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NMI-Projekt WOUNDSENS

Wundmonitoring mithilfe sensorischer Nanofasern

Um den Zustand chronischer Wunden kontrollieren zu können, muss der Verband regelmäßig und in kurzen Abständen gewechselt werden. Im Projekt WOUNDSENS wollen Forschende des NMI in Reutlingen durch den Einsatz des Elektrospinnens neuartige Wundauflagen aus biosensorischen Fasern anfertigen, die Informationen über den Zustand der Wunde nach außen senden und so helfen, Entzündungen besser zu erkennen. Dadurch werden die belastenden Verbandswechsel seltener nötig.

Zum Schutz vor Infektionen und zum Aufsaugen des Sekrets werden offene Wunden mit geeigneten Wundauflagen bedeckt. Bei kleineren Verletzungen oder auch Operationsnähten ist die traditionelle, trockene Versorgung mit Pflastern oder Mullkompressen zumeist ausreichend. Für chronische Wunden hingegen sowie großflächigere, klaffende Verletzungen stehen heutzutage interaktive Auflagen zur Verfügung, die Hydrokolloide, Alginate oder Hydrogele enthalten bzw. aus Polyurethan­schäumen bestehen. Sie alle schaffen ein feuchtwarmes Milieu, das Immun- und Gewebezellen leichter einwandern lässt und so den Heilungsprozess fördert.

EU-weites Projekt WOUNDSENS

Zu sehen sind die Porträtfotos einer Frau mit mittelblonden, halblangen Haaren, eines Mannes mit kurzen hellblonden Haaren und eines Mannes mit Vollbart.
In der von Dr. Hanna Hartmann (mittig) geleiteten Arbeitsgruppe Regenerative Biomaterialien am NMI entwickeln Kai Fuchsberger (links) und Dr. Ruben Daum (rechts) neuartige sensorische Nanofasern. © Janine Hartmann Photography; Michael Fuchs Fotografie

„Die Beurteilung des Wundstatus erfolgt bisher visuell, das heißt, dafür muss der komplette Verband entfernt werden“, schildert Kai Fuchsberger vom NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen in Reutlingen. „Dies kann sehr schmerzhaft sein und es besteht zudem die Gefahr, dass neu gebildetes Gewebe wieder verletzt wird. Eine Wundauflage, die Informationen über den Status nach außen gibt, wäre deshalb extrem hilfreich.“ Mithilfe elektrochemischer Sensoren ließe sich dies eigentlich problemlos erreichen, allerdings handelt es sich dabei normalerweise um kleine, oft scharfkantige Kunststoffbauteile, auf denen Elektroden angebracht sind „… und die möchte niemand in der Wunde haben“, ist sich der auf Elektrochemie spezialisierte Biologe sicher. „Wir haben uns deshalb gefragt, ob wir nicht etwas Vliesartiges mit Sensorfunktion herstellen können – etwas Ähnliches wie einen Wundverband.“

Voraussetzung für so ein Produkt ist zunächst ein Biomarker, also eine Substanz, dessen Konzentration in der Wunde ein Indikator für z.B. entzündungsabhängige Veränderungen ist. Die quantitative Bestimmung des Biomarkers ist dann elektrochemisch mithilfe spezifischer Enzyme möglich, wobei ein Stromfluss erzeugt wird. Amperometrische Biosensoren werden derzeit beispielsweise zur Bestimmung von Cholesterin oder Glucose im Labor eingesetzt. Um ein Wundmonitoring zu ermöglichen, müssen die Enzyme allerdings in ein flexibles Verbandsmaterial eingebracht werden und dort über einen längeren Zeitraum unter Alltagsbedingungen stabil bleiben. Einen ersten Prototyp will das NMI zusammen mit zwei Partnern im Projekt WOUNDSENS herstellen. Dieses Projekt läuft seit November 2023 und wird von der EU im Rahmen des Horizon 2020 Programms gefördert (FKZ 101115337). Das Unternehmen EvoEnzyme aus Madrid hat die Aufgabe, das Enzym an die Produktanforderungen anzupassen, und das Institut Jean Lamour von der Universität Lothringen entwickelt das nötige leitfähige Material.

Vielfältige Vliesproduktion mittels Elektrospinnen

Zeichnung eines Knies mit neuartiger Wundauflage sowie eine vergrößerte Darstellung der Hohlfaser mit Enzymen im Inneren an. Linien verweisen auf die Aufgaben der beteiligten Institute.
Im Rahmen des EU-Projektes WOUNDSENS sollen Hohlfasern, die in ihrem Inneren Enzyme beherbergen, zu sensorischen Wundauflagen versponnen werden. © 2023 WOUNDSENS

Die von Dr. Hanna Hartmann geleitete Arbeitsgruppe Regenerative Biomaterialien am NMI übernimmt die Entwicklung geeigneter Fasern als Grundlage der sensorischen Wundauflagen. Hierbei kommt ein seit Jahren in Reutlingen etabliertes Verfahren zum Einsatz: das Elektrospinnen. „Mit dieser Methode können wir sehr feine Fasern produzieren, die Durchmesser von einigen 100 Nanometern bis zu wenigen Mikrometern besitzen“, erläutert Dr. Ruben Daum, der bereits während seiner Promotion viel Erfahrung auf dem Gebiet gesammelt hat. Als Ausgangsmaterial dient zumeist ein gelöstes Kunststoffpolymer. Dieses wird mit einer Spritze durch eine Metallnadel gepumpt. Durch Anlegen einer Spannung (5-30 kV) zwischen der Metallnadel und einem gegenüberliegenden Kollektor lädt sich das austretende Polymer elektrostatisch auf und wird in Richtung des geerdeten Kollektors gezogen. Da das Lösungsmittel während des Vorgangs verdampft, lagert sich der Kunststoff als hauchdünner Faden vliesartig auf der Oberfläche des Kollektors ab.

„Die Methode ist relativ simpel, bietet aber abhängig vom verwendeten Material bzw. der Gestalt des Kollektors sehr viele Möglichkeiten“, erklärt der Experte. „Das Vlies kann in jeder beliebigen Form gesponnen werden.“ Und da seine Struktur der extrazellulären Matrix von Körpergewebe ähnelt, ist es hervorragend als Biomaterial für Medizinprodukte geeignet.

Sensorische Wundauflagen aus speziellen Hohlfasern

Fotografie der Geräte zum Elektrospinnen. Das Polymer strömt aus der Nadelspitze und fasert sich auf, bevor es zum Kollektor gelangt.
Beim Elektrospinnen wird das Fasermaterial unter Anlegen einer hohen Spannung von der Spitze einer Metallnadel (links) auf einen rotierenden Kollektor (rechts) gezogen und lagert sich dort als hauchdünner, endloser Faden ab (Vergrößerung oben rechts). © NMI Reutlingen

Elektrospinnen im Bereich von Wundauflagen ist nicht grundsätzlich neu. „Aber für unsere Version mit integriertem Sensor wollen wir Hohlfasern generieren, die in ihrem Inneren Enzyme enthalten“, führt Daum näher aus. Dies kann mithilfe sogenannter Koaxialnadeln erreicht werden, bei denen sich eine sehr dünne Nadel in einer etwas größeren Nadel befindet. Im Raum zwischen der äußeren und der inneren Nadel wird die Polymerlösung transportiert, in der inneren Nadel befindet sich das Trägermaterial mit dem gelösten Enzym, so lassen sich beide Anteile gemeinsam koaxial verspinnen. „Durch das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren wie beispielsweise Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Spannung oder Flussrate sind Vorhersagen über das Ergebnis schwierig, weshalb wir den Prozess empirisch durch Feinabstimmung dieser Parameter optimieren müssen“, schildert der Wissenschaftler die Herausforderung.

Für die sensorische Auflage darf das Enzym während des Herstellungsprozesses nicht beschädigt werden. Fuchsberger ist optimistisch: „Auch wenn große elektrische Felder wirken und das Enzym mit der flüssigen Polymerlösung direkt in Kontakt kommt, dauert der Vorgang doch nur sehr kurz. Im Vergleich zu gängigen Biosensoren erhoffen wir uns mit der Methode sogar eine Aktivitätssteigerung, da die Proteine nicht immobilisiert werden, sondern im Inneren der Faser beweglich bleiben.“ Aufgrund des guten Oberflächen-Volumen-Verhältnisses und der damit verbundenen großen Reaktionsfläche ist zudem eine hohe Sensitivität zu erwarten.

Erleichterung für das Gesundheitssystem

Der Gruppe am NMI war es wichtig, zunächst Interviews mit Betroffenen und medizinischem Personal zu führen, da jede Wunde anders ist und es dementsprechend viele verschiedene Behandlungsmöglichkeiten gibt. Für trockene Wunden beispielsweise eignen sich die sensorischen Fasern nicht, da Feuchtigkeit nötig ist, damit Strom fließen kann.

Bei chronischen, nässenden Wunden, Brandverletzungen oder auch schwer zugänglichen Operationswunden hingegen könnte die innovative Wundauflage die Versorgung erheblich verbessern. Derzeit wird ein Verband spätestens alle 2-3 Tage gewechselt; das sensorische Material soll 5-7 Tage auf der Wunde verbleiben können. Dies würde den Heilungsprozess begünstigen und wäre nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem eine deutliche Erleichterung.

Über einen in der Nähe der Wunde angebrachten Chip sollen die Daten erfasst und per Bluetooth-Signal an das medizinische Personal weitergegeben werden, das dann bei pathologischen Veränderungen zeitnah reagieren kann. Langfristig wäre so auch eine telemedizinische Anwendung denkbar.

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