neues KI-gestütztes Messverfahren kommt Patientinnen und Patienten sowie medizinischem Personal zugute
„Faszinierend am Projekt SMARTGAIT finde ich, an innovativen KI-Ansätzen zu arbeiten, mit denen wir die neurologische Rehabilitation schneller und einfacher machen wollen. Unser Ziel ist es, dass Gangmessungen nicht-invasiv und trotzdem möglichst genau durchgeführt werden können. Dabei soll es egal sein, wo der Patient sich gerade aufhält“, beschreibt Stein seine Motivation, das Projekt SMARTGAIT voranzubringen.
Bis zum Ende der Förderphase planen die Projektpartner die Erstellung eines finalen SMARTGAIT-Demonstrators sowie eine vollständige wissenschaftliche Prüfung der identifizierten Ganganalyseparameter. Weiter soll die Genauigkeit der mittels Smartphone erfassten 3D-Skelettdaten mit Hilfe einer groß angelegten Benutzendenstudie validiert werden, wofür verschiedene Endanwendendengruppen, wie zum Beispiel Patientinnen und Patienten, aber auch Ärztinnen und Ärzte und Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten einbezogen werden.
In Zukunft soll das neue Messverfahren des SMARTGAIT-Projekts sowohl im klinischen wie auch im häuslichen Umfeld eingesetzt werden können, um eine ganzheitliche Bewertung von Gangstörungen zu ermöglichen. Davon profitieren sowohl Behandelnde als auch die Betroffenen selbst.