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Experteninterview

Weil jedes Zehntelgrad Erderwärmung zählt: Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Labor

Der Energie- und Ressourcenverbrauch in der Life Sciences-Branche ist enorm. Deshalb muss hier dringend ein Umdenken einsetzen. Doch wie, und an welcher Stelle können Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Labor sinnvoll zum Einsatz kommen, ohne dass die Qualität der Forschungsergebnisse leidet? Dies verrät Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, Inhaberin der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung aus Freiburg im Interview mit der BIOPRO.

Sehr geehrte Frau Dr. Hermuth-Kleinschmidt, was war Ihre Motivation, sich mit Ihrem Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit im Labor stark zu machen, und welche Voraussetzungen bringen Sie hierfür mit?

Zunächst habe ich Chemie in Freiburg studiert und danach im Bereich Mikrobiologie promoviert. Anschließend war ich in der Industrie im Vertrieb und dann auch im Technischen Support tätig. Durch die Geburt meiner beiden Kinder ist das Thema Nachhaltigkeit für mich persönlich immer mehr in den Fokus gerückt. Deshalb habe ich nach einer Weiterbildung in den Bereichen Umweltmanagement und Umweltökonomie schließlich die NIUB-Nachhaltigkeitsberatung gegründet, die Life Sciences-Unternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Implementierung von Nachhaltigkeitsprozessen begleitet. So kombiniere ich meine fachliche Expertise aus Wissenschaft und Industrie mit dem Wunsch, einen sinnvollen Beitrag zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft zu leisten.

Nachhaltigkeit ist ein Sammelbegriff, der viele unterschiedliche Maßnahmen zum bewussten Umgang mit Ressourcen bündelt. Wie definieren Sie Nachhaltigkeit im Labor?

Experteninterview zu mehr Nachhaltigkeit im Labor - Porträt - Hermuth-Kleinschmidt - Dr. Kerstin - Nachhaltigkeit
Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt setzt sich als Inhaberin der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung für mehr Nachhaltigkeit in der Life Sciences-Branche ein. © Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt

Nachhaltigkeit umfasst immer die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte. Ziel von Nachhaltigkeitsanstrengungen muss es sein, diese drei Dimensionen in Einklang zu bringen. In der Laborarbeit rücken zudem zwei weitere wichtige Gesichtspunkte in den Fokus: Sicheres Arbeiten und die Gewährleistung der Qualität von Forschungsergebnissen. Nur, wenn die Ergebnisse reproduzierbar sind und Qualitätskriterien wie Sensitivität, Selektivität und Genauigkeit eingehalten werden, ist die Implementierung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen sinnvoll.    

Dies lässt sich am besten am Beispiel der Liquid Chromatography (LC) erläutern: Durch den Umstieg auf miniaturisierte Techniken wie mikro- und nano-LC-Säulen wird der Einsatz von gefährlichen Lösungsmitteln massiv reduziert. Dadurch werden Einkaufs- und Entsorgungskosten minimiert, und durch die Arbeit mit viel geringeren Mengen an möglicherweise toxischen Chemikalien wird gleichzeitig die Sicherheit erhöht. Die Technik ist mittlerweile so ausgereift, dass die angesprochenen Qualitätskriterien eingehalten werden.

Wo verbergen sich die wichtigsten ökonomischen und ökologischen Stellschrauben für umweltbewusstes Handeln im Laboralltag?

Im Gerätemanagement lassen sich Nachhaltigkeitsmaßnahmen sehr gut umsetzen. Ich lege hier das Augenmerk in erster Linie auf Großgeräte wie zum Beispiel Gefrierschränke. Hier bewirkt ein Anheben der Temperatur auf -70 °C statt -80 °C eine Energieersparnis, die je nach Gerät zwischen 20 und 35 Prozent liegen kann. Bei der Beschaffung von Neugeräten sollte zudem nicht der Anschaffungspreis im Fokus stehen, sondern die Betrachtung der Lebenszykluskosten. Vermeintlich preisgünstige Geräte in der Beschaffung können einen hohen Energieverbrauch aufweisen, was der Umwelt schadet und sie auf Dauer unwirtschaftlich macht. Zudem sollte im Labor auf den bewussten Gebrauch von Chemikalien, Lösungsmitteln und anderen Verbrauchsmaterialien geachtet werden. Dies spart nicht nur Geld im Einkauf, sondern verringert auch die Entsorgungskosten.

Worin bestehen die größten Herausforderungen für Life Sciences-Unternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien?

Wissenschaft lebt von reproduzierbaren Ergebnissen. Wenn eine Methode etabliert ist, wird sie nicht ohne Not geändert. Das gilt vor allem für diagnostische Laboratorien, deren Abläufe und Prozesse validiert sind. Hier sind Änderungen oft schwer umsetzbar und mit einem sehr großen Aufwand verbunden – aber auch hier gibt es Möglichkeiten. Zudem sind Zeit- und Personalknappheit ein großes Problem. Denn um Nachhaltigkeitsstrategien zu implementieren, sollte zunächst eine Analyse durchgeführt werden, die offenlegt, an welchen Stellen die größten negativen Einflüsse auf die Umwelt auszumachen sind. Auf Basis dieser Bestandsaufnahme kann dann ein Aktionsplan für mehr Nachhaltigkeit erarbeitet werden. Dies braucht Zeit und ein Team von Leuten, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Aber am Ende profitiert das Labor, indem Routinen etabliert werden, die nicht nur Ressourcen sparen, sondern auch den Alltag einfacher machen können.

Welche Vorteile ergeben sich für Unternehmen, wenn Nachhaltigkeitsmaßnahmen in den Laboralltag integriert werden?

Angetrieben durch die derzeitige Energiekrise haben viele Labore zahlreiche Schritte zur Energieeinsparung eingeleitet, weil sie Kosten sparen müssen. Gleichzeitig sind diese Maßnahmen auch aus ökologischer Sicht sinnvoll – und damit eine typische Win-win-Situation. Neben finanziellen Aspekten steigert der nachhaltige Umgang mit Ressourcen aber auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Für immer mehr Menschen wird das Nachhaltigkeitsthema auch im beruflichen Kontext wichtiger, und Unternehmen, die darauf achten, werden bevorzugt.

Können Sie konkrete Tipps oder Beispiele nennen, wie durch einfache Maßnahmen Veränderungen erzielt werden können?

Experteninterview zu mehr Nachhaltigkeit im Labor - Einwegmaterialien aus Plastik sowie umweltschädliche Chemikalien und Lösungsmittel bestimmen den Laboralltag - Nachhaltigkeit
Einwegmaterialien aus Plastik sowie umweltschädliche Chemikalien und Lösungsmittel bestimmen den Laboralltag. Hier sind nachhaltige Alternativen und neue Recyclingkonzepte gefragt. © pexels / Polina Tankilevitch

Es gibt zahlreiche Mittel, die jedes Labor umsetzen kann. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Mitarbeiter meist hochmotiviert sind, Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen. Ein alltägliches Beispiel ist der Wasserverbrauch. Um einen Liter Laborwasser aufzubereiten, werden im Durchschnitt drei bis fünf Liter Leitungswasser gebraucht. Dieses Wasser wird nicht nur in Experimenten eingesetzt, z. B. für Pufferlösungen, sondern wird auch für Geräte wie Autoklaven oder Spülmaschinen in großen Mengen genutzt. Es ist deshalb wichtig darauf zu achten, solche Geräte wirklich nur voll beladen laufen zu lassen.

Auch der Plastikmüll, der in Laboren anfällt, ist enorm. Hier sollte überlegt werden, ob bei einzelnen Gefäßen eine wiederverwendbare Alternative aus Glas zum Einsatz kommen kann, oder ob eine Wiederverwendung für nicht-kritische Bereiche möglich ist. Weiterhin gibt es spezielle Recyclingprogramme, die beispielsweise Zellkulturflaschen und Pipettenboxen zurücknehmen und wieder dem Recyclingstrom zuführen. Und auch die Digitalisierung kann helfen. So können etwa bei Kühleinheiten wichtige Parameter wie Temperatur, Energieverbrauch und Türöffnungszeiten elektronisch überwacht werden, um daraus Maßnahmen für ein nachhaltigeres Gerätemanagement abzuleiten.

Welche Nachhaltigkeitsziele müssen in der Gesundheitsindustrie umgesetzt werden, um unsere Ressourcen dauerhaft zu bewahren und so auch den wirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft zu sichern?

Die Gesundheitsindustrie leistet einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch fragen, welchen negativen Impact die Branche auf die Umwelt hat, und wie wir diesen verringern können. Ein wichtiges Anliegen ist es mir deshalb, ein Umdenken in Produktion und Konsum einzuleiten. So müssen wir die Reduktion von Abfall und eine Effizienzsteigerung in der Kreislaufwirtschaft in den Fokus nehmen. Verpackungsmaterialien müssen geändert und umweltfreundlicher gestaltet werden. Neue Recyclingkonzepte müssen entwickelt werden. Die Health-Care-Industrie ist für 4,4 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb muss die Reduktion des Energieverbrauchs und der Umstieg auf erneuerbare Energien in den kommenden Jahren weiter vorangetrieben werden. Wir haben jetzt noch die Chance, etwas zu verändern und Schaden abzuwenden – und die Wissenschaft selbst sagt, dass jedes Zehntelgrad Erderwärmung, das wir vermeiden können, einen Unterschied macht.

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