Aus aktuellem Anlass zum neuartigen Coronavirus
Warten auf einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2
Fieberhaft wird an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus gearbeitet, doch für die erste Infektionswelle, die sich seit Ende 2019 von China aus über die Welt verbreitet hat, kommt eine Schutzimpfung wahrscheinlich zu spät. Das von der internationalen Impfstoff-Initiative CEPI unterstützte Entwicklungsprojekt des Tübinger Biotechnologie-Unternehmens Curevac könnte mit seiner Technologieplattform für mRNA-basierte Impfstoffe zu den schnellsten Ergebnissen für eine künftige Prävention der Seuche beitragen.
Bis Ende Februar 2020 konnte man noch hoffen, dass Europa von der zwei Monate zuvor in der zentralchinesischen Stadt Wuhan ausgebrochenen neuartigen Coronavirus-Epidemie weitgehend verschont bleiben könnte. Bei den wenigen Fälle, in denen man bis dahin in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern SARS-CoV-2-Infektionen nachgewiesen hatte, handelte es sich um isolierte, gut eingrenzbare Ansteckungsereignisse, die sich direkt zu ihrem Ursprung in China zurückverfolgen ließen, wo bis zu diesem Zeitpunkt (nach offiziellen Angaben) bereits etwa 78.000 Menschen infiziert und mehr als 2.400 Menschen an der von SARS-CoV-2 verursachten Lungenkrankheit COVID-19 („Coronavirus Disease 2019") verstorben waren. Seit dem 23. Februar, als massive Ausbrüche der Seuche in Südkorea, Iran und Italien gemeldet wurden, sind die Dämme gebrochen, und kaum ein Experte glaubt noch, dass eine weltweite Pandemie aufzuhalten sei. Auch in Deutschland wurden zuletzt täglich neue Infektionen mit SARS-CoV-2 nachgewiesen (bis zum 2. März 2020 in 130 Fällen). Man bemüht sich, die als Infektionsüberträger in Frage kommenden Kontaktpersonen unter Quarantäne zu stellen, doch nicht in allen Fällen sind die Infektionsketten überhaupt noch nachvollziehbar.
Erschwert werden die Bemühungen um eine Eindämmung der Seuche dadurch, dass manche Infizierte nur schwache Krankheitssymptome aufweisen, vielleicht sogar ganz asymptomatisch sind, und dennoch Viren übertragen können. Das hohe Ansteckungspotenzial des neuartigen Coronavirus erklärt sich damit, dass Viruspartikel – im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem SARS-Virus von 2002 („severe acute respiratory syndrome virus“) – nicht nur in der Lunge und den tiefen Bronchien, sondern in hohem Maße auch im Rachenraum heranreifen und ausgeschieden werden, sodass sie leicht durch Husten und Niesen verbreitet werden. Nach den Worten von Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), der obersten Seuchenbehörde Deutschlands, zeigen etwa 80 Prozent der Betroffenen nur schwache Symptome – vergleichbar mit der jährlichen Grippeepidemie, an die wir uns gewöhnt haben. Doch 15 Prozent erkrankten schwer, und durchschnittlich ein bis zwei Prozent sterben daran, fast immer durch Alter oder Vorerkrankungen immungeschwächte Personen. In Deutschland ist bisher kein Todesfall durch die neue Seuche zu beklagen. Nach bisherigem Verlauf ist COVID-19 zwar aggressiver als die gewöhnliche saisonale Grippe, doch liegt die Sterblichkeit deutlich niedriger als bei den früheren, durch Coronaviren hervorgerufenen Epidemien SARS von 2002/03 und MERS („middle east respiratory syndrome“) im Jahr 2012. Diese blieben jedoch aber im Gegensatz zu COVID-19 weitgehend regional begrenzt und forderten insgesamt viel weniger Opfer.
Überspringende Infektionen
Wahrscheinlich war das Virus erstmals Anfang Dezember 2019 auf einem Fischmarkt in Wuhan, auf dem auch lebende Wildtiere verkauft werden, von einem Tier auf den Menschen übergesprungen. Eine genetische Stammbaumanalyse legt nahe, dass ein Schuppentier (Pangolin) der Infektionsüberträger gewesen sein könnte. Diese urtümlichen Säugetiere sind zwar strengstens geschützt, werden aber auf dem Schwarzmarkt in China immer wieder für den Kochtopf und für Rezepte der traditionellen Medizin gehandelt. Bei der ersten SARS-Epidemie 2002 waren Zibetkatzen („civets“, eine Art Schleichkatzen) die Überträger gewesen, bei MERS 2012 waren es Dromedare. Als Reservoir, aus dem sich die Tiere mit Coronaviren infizierten, gelten Fledermäuse.
Weder die Fallzahlen noch der Verlauf der COVID-19-Krankheit geben Anlass zu Panik in der Bevölkerung. Doch Gesundheitsexperten und -politiker haben es schwer mit Aufrufen, die Ruhe zu bewahren, wenn täglich neue Ansteckungen in den Printmedien und im Fernsehen gemeldet werden, wenn in den sozialen Netzwerken die haarsträubendsten Verschwörungstheorien kursieren und düstere Bilder von China im Belagerungszustand mit abgeriegelten Millionenstädten und weiß vermummten Seuchenpatrouillen verbreitet werden – und nun auch noch die Alarmmeldungen aus lombardischen Kleinstädten. Das neue Coronavirus setzt tief ins kollektive Gedächtnis eingegrabene Ängste vor verheerenden Seuchen aus vergangenen Zeiten frei, wie Pest, Pocken, Cholera und Spanische Grippe, die für die größten demographischen Katastrophen der Menschheit verantwortlich waren. Hinzu kommen die noch völlig unabsehbaren ökonomischen Kosten der Epidemie.
Die Suche nach Gegenmitteln
Es gibt bisher keine wirksamen Medikamente gegen die Lungenkrankheit COVID-19. Experimentell werden in schweren Fällen im Rahmen klinischer Studien und in Einzelfällen Wirkstoffe wie Interferone, Neuraminidase-Hemmer und andere Virostatika verabreicht, die auch sonst gegen Erkrankungen mit RNA-Viren eingesetzt werden. Fieberhaft wird nach neuen wirksamen Therapeutika gesucht; dazu wurden allein bis Mitte Februar 2020 in China über 80 klinische Studien gemeldet. Nicht alle davon erfüllen die notwendigen wissenschaftlichen Standards.
Die wichtigste Frage für die Prävention einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 lautet: Wann gibt es eine wirksame Schutzimpfung? „Das könne leider noch dauern“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nach der Krisensitzung mit seinen europäischen Kollegen in Rom am 25.02.2020, „auch wenn alles getan wird, um die Impfstoffentwicklung zu beschleunigen.“ Für Lothar Wieler kommt alles darauf an, die Zeit bis zum Einsatz des Impfstoffs zu überbrücken. Deswegen bemühen sich die Behörden mit Hochdruck um „containment“, die Eindämmung jeder Infektionskette. „Wir müssen Zeit gewinnen“, sagte der RKI-Präsident. „Je mehr wir davon haben, desto mehr Informationen haben wir zu den Übertragungswegen und Therapiemöglichkeiten, und können uns vorbereiten.“ Die Erkrankungswelle durch Coronaviren soll so lange wie möglich hinausgezögert werden, um zu vermeiden, dass sie mit der Grippewelle des Frühjahrs 2020 zusammenfällt und das Gesundheitssystem belastet.
Partnerschaft von Curevac und CEPI
Bereits Ende Januar hatte die Bundesregierung bekanntgegeben, dass sie die Entwicklung von Impfstoffen gegen das neue Coronavirus in Millionenhöhe im Rahmen der „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ (CEPI) unterstützt. CEPI ist eine 2017 anlässlich der Ebola-Epidemie gegründete Partnerschaft aus staatlichen, privaten, philanthropischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, um Impfstoffe gegen zukünftige Epidemien zu entwickeln. Mit dem Tübinger biopharmazeutischen Unternehmen CureVac AG war CEPI eine Kooperation zur Entwicklung einer schnell einsetzbaren Impfstoffplattform auf der Basis der firmeneigenen messengerRNA-Technologie eingegangen. Dabei handelt es sich um eine mobile, automatisierte Produktionseinheit (The RNA PrinterTM) zur schnellen Versorgung von mRNA-Wirkstoffen, die von CEPI mit 30 Millionen Euro gefördert wird. Jetzt wird die bestehende Zusammenarbeit zur Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2 erweitert. Nach den Worten von Dr. Richard Hatchett, CEO von CEPI, soll CureVacs mRNA-basierte Plattform zur Impfstoffentwicklung für den neuen Virustyp genutzt werden, um „mithilfe der bekannten Gensequenz des Erregers innerhalb weniger Monate – also wesentlich schneller als bisher möglich – einen Impfstoffkandidaten für die klinische Erprobung zu entwickeln.“ Ob dieser ambitionierte Zeitplan eingehalten und erfolgreich sein kann, weiß natürlich niemand; und so verfolgt CEPI auch noch andere Projekte zur Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2. Dabei kann auch auf Arbeiten zurückgegriffen werden, die zur Bekämpfung der MERS-Epidemie 2012 begonnen, aber nicht vollendet wurden.
CureVacs Technologieplattform ist für eine schnelle Reaktion auf virale Ausbrüche wie die aktuelle SARS-CoV-2-Epidemie besonders geeignet, sagte Dr. Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer des Tübinger Unternehmens. „Dank der finanziellen Mittel von CEPI sind wir in der Lage, einen Impfstoff zu entwickeln, der nach erfolgreichen präklinischen Tests rasch in klinischen Studien am Menschen getestet werden könnte.“ In früheren präklinischen Arbeiten hatte CureVac bereits nachgewiesen, dass seine mRNA-Vakzinen geeignet sind, in Tieren eine Immunantwort gegen Coronaviren auszulösen. Darüber hinaus zeigen neue klinische Studien mit einem Impfstoff gegen Tollwut, dass im Menschen selbst mit sehr geringen Mengen an mRNA eine Immunreaktion hervorgerufen werden kann, betonte Fotin-Mleczek. CureVacs innovative Plattform The RNA PrinterTM könnte auch die schnelle Versorgung mit mRNA-Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 gewährleisten.
Möglicherweise wird ein Impfstoff in der gegenwärtigen COVID-19-Erkrankungswelle nicht mehr rechtzeitig eingesetzt werden können, wenn diese, wie man hofft, in wenigen Monaten abklingt. Seit Ende Februar 2020 nimmt die Zahl der Neuinfektionen in der zuerst und am stärksten betroffenen chinesischen Provinz Hubei und seiner Metropole Wuhan, den offiziellen Angaben zufolge, nur noch langsam zu. Da dort die Anzahl der inzwischen geheilten Coronavirus-Infizierten kontinuierlich ansteigt, verringern sich inzwischen die Fallzahlen der aktuell Erkrankten. Niemand weiß aber, wie lange die Epidemie dort noch virulent bleibt und wie sie sich in den anderen chinesischen Provinzen entwickelt. In Südkorea, Iran und Italien ähnelt die Situation Anfang März 2020 der in Hubei einen Monat zuvor. Ob sich in Deutschland oder Frankreich die Zahl der Infizierten besser eindämmen lässt, ist nicht vorhersagbar – der Impfstoff und das Erfahrungswissen um seine Herstellung werden jedenfalls dringend gebraucht. Es kann auch sein, dass SARS-CoV-2 gekommen ist, um zu bleiben oder – ähnlich wie das Influenzavirus – mit der Jahreszeit wiederzukehren, vielleicht auch in mutierter Form, auf die man wie bei der Grippe mit einem jeweils neu adaptierten Impfstoff reagieren muss.