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Teil 3 der Experteninterviews

Vernachlässigte Tropenkrankheiten – Franz-Werner Haas: die Rolle von Technologie- und Pharmaunternehmen

Vernachlässigte Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTDs) sind armutsassoziierte Infektionskrankheiten, die in ihrer Erforschung und Bekämpfung vernachlässigt werden und im Schatten der „großen Drei“, Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS, wenig Beachtung finden. Sie betreffen vor allem arme Bevölkerungsgruppen in Schwellen- und Entwicklungsländern der Tropen und Subtropen. Betroffene müssen nicht nur adäquat behandelt, sondern auch hinreichend über die Risikosenkung einer erneuten Infektion aufgeklärt werden. Schlechte Lebensbedingungen, mangelnde Gesundheitsdienste und eine unzureichende Infrastruktur erschweren den Kampf gegen NTDs. Forschende Diagnostik- und Pharmaunternehmen nehmen im Kampf gegen NTDs eine entscheidende Funktion ein und tragen mit ihrer Arbeit zur Erforschung und Entwicklung notwendiger Technologien und Medikamente bei. Welche Rolle forschende Technologie- und Pharmaunternehmen in der Bekämpfung von NTDs spielen und vor welchen Herausforderungen sie dabei stehen, erklärt Dr. Franz-Werner Haas, Chief Operating Officer und Mitglied im Vorstand der CureVac AG, im Interview mit Sarah Triller.

Was tragen forschende Technologie- und Pharmaunternehmen zur Erforschung und Bekämpfung von NTDs bei?

Dr. Franz-Werner Haas, Chief Operating Officer und Mitglied im Vorstand der CureVac AG © CureVac AG

Die NTDs stellen eine weitere unmittelbare und langandauernde Bedrohung für die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den ärmsten Ländern der Welt dar. Den Menschen in diesen Gegenden, die meist keinen Zugang zu ausreichend medizinischer Versorgung, Ernährung und sauberem Trinkwasser haben, wird genauso wenig Aufmerksamkeit gewidmet wie der Bekämpfung von NTDs. Dies steht im Kontrast zu Krankheiten, welche unter anderem die Industrieländer bedrohen, wie zum Beispiel die pandemische Grippe, AIDS oder Bluthochdruck. So unterschiedlich die – öffentliche und wirtschaftliche – Bedeutung dieser beiden Gruppen von Erkrankungen auch sein mag, so offensichtlich ist die tragende Bedeutung von Technologien, die sowohl gegen die NTDs als auch gegen die zumindest in den Industrieländern weitaus bekannteren Krankheiten zum Einsatz kommen können. Das fortschreitende wissenschaftliche und technische Wissen zur Entwicklung von Wirkstoffen und grundlegenden Technologien ist damit auch unmittelbar zur Erforschung und Bekämpfung von NTDs einsetzbar und sollte auch entsprechend genutzt werden.

Wie kann ein Technologie-Unternehmen, wie die CureVac AG es ist, im Kampf gegen NTDs helfen?

Die Ribonukleinsäure (RNA) – das älteste Biomolekül der Welt – medizinisch zu nutzen, galt lange Zeit als unmöglich. Richtig aber ist, dass Wirkstoffe auf Basis von mRNA das Potenzial haben, medizinisch eingesetzt werden zu können und die bisher eingesetzten Behandlungsmöglichkeiten grundlegend zu verändern. Das Besondere an CureVac’s Ansatz ist, dass wir das natürliche mRNA-Molekül, welches aus den immer gleichen vier Bausteinen besteht, als Informationsträger verwenden und für die Bauanleitung von unterschiedlichsten Proteinen anpassen. Proteine sind als Bausteine an vielen Körperfunktionen beteiligt. Gelangt die mRNA in eine Körperzelle, fängt diese an, nach diesem Bauplan die entsprechend kodierten Proteine herzustellen. Bei Impfungen etwa sind das einzelne für den Körper ungefährliche Informationen eines bestimmten Erregers, welche auf diesem Wege die körpereigene Immunantwort gegen diesen Erreger stimulieren. Auf diese variierbare Weise wird der Körper in die Lage versetzt, seine eigene maßgeschneiderte Medizin gegen eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheiten herzustellen. Mit unserer mRNA-Technologie sowie unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit verfolgen wir drei übergeordnete Ziele: den Kampf gegen Krebs, den Schutz vor Infektionserkrankungen sowie molekulare Therapien, zum Beispiel als Proteinersatz oder zur Immunisierung. 

Zudem können unserer mRNA-Substanzen schnell und kostengünstig produziert werden. Diese Eigenschaft ermöglicht die kurzfristige Wirkstoffversorgung sowohl in großen als auch in kleinen Mengen. Letzteres etwa mittels unseres RNA Printers. Ein kompaktes mobiles Gerät, das zukünftig auf Grundlage der konkreten Bauanleitung eines Erregers in drei Schritten einen Impfstoff etwa direkt im Ausbruchsgebiet herstellen kann. Zudem ist die Produktionszeit im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoffen sehr kurz: In wenigen Wochen könnten mehrere Gramm mRNA hergestellt werden (genug, um mehr als hunderttausend Impfstoff-Dosen zu produzieren), was gerade im Pandemiefall einen zentraleren Vorteil darstellen kann, um einen Ausbruch bereits von Anfang an einzudämmen, bevor er zu einer humanitären Krise anwächst. Zum Vergleich: Die Produktion von herkömmlichen Produktionsverfahren für prophylaktische Impfstoffe dauert bis zu neun Monate. ​​​​​​​

Welche Motivation haben forschende Technologie- und Pharmaunternehmen, sich für Themen wie die Bekämpfung von NTDs einzusetzen? Gibt es neben wirtschaftlichen Zielen auch eine gesellschaftliche Verantwortung, die Technologie- und Pharmaunternehmen treibt?

Das Bild zeigt zwei Personen im Labor. Sie tragen beide Laborkittel, Schutzhandschuhe und Schutzbrille. Während eine Person pipettiert, arbeitet die zweite Person an einer Zentrifuge.
Mit der mRNA-Technologie sowie ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit verfolgt die CureVac drei übergeordnete Ziele: den Kampf gegen Krebs, den Schutz vor Infektionserkrankungen sowie die Entwicklung molekularer Therapien. © CureVac AG

Als RNA people sind wir alle bei der CureVac, unsere Partner aus der Biotech- und Pharmaindustrie sowie unsere Investoren geradezu davon angetrieben, unsere Technologie sowie unsere Produktkandidaten für den Einsatz im Menschen zu entwickeln. Und dabei ist es erst einmal nicht relevant, in welcher Region der Welt dieser Mensch zu Hause ist. Natürlich kann und sollte man dabei nicht ignorieren, dass die Entwicklung der Technologie sowie der Produkte erhebliche Investitionen erfordert, die auch unter wirtschaftlichen Fragestellungen zu betrachten sind. Aber auch diese sind adressierbar. Überzeugt von dem großen Potenzial unserer mRNA-Technologie, auch für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, arbeiten wir etwa unter anderem eng mit der Bill & Melinda Gates Foundation, die sich stark in den betroffenen Entwicklungsländern sowie deren Bevölkerung engagiert, sowie der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) zusammen, welche sich zur Aufgabe gemacht hat, mit kurzer Reaktionszeit Impfstoffe gegen Erkrankungen mit epidemischem Potenzial für jedermann bereitstellen zu können. Bei beiden Partnerschaften steht die Entwicklung unserer mRNA- und Produktionstechnologie zur Bekämpfung verschiedenster Infektionskrankheiten sowie deren breite Nutzbarmachung für Menschen in den ärmsten Ländern im Fokus. Dieses Ziel wird in beiden Kooperationen gerade durch die Zusammenarbeit mit anderen Partnern aus dem Netzwerk beider Organisationen gefördert. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserer vielseitig einsetzbaren Technologie einen deutlichen Beitrag zur Bekämpfung auch von NTDs leisten können. Niemand kann die Bewältigung dieser Aufgabe jedoch alleine schaffen. Von dem erforderlichen wissenschaftlichen Verständnis der konkreten, teilweise hochkomplexen Erkrankungen, den konkreten regionalen Bedingungen bis hin zur Medikamentenentwicklung und Zulassung der Wirkstoffe vor Ort müssen alle koordiniert an einem Strang ziehen. Klar ist auch, dass gerade die betroffenen Bevölkerungsgruppen dies nicht alleine leisten können. „Crossfunktionale und internationale Zusammenarbeit“ ist das entscheidende Stichwort.

Welche Herausforderungen bestehen für ein Technologie-Unternehmen bei der Entwicklung von Technologien und Impfstoffen im Kampf gegen NTDs in Schwellen- und Entwicklungsländern?

Im Februar 2019 schloss CureVac einen Partnerschaftsvertrag mit der CEPI zur weiteren Entwicklung des bereits erwähnten RNA Printers ab. CureVac’s mRNA-Plattform soll im Rahmen dieser Zusammenarbeit für die Entwicklung von Impfstoffen unter anderem gegen Tollwut, das zu den NTDs gehört, sowie Lassa- und Gelbfieber eingesetzt werden. Nach Untersuchung der drei Indikationen in präklinischen Tests folgen klinische Phase-I-Studien im Menschen für zwei der Impfstoffkandidaten.1

Der Vorteil einer Impfung bestände in der Prävention der entsprechenden Krankheiten, da eine große Herausforderung in der Bekämpfung der NTDs darin besteht, dass die Betroffenen im Falle einer Erkrankung nicht nur behandelt, sondern auch hinreichend über die Risikosenkung aufgeklärt werden müssen, um eine erneute Infektion zu verhindern.

NTDs betreffen die Ärmsten der Welt und sind vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern der Tropen und Subtropen weit verbreitet. Die betroffenen Länder stehen vor der Herausforderung diese Krankheiten zu bekämpfen, obwohl Impfstoffe in diesen Ländern oft unerschwinglich sind. Zudem besteht ein Mangel an gut ausgebildeten Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Hinzu kommen schlechte Transportbedingungen; auch eine angemessene Lagerung von Impfstoffen ist häufig nicht möglich.2

Der RNA Printer ist ein Prototyp für eine transportable, kleinformatige, automatisierte, lokale mRNA-Produktionseinheit. Innerhalb weniger Wochen könnten große Mengen Impfstoff-Dosen hergestellt werden und so eine schnelle Lieferung in Regionen vor Ort ermöglicht werden.1

Das Interview mit Dr. Franz-Werner Haas ist das dritte aus einer Reihe zu dem Thema "Vernachlässigte Tropenkrankheiten". Die Interviews wurden mit Experten aus den Bereichen Gesundheit, Wissenschaft und Wirtschaft geführt, die an der Veranstaltung "Vernachlässigte Tropenkrankheiten - Impulse aus Baden-Württemberg" am 7. Februar 2019 in Stuttgart teilgenommen hatten.

Literatur:

1 CureVac AG (2019): CEPI vergibt einen Vertrag über 34 Millionen US-Dollar an CureVac zur weiteren Entwicklung des The RNA Printer™ – eine disruptive transportable Plattform zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen für die schnelle Bekämpfung zahlreicher Krankheiten (Stand 26. Juli 2019)

2 Bill & Melinda Gates Foundation: Was wir tun – Impfstoffbereitstellung - Strategischer Überblick - Die Herausforderung (Stand 26. Juli 2019)

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/vernachlaessigte-tropenkrankheiten-franz-werner-haas-die-rolle-von-technologie-und-pharmaunternehmen