Neues Polymer für die Wundversorgung
Thermoresponsiver Klebstoff ermöglicht schmerzfreies Ablösen von Wundauflagen
Nur wenn Pflaster oder Wundauflagen gut auf der Haut haften, können sie ihre Funktion erfüllen. Das Entfernen ist allerdings häufig schmerzhaft, und zuweilen wird dabei empfindliches neu gebildetes Gewebe wieder verletzt. Forschende der Universität Freiburg haben nun ein innovatives Polymer entwickelt, das bei Körpertemperatur zuverlässig klebt, sich nach Kältebehandlung aber leicht und ohne Schmerzen sowie rückstandsfrei wieder ablösen lässt.
Selbstklebende Wundpflaster schützen offene Wunden vor dem Eindringen von Schmutz und Keimen und saugen zudem das Sekret auf. Sie müssen fest haften, um bei Bewegung nicht zu verrutschen, deshalb ist es nicht immer einfach, sie wieder abzulösen. Im Idealfall ziept es nur ein bisschen. Bei empfindlicher Haut oder auch großflächigeren Verletzungen, wie z. B. in der Verbrennungsmedizin, kann die Prozedur aber auch sehr schmerzhaft sein und sogar zu neuen Verletzungen führen. „Vor allem bei frisch gebildetem Gewebe können herkömmliche Wundpflaster großen Schaden anrichten“, weiß Prof. Dr. Thorsten Steinberg vom Universitätsklinikum Freiburg. In der ausschließlich auf Forschung ausgerichteten Abteilung für Orale Biotechnologie an der Zahnklinik entwickelt er in interdisziplinären Projekten regenerative Biomaterialien für die klinische Anwendung.
Thermoresponsives Polymer als neuartiger Klebstoff für Wundauflagen
Handelsübliche Pflaster sind seit mehr als 100 Jahren mit einem Zinkoxid-Kautschuk-Klebstoff versehen. Dieser besitzt eine hohe Haftkraft, lässt sich aber nur schwer entfernen, sodass häufig Reste auf der Haut zurückbleiben. Zudem kann der Werkstoff Allergien auslösen und dadurch das verletzte Areal zusätzlich schädigen. Als Alternative stehen derzeit Acrylharze zur Verfügung, die deutlich besser vertragen werden, allerdings nicht so gut haften.
Im Rahmen eines von der Baden-Württemberg Stiftung geförderten Projektes, in dem auf äußere Reize reagierende Materialsysteme entwickelt wurden, entdeckten Forschende des Instituts für Makromolekulare Chemie der Universität Freiburg unter Leitung von Prof. Dr. Rolf Mülhaupt vor einigen Jahren ein neuartiges thermoresponsives Polymer mit außergewöhnlichen Klebeeigenschaften. „Das Polymer macht exakt im Temperaturbereich des Körpers einen Phasenübergang. Bei Körpertemperatur schmilzt es und haftet innerhalb von 30 Sekunden fest auf der Haut. Kühlt man es aber mit Hilfe eines Kühlakkus auf 0 – 2 °C herunter, dann verfestigt sich das Material, verliert seine Haftkraft und lässt sich problemlos ohne Rückstände entfernen“, schildert der damals ebenfalls am Projekt beteiligte Biologe Steinberg. Unter seiner Leitung und weiterhin beraten von dem inzwischen emeritierten Mülhaupt wurde während einer nachfolgenden Förderphase aus der vielversprechenden Substanz ein Prototyp entwickelt, der für kommerzielle Hersteller von Wundauflagen interessant ist.
Das synthetische Polymer basiert auf dem in der Medizintechnik gängigen thermoplastischen Kunststoff Polyvinylacetat (PVA), dessen Seitenketten mit Fettsäuren verestert sind. Abhängig von der Länge bzw. Kombination der eingesetzten Fettsäuren (FS) lässt sich der Temperaturbereich einstellen, in dem der Phasenübergang stattfindet. Der Laborleiter schildert: „Es war ein sehr aufwendiger Prozess, den richtigen Veresterungsgrad der Myristinsäureester zu bestimmen, sodass das Polymer wirklich für die Wundheilung geeignet ist. Kleine Veränderungen können einen großen Effekt auf das Temperaturfenster haben.“ Bei Körpertemperatur sind die Seitenketten verschmolzen, und das Material ist damit klebrig. Unter Kälte findet eine Konfigurationsumwandlung statt, das heißt, die Seitenketten kristallisieren aus, sodass sich das Polymer zusammenzieht und seine Haftkraft verliert. Dieser steuerbare Bonding-/Debonding-Prozess ist reversibel, kann also wiederholt stattfinden, falls beispielsweise eine Korrektur der Pflasterposition erforderlich ist.
Industrie zeigt großes Interesse
Während die Polymerentwicklung vor allem vom damaligen Doktoranden Benjamin Stolz am Institut für Makromolekulare Chemie durchgeführt wurde, war Steinberg für die biologische und medizinische Evaluation des Materials verantwortlich. In humanen Zellsystemen wies er die Unbedenklichkeit des neuartigen Werkstoffes bereits nach. Zudem führte er mit dem hergestellten klinischen Funktionsprototyp eine kleine Probandenstudie mit zehn Teilnehmenden durch, die die Eigenschaften des Produktes auf gesunder Haut beurteilten. „Alle Personen waren sehr zufrieden mit der Anwendung, und es zeigte sich, dass das Polymer auch auf feuchter Haut gut haftet“, berichtet der Professor.
Der innovative Klebstoff wurde zum Patent angemeldet, und namhafte Hersteller aus der Wundheilungsbranche haben bereits ihr Interesse angemeldet. Die Synthese ist problemlos auf industriellen Maßstab skalierbar, und bestehende Produktionslinien können genutzt werden, um das Polymer auf gängiges Wundauflagenmaterial aufzudrucken. Steinberg führt aus: „Wir hoffen sehr, dass ein Unternehmen unser Material an seine Produkte adaptiert und diese zur Marktreife bringt. Als Universität können wir das leider nicht leisten.“ Dem Wissenschaftler ist es ein großes Anliegen, innovative und vielversprechende Projekte zu den Patientinnen und Patienten zu bringen, deshalb liegt der Schwerpunkt der Arbeitsgruppe unter anderem auch auf der Verwertung.
Unterstützung bei der Patentierung und der Vermarktung bekommen die Forschenden durch die Technologie-Lizenz-Büro (TLB) GmbH. Diese bietet seit 25 Jahren Beratung und maßgeschneiderte Dienstleistungspakete, um das Potenzial von Hochschulerfindungen optimal zu nutzen – und zwar auf eigenes Risiko. Erst im Erfolgsfall erhält die TLB 30 Prozent Provision.
Die neuartige Verbindung eignet sich aber nicht nur zur reinen Befestigung aller kommerziell erhältlichen Wundauflagen, sondern es ist auch denkbar, sie direkt in das Material einzuarbeiten. Dies könnte ein Verkleben mit neu gebildetem Gewebe, wie es vor allem bei schlecht heilenden chronischen Wunden oder auch verbrannter Haut häufig vorkommt, deutlich reduzieren.