Immunologie – an der Spitze medizinischen Fortschritts
Die Immunologie hat sich durch neue Technologien und Anwendungsgebiete immer wieder transformiert und ist heute kaum noch zu überschauen. Ob bei der Entwicklung innovativer Wirkstoffe und Impfungen gegen Krebs, ob bei der Suche nach neuen Therapien gegen Neurodegenerations- oder Autoimmunkrankheiten oder bei der Bekämpfung altbekannter Infektionskrankheiten oder neuer Virusepidemien – überall spielen immunologische Ansätze eine zentrale Rolle.
Ende 2018 erhielten der Amerikaner James P. Allison und der Japaner Tasuku Honjo den Medizin-Nobelpreis für ihre Entdeckung der Immuncheckpoint-Inhibitoren. Das sind Antikörper, die verhindern, dass Krebszellen eine gegen sie gerichtete Immunreaktion des Körpers hemmen; dadurch werden die körpereigenen Immunzellen aktiviert, sodass sie die Krebszellen erkennen und vernichten können. Die Forschungen der beiden Immunologen haben dazu geführt, dass die Therapien lebensbedrohender Krebskrankheiten wie malignes Melanom, Nierenzellkarzinom und nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom wesentlich verbessert werden konnten. Gegenwärtig werden die neuen Wirkstoffe auch bei metastasierenden Krebserkrankungen mit unbekanntem Primärtumor erprobt, für die es bisher keine Therapieempfehlungen gibt. Auch bei der Behandlung von Allergien, Autoimmunkrankheiten und der Abstoßungsreaktion von Transplantaten haben sich Checkpoint-Inhibitoren bereits bewährt. Sie können aber auch schwere Nebenwirkungen hervorrufen.
Allison und Honjo sind die vorerst letzten einer langen Reihe von Immunologen, die mit der höchsten Auszeichnung der Medizin geehrt worden sind – angefangen mit den Pionieren vor über hundert Jahren, wie Emil von Behring, Robert Koch und Paul Ehrlich. Je nach Definition sind von 219 bisher vergebenen Medizinnobelpreisen zwischen 35 und 56 für Entdeckungen auf diesem Gebiet verliehen worden. Wie keine andere Disziplin hat sich die Immunologie durch innovative Technologien und neue Anwendungsgebiete immer wieder selbst transformiert und erweitert. Heute ist sie eine von niemandem mehr voll überschaubare Querschnittswissenschaft, deren Erkenntnisse in viele Forschungsfelder von Biologie und Medizin ausstrahlen.
Krebsimmuntherapien
Neben den erwähnten Immuncheckpoint-Inhibitoren verfolgt man in der Krebsimmuntherapie noch weitere Strategien. Mit bispezifischen Antikörpern, die einerseits an ein Oberflächenmolekül von T-Lymphozyten binden (und diese damit für eine Immunreaktion gegen den Krebs aktivieren), andererseits an ein tumorspezifisches Protein andocken (und damit die Abwehrzellen direkt zu ihrem Wirkort bringen), hat man erste Erfolge zum Beispiel beim Prostatakarzinom und bei Non-Hodgkin-Lymphomen mit schlechter Prognose erzielt – wie im Januar 2020 auf dem Jahreskongress der American Society for Hematology berichtet wurde. Dieser Therapieansatz ist auch eine Alternative zur CAR-T-Zell-Therapie, auf die man in der Krebsmedizin große Hoffnungen setzt, nachdem sie bei einigen hoch aggressiven Blutkrebsformen spektakuläre Erfolg erzielt hat. Bei dieser Therapie werden die T-Lymphozyten des Einzelpatienten durch Gentransfer mit einem „chimären Antigenrezeptor“ (CAR) ausgestattet, sodass sie imstande sind, die Tumorantigene zu erkennen. Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine hochkomplexe Behandlungsform, die nur in wenigen Kliniken durchgeführt werden kann, und den Erfolgen stehen Misserfolge mit teilweise schweren Nebenwirkungen bei manchen Patienten gegenüber.
Wie Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), betont, gehört es zu den dringendsten Aufgaben der Krebsforschung herauszufinden, warum manche Patienten von einer Behandlung profitieren und andere nicht. Durch eine genau auf den Patienten zugeschnittene, „personalisierte“ Immuntherapie, die eine entsprechende personalisierte Diagnostik voraussetzt, will man dieses Problem in den Griff bekommen. Trotz bewundernswerter Fortschritte der molekularen Analysetechnologien kommt man diesem Ziel aber nur langsam näher.
Den genannten Therapiestrategien ist gemeinsam, dass sie für die Krebsabwehr auf die Rekrutierung von T-Lymphozyten des adaptiven Immunsystems zurückgreifen. Daneben gibt es auch Ansätze (und erste positive Erfahrungen bei metastasiertem Darmkrebs), durch die das angeborene Immunsystem mit Makrophagen und Natürlichen Killerzellen für die Krebsbekämpfung aktiviert wird.
Prophylaktische und therapeutische Krebsimpfungen
2006 wurde mit dem Impfstoff gegen krebsauslösende humane Papillomviren (HPV) die erste prophylaktische Krebsimpfung zugelassen; sie bietet Frauen einen fast hundertprozentigen Schutz gegen Gebärmutterhalskrebs, wenn sie das Vakzin vor dem ersten sexuellen Kontakt erhalten. Auch alle anderen mit HPV assoziierten Tumoren (darunter Weißer Hautkrebs und Analkrebs bei Männern) könnten durch die Schutzimpfung verhindert werden, wenn der Impfstoff konsequent bei Mädchen und Jungen eingesetzt würde, woran es aber gerade in Deutschland leider noch sehr mangelt.
Schätzungsweise 50 Prozent aller Fälle von Leberzellkarzinom weltweit werden auf Infektionen mit Hepatitis-B-Virus (HBV) zurückgeführt, die auch für akute und chronische Leberentzündungen, Leberzirrhose und akutes Leberversagen verantwortlich sind. Die Schutzimpfung gegen eine HBV-Infektion, die seit Langem zur Verfügung steht und in Deutschland seit 1995 für Säuglinge und Kinder empfohlen wird, kann man daher auch als prophylaktische Krebsimpfung auffassen. In Taiwan beispielsweise, wo Lebertumoren früher sehr häufig waren, ist zwanzig Jahre nach Einführung der HBV-Schutzimpfung die Erkrankungsrate an diesem hochgefährlichen Krebs deutlich gesunken. Auch Infektionen mit Hepatitis-C-Virus werden mit Leberkrebs in Zusammenhang gebracht. Gegen dieses Virus gibt es zwar inzwischen wirksame Therapeutika, doch keine Impfung; es wird aber intensiv daran geforscht.
Gegen Infektionen mit dem zur Gruppe der Herpesviren gehörenden Epstein-Barr-Virus, das für eine ganze Reihe unterschiedlicher Krebsarten verantwortlich ist, wurde jetzt der Prototyp einer Schutzimpfung entwickelt; sie muss aber noch für den Einsatz im Menschen getestet werden. Auch in der Entwicklung therapeutischer Impfungen gegen bereits bestehende Infektionen, Krebsvorstufen oder frühe Krebsstadien haben die letzten Jahre Fortschritte gebracht. Dabei geht es nicht, wie bei der prophylaktischen Impfung, um Antikörper, die der Körper gegen die infektiösen Viren entwickelt. Vielmehr müssen zytotoxische T-Zellen der zellulären Immunabwehr so aktiviert werden, dass sie zwar Virus-infizierte und entartete Zellen, nicht aber normale Körperzellen erkennen und abtöten. Entsprechende Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs und andere HPV-induzierte Krebsarten sowie gegen bestimmte Hirntumoren (Gliome) haben sich im Tierversuch bereits bewährt.
Biotech-Unternehmen gegen Krebs
Neben Großunternehmen wie Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG in Biberach bei Ulm und Roche Diagnostics in Mannheim haben sich in Baden-Württemberg in den letzten zwei Jahrzehnten auch kleinere Biotechnologie-Unternehmen mit innovativen Technologien im Bereich der Immuntherapie und Impfung von Krebserkrankungen etabliert. Beispiele sind: die Immatics Biotechnologies GmbH mit der Entwicklung bispezifischer T-Zell-Rezeptormoleküle und die CureVac AG mit mRNA-basierten Krebsimmuntherapeutika. Beide sind Spin-offs aus dem Labor des Tübinger Immunologen Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee – ebenso die SYNIMMUNE GmbH, die sich auf neuartige Antikörper konzentriert, die gegen bestimmte Arten von Blutkrebs wirksam sind. Das Labor Dr. Merk & Kollegen GmbH aus Ochsenhausen setzt auf die Entwicklung onkolytischer Viren zur Krebsbekämpfung, und das schweizerisch-deutsche Unternehmen VAXIMM in Mannheim und in Basel hat einen oralen Lebendimpfstoff entwickelt, der das Krebswachstum durch Hemmung der Tumor-Angiogenese (der Blutversorgung von Tumoren) verhindert.
Grippe, AIDS, Malaria und andere Seuchen
Die Verhinderung von Seuchen galt als wichtigste Aufgabe der Immunologie, seit Edward Jenner 1796 mit Kuhpockenserum die erste Schutzimpfung am Menschen durchgeführt und 80 Jahre danach Robert Koch die Erreger von Milzbrand (Anthrax) und Tuberkulose entdeckt hatte. Das ist heute nicht sehr viel anders, wenn man an die regelmäßig wiederkehrenden Bedrohungsszenarien durch verheerende, altbekannte und neuartige Epidemien denkt.
Die Mutationshäufigkeit der Influenzaviren und die Variabilität ihrer Oberflächenantigene machen es ständig notwendig, neu angepasste Impfstoffe zu entwickeln, die oft genug erst zur Verfügung stehen, wenn die Ansteckungsgefahr vorbei ist. Mit breit neutralisierenden Antikörpern und Virus-Core-Antigenen, die zytotoxische T-Zell-Reaktionen hervorrufen, könnte man vielleicht eine dauerhafte Immunität gegen die Grippe erzielen, die allein im Winter 2017/18 über 25.000 Todesopfer in Deutschland gefordert hatte. Auch gegen Coronaviren, die 2019/2020 bereits zum dritten Mal im 21. Jahrhundert die Welt beunruhigen, müssen Vakzinen für eine Schutzimpfung erst neu entwickelt werden; sie können die primäre Ausbreitung der Seuche daher kaum verhindern.
Grippe- und Coronavirus-Pneumonien gehören, ebenso wie Ebola, HIV/AIDS und viele andere Infektionskrankheiten, zu den Zoonosen, die von Tieren auf den Menschen übergesprungen sind. Die Erforschung der Infektionswege und Abwehrmechanismen in den natürlichen Wirten und Zwischenwirten, die oftmals gegen den Erreger immun sind, stellen einen wichtigen Zweig der Immunologie dar. Gegen die zwar behandelbare, aber bisher unheilbare menschliche Immunschwäche AIDS sind derzeit mehr als dreißig Ansätze in der Erprobung. So kann man hoffen, dass in naher Zukunft eine effektive Schutzimpfung zur Verfügung steht. Neue Erkenntnisse verweisen auf mögliche therapeutische Angriffspunkte gegen die bisher unangreifbaren latenten Phasen der HI-Viren in den Zellkernen der Immunzellen, sodass AIDS eines Tages tatsächlich vollständig besiegt werden könnte.
Nach Tuberkulose und AIDS ist Malaria die Infektionskrankheit mit den weltweit meisten Todesfällen. Der enorm komplizierte Lebenszyklus des Malariaparasiten hat die Entwicklung von wirksamen Impfstoffen bisher verhindert. Nach jahrzehntelangen Forschungen gibt es aber jetzt vielversprechende Impfstoffkandidaten. Da immer mehr Parasitenstämme resistent gegen die besten vorhandenen Therapeutika werden, geht auch die Suche nach neuen Bekämpfungsstrategien weiter. Dabei steht die Aktivierung der körpereigenen Immunabwehr im Mittelpunkt. Aufgrund der Klimaerwärmung wird befürchtet, dass nicht nur Malaria, sondern auch andere durch Mücken übertragene Infektionskrankheiten wie Dengue und Zika sich weiter ausbreiten werden. Ihre Erforschung mit dem Ziel wirksamer Impfstoffe, wie sie in Heidelberg vorangetrieben wird, ist daher auch als Präventionsmaßnahme vor Ausbrüchen in Europa zu sehen.
Autoimmunkrankheiten
Ein weiteres hochaktuelles Thema immunologischer Forschung und Entwicklung sind Autoimmunkrankheiten, die ohne Einwirkung eines Fremdantigens durch eine spezifische adaptive Immunreaktion auf körpereigene Antigene ausgelöst werden. Dazu gehören u.a. Diabetes Typ I, Multiple Sklerose und Zöliakie, eine verheerende Darmerkrankung. Voraussetzung einer Autoimmunkrankheit ist wohl immer eine genetische Veranlagung; Krankheitsauslöser sind Umweltfaktoren wie, im Falle der Zöliakie, das Gluten. Bei Typ-I-Diabetes und Multipler Sklerose sind die Umweltfaktoren nicht klar; doch fällt auf, dass in allen fortgeschrittenen Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten die Erkrankungshäufigkeit stark zugenommen hat. Darmbakterien scheinen – auf dem Weg über das Darm-Immunsystem – eine Rolle bei der Entstehung und Verhütung dieser Krankheiten zu spielen. Eine Erklärung dafür bietet die ursprünglich von dem britischen Arzt David Strachan für Allergien aufgestellte „Hygiene-Hypothese“. Sie geht davon aus, dass ein häufiger Kontakt mit Bakterien und Viren in der frühen Kindheit vor der Erkrankung schützt – ein Kontakt, der durch Hygienemaßnahmen in den hochentwickelten Industriestaaten selten geworden ist.
Konstanzer Immunologen haben gezeigt, dass ein spezieller Proteinkomplex in den Zellen, das Immunproteasom, die Immunantwort verstärkt und eine Autoimmunreaktion auslösen kann. Diese Reaktion könnte durch spezifische Wirkstoffe, die das Immunproteasom blockieren, unterdrückt werden, ohne das gesamte Immunsystem zu schwächen, wie es bei den üblichen Immunsuppressiva der Fall wäre. Die grundlegende Frage, wie der Körper sich gegen Autoimmunreaktionen schützt (die „Selbsttoleranz“ des Immunsystems) scheint durch neueste Befunde einer Lösung näherzukommen: Für Mäuse wurde nachgewiesen, dass beim programmierten Zelltod (Apoptose) von Körperzellen bestimmte Proteine (sogenannte Annexine) freigesetzt werden, die von dendritischen Zellen, den wichtigsten antigenpräsentierenden Zellen des Immunsystems, erkannt werden und dort eine Signalkette auslösen, die letztlich die Immunreaktion unterdrückt.
Weitere Dossiers zum Thema
Die Aktivierung des körpereigenen Immunsystems zur Bekämpfung von Krebs ist nicht mehr nur ein vielversprechendes Therapiekonzept, sondern wird bereits in der medizinischen Praxis angewendet. Erste Immuntherapeutika sind zugelassen; viele weitere befinden sich im experimentellen Stadium oder in klinischen Studien. Impfungen zur Vorbeugung bestimmter Krebskrankheiten werden schon im großen Umfang erfolgreich eingesetzt.
Nachdem jahrzehntelang B- und T-Lymphozyten sowie Makrophagen als wichtigste Zellen des Immunsystems galten und intensiv erforscht wurden, stehen jetzt die dendritischen Zellen als Hauptkomponenten der adaptiven Immunität im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Auch die Erforschung der angeborenen Immunabwehr hat an Bedeutung gewonnen, seit die Funktion der Toll-like-Rezeptoren bei dieser ersten Verteidigungslinie des Körpers gegen Fremdattacken erkannt worden ist. Die Verleihung der Medizin-Nobelpreise trägt diesen neuen Entwicklungen Rechnung.
Impfungen sind heute in Deutschland nicht besonders populär, wie sich zuletzt bei der heftig geführten Diskussion um das Für und Wider einer Schutzimpfung gegen die sogenannte Schweinegrippe (bzw. Neue Grippe) gezeigt hat. Dabei wird leicht vergessen, dass wahrscheinlich keine andere medizinische Entwicklung so vielen Menschen geholfen hat wie die Immunisierung durch Impfstoffe: von der Entdeckung der Kuhpockenvakzinierung durch Edward Jenner 1796 bis hin zu den Programmen der Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI), mit denen allein seit dem Jahr 2000 über 250 Millionen Kinder in den Entwicklungsländern geimpft worden sind und die schätzungsweise fünf Millionen Menschen das Leben retteten.