EU-Forschungsförderung Horizon 2020: Forscher sollen liefern
Im Schatten der Finanzkrise bastelt Europa an einer neuen Forschungsstrategie, die wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung bringen soll. „Horizon 2020“ heißt das 80 Milliarden Euro schwere Programm, das 2014 starten und das 7. Forschungsrahmenprogram (FRP) ablösen soll. Im Juli hat Brüssel den letzten Aufruf zum 7. FRP für 2013 gestartet, das in seinen knapp eineinhalb Jahren mit zahlreichen marktnahen Instrumenten die Brücke zu Horizon schlagen soll.
Innovation ist ein Schlüsselbegriff für Horizon 2020. Darin sind sich alle Beteiligten einig. Allein über seine Bedeutung gehen die Meinungen auseinander. Für Wissenschaftsorganisationen erschöpft sich das Wort nicht in einer bloß wirtschaftlichen Lesart, sondern umfasst soziale, kulturelle und historische Aspekte. Am Beginn einer Innovationsprozesskette, darauf weisen Bund und die organisierte Wissenschaft hin, steht die Idee, steht die Grundlagenforschung, die noch nicht die Ökonomie im Sinn haben muss. Vielmehr müssen sich alle Wissenschaftsbereiche, Geistes-, Sozial-, Technik- und Naturwissenschaften den großen Herausforderungen der Gesellschaft wie Klimawandel, Alterung, Energieeffizienz und Nahrungsmittelsicherheit stellen.
Zwar muss „Horizon 2020" erst den Europäischen Rat und das Straßburger Parlament passieren, ehe es in Kraft treten kann. Zwar wird in den kommenden Monaten noch um Beteiligungsregeln, spezifische Programme und auch um das Budget gerungen, doch die Grundzüge schälen sich bereits heraus. Und diese Grundzüge lassen die Vertreter der öffentlichen Forschung hellhörig werden, lassen sie vorsichtshalber die Vorzüge der Verbundforschung und den Europäischen Forschungsrat als europäische DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) preisen.
Forschung soll nicht folgenlos bleiben
„Die Verwertung der Forschungsergebnisse soll durch gezielte Förderung von Innovation gestärkt werden und die Entwicklung zu marktreifen Produkten soll erleichtert werden." So steht es zu lesen auf der Internetseite der Nationalen Kontaktstelle für das Europäische Forschungsrahmenprogramm.
Was das für öffentliche Forschung bedeuten könnte, verdeutlicht der Industrie-Ausschuss des Europäischen Parlaments, der einen US-Amerikaner von der Stanford School of Engineering zitiert: „Alles, worauf es ihnen (den Universitäten, Anm. d. Red.) ankommt, sind die Forschungsinstitute; um Innovation sollen sich die Anderen kümmern. Jemand auf EU-Ebene muss den ersten Schritt machen und eine umfassende Universitätsreform fordern" (siehe Pressemitteilung vom 21.3.2012 "Horizon 2020: EU muss bei Forschung und Innovation aufholen" als Download rechts).
Hin zu einer Innovationsregion
Horizon 2020 bündelt, was zuvor getrennt war, bringt forschungsrelevante Teile des Programmes für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und das Europäische Institut für Innovation und Technologie (EIT) unter ein gemeinsames Dach. Horizon 2020 weist den Weg in die Innovationsunion, die ihrerseits zentrales Element der Wachstumsstrategie ist. So sieht es die Bundesregierung in ihrem Kernthesenpapier vom 15. Mai 2012, das „den gesamten Innovationszyklus von der Grundlagen- bzw. Pionierforschung, über die anwendungsnahe Forschung bis hin zur Marktfähigkeit unter stärkerem Einbezug von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) abbilden" soll. Forschung steht damit, wenn man es überspitzt formuliert, unter einem Verwertungsdruck, und soll die Basis für Innovationen legen, mit denen Europa neue Technologien entwickeln und global wettbewerbsfähiger werden will.
In Zeiten der Finanzkrise steht vieles unter einem Vorbehalt, an der finanziellen Ausstattung von Horizon 2020 wurde aber noch nicht gerüttelt. Fast 32 Milliarden Euro sollen in die Bereiche fließen, die sich den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen, wie zum Besipiel Gesundheit, Alterung, Energieeffizienz, Nahrungsmittelsicherheit, Klimaschutz und Sicherheit. Rund 25 Milliarden Euro will die Kommission für die Grundlagenforschung (für den Europäischen Forschungsrat, ERC) bereitstellen, fast 14 Milliarden Euro für Schlüsseltechnologien, zu denen neben der Informations- und Kommunikationstechnik, der Nanotechnologie auch die Biotechnologie zählt. Mit sechs Milliarden Euro sollen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gefördert und unterstützt werden.
Steinbeis: Bei KMU ist alles neu
Der regionalen KMU-Kontaktstelle in Baden-Württemberg für EU-Forschungsförderung, dem Steinbeis-Europa-Zentrum (SEZ), geht der Vorschlag nicht weit genug. „Es braucht ein spezifisches Budget für die KMU, zusätzlich zu den 15 Prozent aus den thematischen Programmen“, sagt Dr. Petra Püchner, Geschäftsfüherin des SEZ Stuttgart und KMU-Expertin.
Sie hält wenig davon, die Mittel aus den Programmen zu nehmen, die im 7. FRP erfolgreich eigene KMU-Projekte umgesetzt hätten. Noch gibt es viele Vorschläge zu den einzelnen KMU-Neuerungen, allein zur Finanzierung der KMU-Mentoren gibt es wohl zehn Vorschläge. Momentan, darauf weist Püchner hin, stellt Horizon 2020 für KMU weniger Geld zur Verfügung als das 7. FRP.
Europäisches Institut soll Translationslücke schließen
Schließlich sind nach dem Kommissionsvorschlag fast drei Milliarden Euro für das Europäische Technologieinstitut (EIT, European Institute of Innovation and Technology) vorgesehen. 2008 gegründet und im laufenden Rahmenprogramm mit 308 Millionen Euro gefördert, soll es künftig das magische Wissensdreieck Bildung, Forschung und Innovation stärken und zusammenführen. EIT soll die Translationslücke zwischen Forschung, Bildung und unternehmerischen Aktivitäten über sogenannte Knowledge Innovation Communities (KIC) in ganz Europa schließen.
Bislang gibt es drei dieser KICs (Climate-KIC, EIT ICT Labs und KIC InnoEnergy), die in zwölf Ländern mit rund 200 Partnern laufen. 2014 und 2017 sollen je drei weitere KICs etabliert werden. Im „Innoenergy“-KIC beispielsweise arbeiten das Karlsruher Institut für Technologie, die Universität Stuttgart und der Energieversorger EnBW, die Landesbank Baden-Württemberg, das Fraunhofer-Institut ISI und das Steinbeis-Europa-Zentrum an biogener Energieerzeugung (Energy from chemical fuels).
Schulterschluss von Forschung und Industrie
Damit aus Innovation Produkte und Technologien entwickelt werden, wird, so sieht es die Kommission, der engen Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft benötigt. Für den lebenswissenschaftlichen Bereich hat die Brüsseler Behörde bis Oktober 2012 ein Papier zur Diskussion gestellt, das zeigt, in welche Richtung „Horizon 2020" gehen könnte. Damit aus der grundlagenorientierten Forschung schneller und kostengünstiger neue Arzneimittel und Impfstoffe entstehen, will die Europäische Kommission analog zur Innovative Medicines Initiative (IMI) mit der Life Sciences-Forschung und -Industrie eine Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft (PPP: Public private partnership) auf den Weg bringen. Damit sollen die frühen Translations-Lücken geschlossen und multidisziplinäre Lösungen für die Gesundheitswirtschaft gefunden werden. Die PPPs würden eines der erfolgreichen und nach wie vor zentralen Förderinstrumente, die transnationale Verbundforschung, die Industrie, Forschung und KMU in Projekten zusammenbringt, bedienen.
Eine ähnliche PPP-Allianz schwebt der Kommission auch im Bereich der sogenannten Bioökonomie vor, die auch Bestandteil der Hightech-Strategie der Bundesregierung ist. Komplementär dazu verläuft ebenfalls bis Oktober 2012 der Konsultationsprozess zur Initiative der rohstoffverarbeitenden Industrie (www.spire2030.eu).
Europaparlamentarier wollen mehr Geld und Transparenz
Aufschlussreich sind die ersten Reaktionen des Europäischen Parlaments zu Horizon 2020. Die Straßburger Kammer hat seit dem Vertrag von Lissabon (2009) deutlich mehr politisches Gewicht und wird nach der Sommerpause ihre Stellungnahme an die Kommission weiterleiten.
Noch lassen die Reaktionen der Parlamentarier aus dem Ausschuss Industrie, Forschung und Energie nicht überall ein einhelliges Votum erkennen, aber einige Forderungen verheißen Diskussionen: So sollen kleine Forschungsinstitute einen besseren Zugang zu Fördermitteln erhalten, öffentliche Forschung soll nicht gegenüber der Industrie benachteiligt werden. Unis und Forschungsinstitute sollten zu einem Mix aus Forschung und Innovation ermuntert werden. Den Parlamentariern sind auch die geplanten 80 Mrd. Euro zu wenig, statt einer realen sechsprozentigen Steigerung des 7.FRP-Budgets, fordern sie 100 Mrd. Euro. Zudem fordern die Parlamentarier eine weitere Vereinfachung des bürokratischen Aufwands für KMU, zeigen sich aber grundsätzlich zufrieden mit den neuen Programmen. (15 % des Budgets für KMU).
Keine Entscheidungen im Hinterzimmer
Stirnrunzeln in der Kommission dürften die Forderungen der Parlamentarier nach mehr demokratischer Transparenz und häufigerer Evaluierung (bisher nur eine in der Mitte eines Rahmenprogramms) hervorrufen. Moniert wird auch, dass die Kommission zu sehr in die Einzelheiten eingreife; deren Aufgabe sei es vielmehr, die Grundzüge vorzugeben; thematisch sollten die Programminhalte von Wissenschaftlern, „von unten“ in einem offenen Wettbewerb entwickelt werden, analog dem Verfahren des ERC.