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Bioaktive pflanzliche Lebensmittel: Mehr als nur Sattmacher

Lebensmittel erfüllen in der modernen Überflussgesellschaft längst nicht mehr allein den Zweck der Ernährung, wie die steigende Nachfrage nach funktionellen Lebensmitteln klar aufzeigt. Die Produkte sollen einen gesundheitlichen Mehrwert bringen, um zum Beispiel zur Prävention oder Therapie von Krankheiten beizutragen. Das macht sie für den Verbraucher, die Lebensmittelindustrie und das Gesundheitswesen gleichermaßen interessant. Besonders Produkte auf der Basis pflanzlicher Rohstoffe sind aufgrund der Vielzahl an natürlichen gesundheitsfördernden Inhaltstoffen gefragt. Im Fokus stehen beispielsweise Pflanzen wie Quinoa, das Gluten-freies Eiweiß liefert und reich an Magnesium, Eisen und ungesättigten Fettsäuren ist.

Es gibt bereits Prototypen von glutenfreien Amarant-Broten. © BioBackhaus Wüst

Nahrung muss nicht mehr einfach satt machen und schmecken, sie soll gesund sein und möglichst auch noch gesund machen. Diese Anforderungen kommen sowohl aus der Bevölkerung, als auch von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die die Chancen im Anspruch der Konsumenten sehen. Denn eine stetig wachsende Zahl an Menschen leidet an Zivilisationskrankheiten, die mit falscher Ernährung im Zusammenhang stehen, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes Typ 2. Weiterhin leiden immer mehr Menschen an Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -allergien, darunter beispielsweise Laktose-Intoleranz oder Gluten-Unverträglichkeit. Durch den demographischen Wandel gewinnt auch altersgerechte Ernährung eine zunehmende Rolle, und altersbedingte Appetitlosigkeit, ein nachlassendes Durstgefühl und Kau- und Schluckbeschwerden führen ebenfalls zu besonderen Anforderungen an die Nahrungsmittel. Einen Beitrag können hier auch innovative Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel leisten, die auf natürlichen pflanzlichen Rohstoffen basieren.

Verdauungsfördernd und cholesterinsenkend: Das Produktangebot wächst

Funktionelle Lebensmittel stellen einerseits einen vielversprechenden Markt der Zukunft dar, andererseits bieten sie eine Chance zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen. Den Verbrauchern machen sie darüber hinaus Hoffnung auf eine gesündere Lebensweise ohne mühsame Ernährungsumstellung und geschmackliche Einbußen.

Bereits 2010 gab es in Deutschland über 1400 funktionelle Lebensmittel auf dem Markt (Quelle: Gesundheitsamt Nürnberg), seitdem dürfte die Zahl noch deutlich gewachsen sein. Die bekanntesten Beispiele für funktionelle Lebensmittel sind wohl probiotische Jogurts mit bestimmten Bakterienkulturen, die die Verdauung regulieren sollen. Das Angebot wird aber zunehmend um Lebensmittel aus natürlichen pflanzlichen Rohstoffen erweitert, denn die Liste der in Frage kommenden gesundheitsfördernden pflanzlichen Inhaltstoffe ist scheinbar endlos. Beispielsweise können pflanzliche Sterine zur Senkung des Cholesterinspiegels beitragen und werden darum Margarine zugesetzt. Damit ein Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel aber als „bioaktives pflanzliches Produkt“ oder „functional food“ mit ausgelobter Wirkung vermarktet werden darf, muss laut der europäischen „Health-Claim-Verordnung“ von 2007 der gesundheitliche Zusatznutzen der Inhaltsstoffe nachgewiesen sein.

Aus der Forschung in die Regale

Während die Lebensmittelindustrie an neuen Produkten tüftelt, beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit den Möglichkeiten der neuen Nahrungsmittel. Die Forschung in den Ernährungswissenschaften hat sich zunehmend in Richtung pharmazeutischer und medizinischer Forschung entwickelt, in der fachübergreifende Zusammenarbeit von Medizinern, Biologen, Ernährungswissenschaftlern, Lebensmittelchemikern und -technologen stattfindet. Das Max Rubner-Institut in Karlsruhe beispielsweise untersucht als Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel unter anderem auch die Wirkung und den Nutzen bioaktiver Lebensmittel. Um den gesundheitlichen Verbraucherschutz im Ernährungsbereich zu gewährleisten, wird hier der Frage nachgegangen, ob funktionelle Lebensmittel die Erwartungen erfüllen können, die in sie gesetzt werden. In laufenden Projekten untersucht das Institut, wie pflanzliche Lebensmittel einzelne Prozesse der Krebsentstehung beeinflussen können, und welche bioaktiven Pflanzenstoffe in Obst- und Gemüseprodukten stecken. Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Forschung können dann als Anregungen für die Nahrungsmittelindustrie dienen.

Um die Aktivitäten von Wissenschaft und Industrie zu bündeln und die Zusammenarbeit zu fördern, wurde 2010 das Netzwerk „Bioaktive Pflanzliche Lebensmittel“ ins Leben gerufen, das vom Steinbeis-Europa-Zentrum in Stuttgart koordiniert wird. Mitglieder aus Forschung und Produktion arbeiten hier gemeinsam an der Entwicklung und Erforschung funktioneller Lebensmittel aus pflanzlichen Rohstoffen mit dem Ziel, marktfähige Produkte mit Fokus auf die Amarant-Pflanze zu produzieren.

Die Basis: Sicherung der Rohstoffe

Amarant-Anbaufläche in Peru © Carranza-Anoxymer GmbH

Die Auswahl der Pflanzen für die Produktion von bioaktiven pflanzlichen Lebensmitteln richtet sich nach den gefragten Inhaltstoffen. Grundsätzlich in Frage kommen essbare Pflanzen aus Europa, Asien und Südamerika, wie zum Beispiel Teepflanzen, Früchte, Beeren, Gemüse und Getreide. Damit eine Pflanze für die Produktion von Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln genutzt werden kann, muss außerdem natürlich der Anbau der Pflanzen gesichert werden, um ausreichende Rohstoffe zu garantieren. Zudem müssen die Pflanzen nach europäischem Lebensmittelrecht verkehrsfähig sein.

Beispielsweise hat sich die Anoxymer GmbH aus Esslingen bei Stuttgart - Mitglied im Netzwerk Bioaktive pflanzliche Lebensmittel - auf die Entwicklung verschiedenster Pflanzenextrakte spezialisiert. Das Unternehmen nutzt neben Amarant und anderem Pseudogetreide wie Quinoa auch Zitronenverbene, die Samen der Chia-Pflanze und Physalis. Die Rohstoffversorgung wird hauptsächlich durch Anbauflächen in Südamerika geleistet, da der Anbau im Fall von Amarant in Deutschland durch die Witterungsbedingungen nicht die nötige Ertragsmenge liefert.
Der Anbau hat bereits eine „Bio-Zertifizierung“ erhalten und kann unter Fair-Trade-Bedingungen erfolgen. Dies unterstützt die Bauern in Peru dabei, Amaranth unter relativ konstanten Bedingungen anzubauen, was wichtig für die Herstellung von funktionellen Lebensmitteln ist.

Nutraceuticals: eine neue Form der Lebensmittel

Ein Entwicklungstrend, der sich abzuzeichnen scheint, ist die Orientierung der Nahrungsmittelindustrie zu Lebensmitteln mit Funktionen eines Medikaments, so genannten Nutraceuticals. Hierbei geht es nicht mehr nur um die Prävention von Erkrankungen, sondern um deren Behandlung und Linderung durch Spezialernährung. Mehrere große Nahrungsmittelkonzerne setzen vermehrt auf diesen Bereich. So entwickelt beispielsweise die Danone-Tochter Nutricia medizinische enterale Ernährung, und Nestlé übernahm gerade das Pharmaunternehmen Pamlab und verstärkte sich so im Medikamentenmarkt.

Andererseits erkennen auch Unternehmen der Pharmabranche Chancen auf dem Markt für funktionelle Lebensmittel. Sie verfügen über die nötige Erfahrung für medizinische und pharmazeutische Fragestellungen und die erforderlichen Studien. Der deutlich geringere zeitliche und finanzielle Aufwand für die Entwicklung dieser Produkte im Vergleich zu Pharmazeutika machen sie für diese Firmen so interessant.

Gesund, aber auch bezahlbar?

Der zusätzliche Forschungs- und Entwicklungsaufwand schlägt sich aber auch im Preis der Produkte nieder, der oft höher liegt als bei vergleichbaren „herkömmlichen“ Erzeugnissen. Durch die gestiegene Nachfrage ist allerdings auch der Marktanteil der Discounter bei den funktionellen Lebensmitteln deutlich gewachsen, was wiederum das Preisniveau für die Produkte gesenkt hat. Unabhängig vom Preis deuten die Verkaufszahlen und das wachsende Marktvolumen funktioneller Lebensmittel (laut Euromonitor International 4,5 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr in Deutschland, 30 Prozent Zuwachs seit 2005) auf eine hohe Akzeptanz für die Produkte bei den Verbrauchern, die laut der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel auch in Umfragen unter Herstellern bestätigt wird. Dadurch sieht der Handel in Deutschland auch weiterhin Chancen zur Premium-Preispolitik.

Literatur:

ACHEMA 2012-Trendbericht Lebensmittelbiotechnologie
Berichte der Bundesanstalt für Ernährung, Band 1: Functional Food – Forschung, Entwicklung und Verbraucherakzeptanz

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/dossier/bioaktive-pflanzliche-lebensmittel-mehr-als-nur-sattmacher