Elektrophysiologie - vom Herzschrittmacher bis zur Wirkstoffforschung
Zahlreiche Prozesse finden im menschlichen Organismus auf der Basis elektrochemischer Vorgänge statt. Mit den zentralen Vorgängen der elektrischen und chemischen Interaktion und Kommunikation zwischen Neuronen oder Muskelzellen beschäftigt sich die Elektrophysiologie. Dazu gehören die Leitung und Verarbeitung von Informationen in den Nerven und die Kontraktion der Muskeln, beispielsweise beim Blutausstoß durch den Herzmuskel.
Per Zufall entdeckte der italienische Arzt, Anatom und Physiker Luigi Galvani 1780 die Kontraktion präparierter Froschschenkel, als aus einer Elektrisiermaschine in der Nähe Funken übergingen. Galvani glaubte, er habe eine dem Tier spezifische Energie ("Tierische Elektrizität") ausfindig gemacht. In der Naturphilosophie galt Elektrizität als entscheidendes Kennzeichen des Lebens. Der nach Galvani benannte Galvanismus lieferte die Grundlagen für die moderne Elektrophysiologie, einen Teilbereich der Neurophysiologie und der Neurologie.
Während die klinische elektrophysiologische Forschung in der Medizin sich mit polysynaptischen Nervenbahnen sowie ihren Schädigungen beschäftigt, betrachtet die aus der Physiologie entstandene experimentelle Elektrophysiologie eher die elektrischen Eigenschaften einzelner Nerven- und Muskelzellen. Ebenso wie bei der Informationsverarbeitung im Gehirn spielen auch bei der Signaltransduktion in Pflanzen elektrophysiologische Vorgänge eine große Rolle.
An der Zellmembran herrscht eine elektrische Spannung, das sogenannte Membranpotenzial. Dieses wird durch den passiven und aktiven Strom von Ionen über Ionenkanäle und Ionenpumpen in der Membran aufrechterhalten.
Derartige Ströme regulieren vitale Funktionen und vermitteln Informationen zwischen Zellen, aber auch innerhalb einer Zelle (Signaltransduktion).
EEG zur medizinischen Diagnostik
Bereits 1924 entwickelte Hans Berger von der Universität Jena die Elektroenzephalografie (EEG), die in der medizinischen Diagnostik inzwischen als Standardmethode etabliert ist. Hier macht man sich physiologische Vorgänge einzelner Gehirnzellen zunutze, die Potenzialschwankungen verursachen und in der Summe als Elektroenzephalogramm (Abk. ebenfalls EEG) dargestellt werden können.
Die Spannungsschwankungen, die an der Kopfoberfläche abgeleitet werden, liefern ein detailliertes Bild über die elektrische Aktivität des darunter liegenden Gehirns. In der neurologischen Forschung ist die Elektroenzephalografie noch immer eine oft bevorzugte Methode, da sie keinerlei operative Eingriffe erfordert und doch rasche und wertvolle Ergebnisse liefert. Eine wesentlich bessere räumliche Auflösung lässt sich jedoch mit dem Elektrokortikogramm (ECoG) gewinnen, bei dem ein Elektrodengrid direkt auf die Gehirnoberfläche aufgelegt wird.
Mit Patch-Clamp einzelne Ionenkanäle untersuchen
Ein Durchbruch in der Erforschung von Ionenkanälen waren die Arbeiten von Erwin Neher und Bert Sakman in den siebziger Jahren, für die sie 1991 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielten. Mit der Patch-Clamp-Technik stellten Sakman und Neher eine Messmethode vor, mit der Ströme an einzelnen Ionenkanälen untersucht werden konnten. Die hier erreichten Ströme liegen lediglich im Pikoampere-Bereich. Sowohl die manuelle als auch die automatisierte Methode erfordern eine hohe Geschicklichkeit des Experimentators mit dem Gerät und dem zu untersuchenden Material.
Viele Anwendungen beruhen heute auf der Patch-Clamp-Technik, zum Beispiel in der Medizin. Die Diagnostik von Erkrankungen des Nervensystems und der Muskeln zu verbessern, steht im Mittelpunkt der Forschung. So gibt es genetisch bedingte Ionenkanalerkrankungen, wie das QT- oder das Brugada-Syndrom, bei denen die Modifikation der Proteine, die den Ionentransport durch die Zellmembran regulieren, den gesteigerten oder verminderten Transport von Kalium oder Natrium zur Folge hat. Die dadurch veränderten elektrischen Eigenschaften im Herzmuskel können zu gefährlichen Rhythmusstörungen, Kammerflimmern und zum Herzstillstand bei ansonsten völlig herzgesunden Menschen führen. Die Patch-Clamp-Technik dient hier der detaillierten Analyse der veränderten Kanäle.
Firmen und Institute sind stark an der methodischen Weiterentwicklung interessiert. Sie optimieren zum Beispiel automatisierte Patch-Clamp-Techniken für eine effiziente Wirkstoffsuche. Bei der automatisierten planaren Patch-Clamp-Technik träufelt man eine Zellsuspension auf einen Chip, in welchen gleich mehrere Öffnungen von mindestens vier Mikrometer Durchmesser eingelassen sind. Mit dieser Anordnung lassen sich pro Messung viele Datenpunkte gleichzeitig erfassen, was bei der Wirkstoffsuche im Hochdurchsatz in der Pharmaindustrie von hohem Wert ist.
Multielektrodenarrays schüren Hoffnung
Mittlerweile gibt es neuronale Schnittstellen zwischen Nervenzellen und elektronischen Schaltungen, die sogenannten Multielektrodenarrays (MEAs). Man unterscheidet hier zwischen implantierbaren MEAs, die in vivo (am lebenden System) zum Einsatz kommen und nicht-implantierbaren MEAs, die in der In-vitro-Forschung etwa an Zellkulturen verwendet werden. Während die Vorteile eines In-vivo-Arrays seine hohe räumliche Auflösung sowie die Erfassung einzelner Nervenzellsignale sind, ist die Benutzung des In-vitro-Arrays nicht-invasiv, da die Membran der Zelle nicht verletzt wird.
Verwendung finden In-vivo-MEAs insbesondere als Herz- und Hirnschrittmacher, aber auch als Cochleaimplantat, eine Hörprothese für Gehörlose, deren Hörnerv noch intakt ist. Weil MEAs einen Einblick in neuronale Prozesse wie Wahrnehmung und Gedächtnisbildung liefern, können sie bei der präoperativen Diagnostik von Krankheiten wie Epilepsie und Depressionen hilfreich sein. Ein Augenmerk gilt auch der Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Ob die Wiederherstellung der motorischen Steuerung hier durch Multielektrodenarrays erreicht werden kann, wird die Zukunft erst noch zeigen müssen.