zum Inhalt springen
Transkranielle Magnetstimulation (TMS)

sync2brain: Mit Magnetwellen gegen Depressionen

Wenn herkömmliche Therapien bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen versagen, kann die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) eine Alternative bieten. Dabei werden gezielt Hirnregionen durch Magnetwellen stimuliert. Das Tübinger Unternehmen sync2brain hat mit bossdevice ein Verfahren entwickelt, das diese Stimulation mit Hilfe von EEG-Messungen auf die individuellen Hirnströme der Patientinnen und Patienten abstimmt – und so die Wirksamkeit der TMS deutlich steigern könnte.

Portrait von Dr. Ramona Samba
Dr. Ramona Samba, Geschäftsführerin von sync2brain. © sync2brain/Shalynn Crawford

Bei Erkrankungen wie Depressionen gerät das Gehirn aus dem Gleichgewicht, und das betrifft nicht nur zentrale Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Auch die Aktivität in Hirnregionen wie dem präfrontalen Cortex und der Amygdala, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind, verändert sich. Negative Informationen werden übermäßig stark wahrgenommen und verarbeitet. Das verstärkt depressive Symptome und erschwert Betroffenen den Ausstieg aus dem Teufelskreis ohne externe Hilfe. Während in vielen Fällen Medikamente oder Psychotherapie wirksam sind, gibt es zunehmend auch andere nichtinvasive Alternativen, die ohne pharmazeutische Unterstützung auskommen.

Ein solches Verfahren ist die Transkranielle Magnetstimulation (TMS), bei der Magnetfelder gezielt bestimmte Hirnregionen stimulieren, um depressive Symptome zu lindern. „Wir halten die TMS für sehr vielversprechend, weil sie sich in Studien als sicher und effektiv erwiesen hat“, erklärt Dr. Ramona Samba, Geschäftsführerin des Tübinger Start-ups sync2brain. „Es gibt einen hohen Bedarf nach Behandlungen, aber noch immer oft begrenzte Therapieoptionen.“ sync2brain hat mit dem bossdevice ein System entwickelt, das die Magnetstimulation individueller und präziser gestalten soll: Die Stimulation wird dabei auf die spezifischen Hirnwellenmuster der Patientinnen und Patienten abgestimmt. Während TMS bisher oft standardisiert eingesetzt wurde, könnte dieser personalisierte Ansatz die Wirksamkeit deutlich erhöhen und eine bessere Behandlung von Depressionen sowie anderen neurologischen Erkrankungen ermöglichen.

Hirnstimulation gegen Depressionen: Altbekannt, aber neu erfunden

Dass die gezielte Stimulation des Gehirns bei psychischen Erkrankungen helfen kann, ist bereits seit den 1930ern bekannt. Frühe Verfahren nutzten dafür Strom und wurden seit den 1940er-Jahren in der Behandlung eingesetzt.1). Allerdings haftet der damaligen Elektroschocktherapie bis heute ein negatives Image an. Moderne Verfahren haben jedoch kaum noch etwas mit drastischen Darstellungen á la „Einer flog über das Kuckucksnest“ gemein. Heute stehen verschiedene nichtinvasive und schmerzlose Methoden der Hirnstimulation zur Verfügung, darunter die unter Narkose durchgeführte Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die Transkranielle Magnetstimulation (TMS). Sie kommen in der Regel dann zum Einsatz, wenn Gesprächstherapie oder Medikamente nicht wirken oder nicht in Frage kommen.

Lachende Person mit EEG auf dem Kopf liegt auf einer medizinischen Liege.
Bei der individualisierten TMS von sync2brain werden Hirnströme gemessen und die Magnetstimulation genau darauf abgestimmt. Hier zu sehen: Technisches Setup mit Gründer Dr. Christoph Zrenner, einem Mitarbeiter und dem bossdevice RESEARCH. © sync2brain/Shalynn Crawford

Unter den Verfahren der nichtinvasiven Hirnstimulation gilt die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) als eine der nebenwirkungsärmsten. Dabei werden bestimmte Bereiche des Gehirns gezielt durch Magnetfelder stimuliert – ohne den Einsatz von Strom. Eine Narkose ist nicht erforderlich, und Patientinnen und Patienten können unmittelbar nach der Behandlung ihren Alltag fortsetzen. Durchgeführt wird die Behandlung meist über einen Zeitraum von drei bis sechs Wochen täglich für etwa eine Stunde. Laut aktuellen Studien lässt sich eine gute antidepressive Wirkung nachweisen, und es treten nur milde Nebenwirkungen wie leichte Kopfschmerzen oder Unwohlsein auf, die üblicherweise schnell nachlassen. Im Gegensatz zur Elektrokonvulsionstherapie ist das Risiko von Krampfanfällen bei der TMS außerdem sehr gering.2) „Wir sehen die TMS als die derzeit vielversprechendste Alternative zu herkömmlichen Therapien bei Depressionen und neurologischen Erkrankungen“, erklärt Samba. „Deshalb haben wir uns genau darauf konzentriert.“

Derzeit laufen zahlreiche Studien zur Transkraniellen Magnetstimulation

Die Transkranielle Magnetstimulation zeigt vielversprechende Ergebnisse, doch es gibt auch noch einige offene Fragen. Das Verfahren wurde in den 1980er und 1990er Jahren entwickelt und 2008 erstmals in den USA zur Behandlung von Depressionen zugelassen.1) In Deutschland wird die TMS seit 2015 in der Nationalen Versorgungsleitlinie für Unipolare Depressionen empfohlen.2) Trotz dieser Fortschritte laufen noch viele Studien, die unter anderem untersuchen, ob es Langzeitnebenwirkungen gibt, und wie die Behandlung am effektivsten gestaltet werden kann.

„Es gibt verschiedene Ansätze, um die Effektivität der TMS weiter zu steigern“, erläutert Samba. „Einige Forschende arbeiten daran, gezielt bestimmte Hirnregionen anzusteuern. Unser Ansatz fokussiert sich jedoch darauf, die Stimulation zeitlich präzise auf die individuellen Hirnströme abzustimmen.“ Das von sync2brain entwickelte bossdevice kombiniert hierzu TMS mit der Messung der Hirnströme durch ein Elektroenzephalogramm (EEG). Bei der Behandlung tragen die Patientinnen und Patienten eine Kappe mit Elektroden, die die elektrischen Signale des Gehirns in Echtzeit erfassen. Eine spezielle Software wertet diese Daten aus und berechnet, wann der optimale Zeitpunkt für eine Magnetwelle ist. „Man kann sich die Hirnströme wie fluktuierende Wellen mit Hochs und Tiefs vorstellen“, erläutert Samba. „Wir müssen die Welle an einem Punkt treffen, an dem das Gehirn besonders empfänglich für die Stimulation ist, um die TMS deutlich effektiver zu machen.“

Großer Bedarf an Behandlungen für neuronale Erkrankungen

Dass sync2brain von einem Ärztepaar, dem Neurowissenschaftler Dr. Christoph Zrenner und der Psychiaterin Dr. Brigitte Zrenner gegründet wurde, verwundert angesichts der Lage in der psychiatrischen Praxis wenig. Der Bedarf an Behandlung ist enorm: Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe erkranken allein in Deutschland jährlich 5,3 Mio. Menschen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren an Depressionen – Kinder, Jugendliche und ältere Menschen über 80 sind dabei nicht einmal mitgerechnet.3)

Teamfoto mit mehreren Personen.
Dr. Ramona Samba mit einem Teil ihres Team von sync2brain. © sync2brain/Shalynn Crawford

Doch TMS könnte nicht nur bei Depressionen eine Rolle spielen. Studien zeigen, dass die Magnetstimulation auch bei Angststörungen, Zwangserkrankungen und chronischen Schmerzen für eine Linderung der Symptome sorgt. Aktuell prüfen Hersteller außerdem den Einsatz von TMS in der Rehabilitation nach Schlaganfällen.

sync2brain beteiligt sich derzeit an einer am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfarM) gemeldeten randomisierten kontrollierten Studie (RCT-Studie), um dies zu untersuchen, sowie weiteren fünf Klinischen Studien am Centre for Addiction and Mental Health (CAMH) in Toronto, die unter anderem die Wirksamkeit der individualisierten TMS im Vergleich zu herkömmlicher TMS-Therapie erforschen. Samba hofft, dass die TMS mit Neuerungen wie der stärkeren Individualisierung und der damit verbundenen höheren Effektivität in Zukunft als vollwertige Alternative zu herkömmlichen Therapieformen etabliert wird. „Derzeit ist unser bossdevice nur für die Forschung verfügbar“, sagt die Geschäftsführerin. „Aber für 2025 planen wir, es als zugelassenes Medizinprodukt auf den Markt zu bringen, damit es auch in Kliniken und Praxen eingesetzt werden kann.“

Literatur:

1) Shorter, E., Healy, D. (2007). Shock Therapy: A History of Electroconvulsive Treatment in Mental Illness. Rutgers University Press. http://www.jstor.org/stable/j.ctt5hj57k

2) Jooß, A., Ziemann, U. (2023). Transkranielle Magnetstimulation: Auf dem Weg zur individualisierten Neuromedizin. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/archiv/236022/Transkranielle-Magnetstimulation-Auf-dem-Weg-zur-individualisierten-Neuromedizin

3) Stiftung Deutsche Depressionshilfe.: Häufigkeit Depression. (n.d.). https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/was-ist-eine-depression/haeufigkeit

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/sync2brain-mit-magnetwellen-gegen-depressionen